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Kultur: „Im Untergrund tickt die Realitätsbombe“

Philosophie im Fernsehen: Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk über lautes Denken und letzte Provokationen

Herr Safranski, Herr Sloterdijk, ein gutes Jahr Philosophie im Fernsehen – haben Sie eine neue Welt entdeckt?

PETER SLOTERDIJK: Es gibt die romantische Vorstellung des vollkommen entgrenzten Diskurses. Aber die meisten Menschen denken nur alle zehn Jahre einen neuen Gedanken. Alles andere sind Wiederholungen. Zu hoffen, der Mund der Wahrheit zu sein, durch den irgendetwas Unerhörtes zum ersten Mal im Fernsehen zur Sprache kommt, ist ein infantil romantischer Gedanke.

RÜDIGER SAFRANSKI: Was wir machen, ist eine Gratwanderung zwischen Offenheit und einer Ordnung, die wir als Gesprächsleiter vorgeben. Als Macher fühlt man sich verantwortlich für das, was die anderen sagen. Wir wollen unsere Gäste dahin bringen, etwas zu sagen, was sie bei „Sabine Christiansen“ nie und nimmer sagen würden. Das geht nur, wenn man sich selber vorwagt.

SLOTERDIJK: Wir respektieren die Gesetze der intellektuellen Gastfreundschaft. Wir führen niemanden vor und stellen nur hin und wieder provozierende Fragen im Dienste einer Verdeutlichung. Und wenn der Gast sich partout nicht zu einer extremen Aussage übertölpeln lassen will, dann eben nicht. Wir praktizieren nicht die Technik Michel Friedmans und anderer Provokateure.

Das klingt zu sanft, um wahr zu sein. Zwei Softies auf der PhilosophenCouch?

SLOTERDIJK: Die meisten Medienmacher mit ihrer kryptopropagandistischen Grundstimmung glauben, dass Krieg oder Streit die beste Unterhaltung sei. Das gehört zum Amüsierfaschismus, auf dem unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Auch bei friedlichen, scheinbar demokratischen Moderatoren ist die Überzeugung verbreitet, dass nur der Kampf, der Konflikt unterhält. In meinen Augen eine der größten Dummheiten, aber charakteristisch für unsere Zeit. Die besten Augenblicke sind doch die, wenn jemand einen Gedanken weitergedacht hat.

Sie begeistern sich für die Schönheit eines Gedankens, seine Reinheit, seine Radikalität?

SAFRANSKI: Gedanken gibt es wie Sand am Meer. Ein Gedanke ist für mich nur dann lohnenswert, wenn er gut formuliert ist.

SLOTERDIJK: Viel Lebenszeit wird bei uns darauf verwandt, den vierten oder fünften Aufguss eines Gedankens zu publizieren, um die Menschen von der ersten Liga auszuschließen. In der Medienrealität gibt es doch nur Bezirksligaspiele.

Fernsehen ist also per se mittelmäßig. Mit Ihnen als Sahnehäubchen.

SLOTERDIJK: Das Fernsehen war lange das Supermedium der sozialen Synthesis – Selbstgespräche auf dem Niveau der Nation. Das ist vorbei. Heute glauben die Menschen an nichts so sehr wie an ihr Recht abzuschalten. Man überzeugt sich davon, dass in der Welt nichts los ist und kann dann gut schlafen. Oder man sucht das Programm mit der meisten Action. Unsere Sendung ist da eine Enklave, die zwar im Fernsehen stattfindet, mit ihm aber nicht viel zu tun hat. Es ist, als bekäme ein Salon der Rahel von Varnhagen zufällig Besuch von einem Kamerateam.

Ein Salon, in dem über so eisenhaltige Themen wie „Krieg und Frieden“ gesprochen wird?

SAFRANSKI: Wir wissen doch, dass Kriege wie der Irak-Krieg in Denkfabriken in Amerika und anderswo geostrategisch ausgebrütet werden. Man bedient Stimmungen und führt auch ihretwegen Kriege. In einer Situation, in der mit Blick auf den internationalen Stammtisch gehandelt wird, muss es eine Opposition geben, die darüber spricht.

Brauchen wir Experten, die uns die Kriege erklären?

SLOTERDIJK: Um zwischen Realmotiv und vorgeschobenem Motiv zu unterscheiden, muss man nicht Mitglied der marxistischen Kirche sein. Das Reale ist das, was normalerweise verborgen bleibt und nicht kommt: der Unfall, der Herzinfarkt, der Nervenzusammenbruch, der schon längst hätte kommen müssen. Also wird massenhaft auf den Eintritt des Realen gelauert. Die Menschen sind paranoid im Hinblick auf das „Reale“, ihnen hängt die eigene Kultur und Gesittung zum Hals raus. Sie wollen irgendwann wieder Barbaren werden und zuschlagen. Das ist das eigentliche Syndrom, das es zu bekämpfen gilt. Im Untergrund unserer Kultur tickt eine Realitätsbombe, die die intelligentesten Menschen dazu bringt, eine Uniform anzuziehen: bei falschen Ernstfällen.

Also her mit den richtigen Ernstfällen?

SAFRANSKI: Wir befinden uns in einer hysterisierten Erregungsgemeinschaft, in der die existenzielle Urteilskraft außer Kraft gesetzt ist. Niemand kann mehr zwischen dem wirklich Bedrohlichen und dem nicht Bedrohlichen unterscheiden. Wir wollen einen bescheidenen Beitrag zur Entwicklung existenzieller Urteilskraft beisteuern.

SLOTERDIJK: Die Stoiker haben dieses Problem diskutiert. Es geht um die Unterscheidung zwischen den Dingen, über die man sich nicht aufregen darf, weil sie nicht von uns abhängen, und den Dingen, über die man sich aufregen muss, weil sie von uns abhängen. Um das Deine kümmere dich, um das Nichtdeine nicht.

Das erste Sendejahr hat Ihnen wenig Beifall eingebracht. Prallt das an Ihnen einfach ab?

SAFRANSKI: Die einen sagen, wir seien korrupt geworden, weil wir den Raum der reinen Lehre verlassen hätten. Die anderen behaupten: Alles nur trauriges Bewusstsein, kommt ja gar nichts rüber. Entweder werden sie von der Weisheit außerhalb des Mediums kritisiert oder von der Besserwisserei im Medium. Wir wollen das Kunststück fertig bringen, durch das traurige Bewusstsein des Mediums hindurch die nächst höhere Stufe zu erreichen.

SLOTERDIJK: Theodor W. Adorno hat allen seinen Nachkommen, zu denen ich mich im weitesten Sinne auch rechne, ein Erbe vermacht, mit dem zu leben nicht einfach ist. Er hatte so etwas wie Todesangst davor, bei irgendeiner Naivität überrascht zu werden. Er wollte alle Wettläufe zwischen dem Hasen und dem Igel schon gewonnen haben, ehe sie losgingen. Er hatte kein Vertrauen, dass der andere dir etwas sagen darf, was dich überholt und wozu du sagen müsstest: peinlich, aber wahr. Das Erbübel der 68er Generation auch im Philosophischen: eine Art Superreflexivität zu beanspruchen. Und deshalb in kein Medium zu gehen, weil das hieße, sich zu vereinfachen, sich im günstigsten Fall von der zweitbesten Seite zu zeigen. SAFRANSKI: Es geht uns nicht darum, etwas ganz Verrücktes zu denken. Nicht ein verstiegener Gedanke ist ein guter Gedanke. Ein guter Gedanke holt uns aus der alltäglichen Verstiegenheit zurück. Wir müssen zurück zu einer elementaren Vernünftigkeit.

SLOTERDIJK: Die Höchstform ist unerträglich. Es gibt im deutschen Sprachraum keine 300 Menschen, die Gedichte von Gottfried Benn richtig lesen können, keine 500, die imstande wären, Adorno so zu lesen, wie er gelesen werden muss. Die Höchstform findet also unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Arno Schmidt hat gesagt, er wäre mit 100 Lesern zufrieden, und er zitierte James Joyce, der nur zwölf Leser haben wollte.

Was hält Sie dann im Fernsehen?

SAFRANSKI: Wenn man auf die Frage antwortet, man sei ni cht eitel, dann ist das von vornherein eine Lachnummer. Also: Es macht Spaß, es bedeutet etwas für den persönlichen Narzissmus...

...wie gut, dass es das Fernsehen gibt.

SAFRANSKI: Noch vor zwanzig Jahren war das Fernsehen eine absolute Bühne. Heute ist dieses Charisma verflogen. Die Nachbarschaft, in die man durch das Fernsehen kommt, ist oft so unappetitlich, dass ungetrübter Narzissmus sich nicht ausleben kann.

SLOTERDIJK: Das Fernsehen macht keine Stars. Heute ist ein Star deswegen ein Star, weil er seinen Bewunderern auf Augenhöhe begegnet. Ich habe durch das Fernsehen keinen einzigen Leser hinzugewonnen.

Alles vergebens, alles umsonst?

SLOTERDIJK: Nein, im Gegenteil. Das Fernsehen steht nur mit der philosophischen Arbeit in einer sehr losen Verbindung. Die Menschen, die an die Einheitlichkeit eines Œuvres glauben, würden das, was Safranski und ich machen, nicht machen. Sie fürchten, dass die Reinheit verloren geht, wenn es noch etwas anderes gibt. Ich kann das verstehen, aber es überzeugt mich nicht. Hugo von Hoffmannsthal hat, als er sich von seiner Egozentrik heilen wollte, beschlossen, sich den Menschen zuzuwenden, und an die 12000 Briefe geschrieben, eine der großartigsten Korrespondenzen der Weltliteratur.

Fernsehen bedeutet dann: Sein und Pein.

SAFARANSKI: Wir würden es nicht machen, wenn es uns nicht auch Spaß machte.

SLOTERDIJK: Erfolg ist immer ein standrechtliches Urteil über den Erfolgreichen.Man wird sofort zur Rechenschaft gezogen und muss zurückzahlen. Und am Ende gleicht sich alles wieder aus.

Das Gespräch führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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