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Kultur: Im Vollrausch der Farbe

Finale eines Jubiläumsjahres: Die Berlinische Galerie zeigt die Höhepunkte der „Brücke“

So viel Brücke war nie. Hamburg, Essen, Chemnitz, Bielefeld, Bremen und in Berlin die Neue Nationalgalerie – alle haben sie im Laufe der vergangenen Monate das Jubiläum der bedeutendsten deutschen Künstlergruppe, die sich vor einhundert Jahren am 7. Juni in Dresden gründete, mit Ausstellungen zelebriert. Sollte es da wirklich noch etwas nachzutragen geben? Kaum ein Forschungsgebiet unserer jüngeren Kunstgeschichte ist besser ausgeleuchtet als „Die Geburt des deutschen Expressionismus“. Steht zum Ende der Kunstsaison also noch immer die entscheidende Erkenntnis aus? Wohl kaum. Trotzdem hat genau diese Ausstellung an der letzten Wirkungsstätte der Brücke- Kunst gefehlt: die glanzvolle Überblicksschau mit kapitalen Werken als Finale eines Jubiläumsjahrs.

Vergessen sind die Rangeleien, wer wem den Vortritt lassen sollte: die Neue Nationalgalerie dem kleinen Brücke-Museum im Verein mit der Berlinischen Galerie oder das Brücke-Museum wiederum der Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid? Nach dem großen Erfolg der Sommerausstellung „Brücke und Berlin“ im Mies-van-der-Rohe-Bau kommt nun die gemeinsam von Brücke- Museum und Sammlung Thyssen-Bornemisza organisierte Schau endlich aus Spanien in die Berlinische Galerie. In Madrid und Barcelona haben 300000 Menschen den grandiosen Bilderreigen gesehen; in der Berlinischen Galerie, wo das ansonsten zurückgezogen in einem kleinen Flachbau im Grunewald residierende Brücke-Museum vorübergehend die Räume bespielt, sollte wenigstens die Hälfte dieser Besucherzahl dieses Feuerwerk an Farben und Formen, dieses Gipfeltreffen aus aller Welt zusammengeholter Gemälde erleben.

Die Brücke-Direktorin Magdalena M. Moeller setzt sich zwischen alle Stühle, wenn sie wie bei der gestrigen Vorpressekonferenz triumphiert: „Die Schau in der Neuen Nationalgalerie kann man, unsere muss man gesehen haben!“ Schließlich stammt ein Großteil der Leihgaben beider Ausstellungen aus ihrem eigenen Bestand. Der Etat von 1,5 Millionen Euro und die Begeisterung, so viele Raritäten vereint zu haben, sind ihr offensichtlich zu Kopf gestiegen. Vom Glücksschwindel kann sich ab Sonnabend auch das große Publikum erfassen lassen, wenn es die Stufen in die obere Etage der Berlinischen Galerie erklimmt.

Vorab schicken Star-Bilder von Kirchner, Heckel, Pechstein, Schmidt-Rottluff rechts und links von den Schauwänden der Empore dem Besucher lodernd ihre Leidenschaft, ihre Ekstase entgegen. Nebeneinander hängen da Kirchners „Straße am Stadtpark Schöneberg“ (1912/13), sein „Belle-Alliance Platz in Berlin“ und der „Potsdamer Platz“ (beide 1914), vis-à-vis „Zwei Menschen im Freien“ von Erich Heckel und Pechsteins „Das gelbschwarze Trikot“ (beide 1909). Sie zeigen das Vermächtnis der acht Jahre existierenden Künstlergruppe, die sich anschickte, die Malerei neu zu erfinden, und die ihre eigenen Regeln entgegen den Formvorgaben des Akademismus schuf. In ihren Bildern pulsiert das Leben, entfaltet sich die Sinnlichkeit unverstellter Badeszenen, schlägt endlich der Rhythmus der Großstadt.

Doch die Ausstellung verliert sich nicht allein im Jubilieren, im Höhenkoller absoluter Meisterstücke. Sie entwickelt dem Besucher auch die Geschichte der Brücke-Künstler, die als Architekturstudenten der Dresdner TU zwar Autodidakten waren, sich zu Beginn aber ganz offensichtlich an anderen Künstlergrößen orientierten. Als sie 1905 in der Dresdner Galerie Arnold erstmals van Gogh im Original kennen lernten, gerieten sie „außer Rand und Band“, wie sich Fritz Schumacher, ihr TU-Zeichenlehrer, erinnerte. Tatsächlich strichelten und tüpfelten sie zunächst pastos wie der bewunderte Holländer. Auch die Nähe zu Hodler und seinem idealisierten Menschenbild wird evident – in der Konfrontation eines monumentalen Frauenbildnisses des Schweizer Malers mit einem Pechstein-Werk. Weitere Anleihen nahmen sie bei Jugendstil und japanischem Holzschnitt, wie die Druckgrafik verrät.

Wirklich losgelassen aber waren die jungen Revoluzzer, als sie mit Terpentin und anderen Mitteln zu experimentieren begannen, um die verflüssigte Ölfarbe noch schneller und unmittelbarer auf die Leinwand zu bannen. Rot wie Lava ergießen sich auf ihren Bildern die Wege des Dangaster Idylls, wo Heckel und Pechstein 1909/10 malend die Ferien verbrachten. Himmel, Häuser, Äcker stoßen nur noch als Farbfelder aufeinander. Magdalena M. Moeller hat hier eine sagenhafte Phalanx an Gemälden zusammengebracht, die ihre Leuchtkraft erst richtig vor den gelb gefärbten Stellwänden entfaltet. Solch suggestive Serien gelingen ihr immer wieder mit Motivreihen wie den Selbstporträts, Landschaftsbildern, Interieurs mit Modell. Die farbig getönten Wände als Hintergrund steigern das Fluidum, auch wenn die niedrige Lochraster-Decke der Berlinischen Galerie den Höhenflug etwas dämpft.

Mit dem Umzug 1910/11 nach Berlin bereitete sich die Brücke selbst ihr Ende. Die verschworene Gemeinschaft, deren Kunst vom heiteren Freiluftleben an den Moritzburger Seen noch so nahe, so verwandt erschien, brach in der Großstadt- Hektik auseinander. Der Furor ihres Aufbruchs ist bis heute spürbar. Die Leidenschaft, das Glühende steckt auch noch bei der letzten Jubiläumsausstellung an.

Berlinische Galerie (Alte Jakobstr. 124- 128,Kreuzberg)bis15.Januar.Katalog32€.

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