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Kultur: Im Windfang des digitalen Gewitters

Herbie Hancock versucht sich in Berlin an der Synthese von Elektronik und Esprit

Ein erster Blick auf die Bühne: aufatmen. Da warten im Halbdunkel des Vorkonzerts ein Schlagzeug, ein Kontrabass, eine E-Gitarre und ein Piano. Also, denkt man, hat Herbie Hancock, der unberechenbare Genre-Spieler, wieder Abstand genommen von den technizistischen Ausflügen ins Acidhafte, Wolkigpoppige. Das ist schon mal gut. Doch dann stehen neben dem schwarz-spiegelnden Konzertflügel auch ein Computerbildschirm und ein paar Gerätschaften der Sorte, wie sie Jazz-Freunde, nun ja, nicht mehr erschrecken, aber meistens doch frustrieren. Es kommt zu wenig dabei rum, wenn Improvisationskünstler sich um maschinelle Sounds und Klangeffekte scheren statt um Dialoge.

Hancock also auch? Als der 65-jährige Weltenwanderer die Bühne betritt und hinter seinem halb akustischen, halb elektronischen Instrumentarium Platz nimmt, ist alles offen. Ein Glücksfall eigentlich: Keine Platte hat das Folgende vorbereitet. Und dass er auf seine zuletzt forcierten Nu-Jazz-Avancen nun wieder zum klassischen Jazz-Quartett zurückfinden würde, glaubt man auch nicht angesichts seiner jungen Begleiter. Was aber dann?

Es beginnt hinterrücks. Aus der letzten Reihe spülen langsam Dschungelgeräusche in den RBB-Sendesaal, ein Gezwitscher und Gesause schwillt zum orgiastischen Rauschen an, ein Schallwellenornament von betörender Nichtslastigkeit. Als es sich nach vorne wandernd der Bühnenakteure bemächtigt, schleudern sie dahinein ihre Patterns, aus denen sukzessive so etwas wie ein Rhythmus, ein Song entsteht. Das atmet den Geist früher Fusion-Experimente, an denen Hancock als Mitglied diverser Miles-Davis- Formationen beteiligt war. Doch hat der Voodoo-Zauber sein Temperament verloren. Trotz seiner Langatmigkeit ist er eigentlich ohne Puste: Die Musik von Hancock & Co kennt kaum noch Melodien, nur Riffs, repetitive Kurzmotive ohne Farbschattierung, der Ideenreichtum erschöpft sich in dramatischen Spannungsbögen, die dort, wo sie sich runden müssten, ins Ungefähre und Freie streben. Weiß Hancock nicht, was er will? Oh, doch. Er tanzt auf dem Vulkan einer von ihm selbst entfesselten Sound-Lust.

Dabei passen seine Improvisationen gar nicht zu den mäandernden Samplingwinden, zu erratisch und percussiv bahnen sie sich den Weg, als wollte Hancock dem Luftgeistigen seiner Songbilder etwas mehr erdige Konfusion abtrotzen. Denn mag er auch kein Philosoph sein, kein Ergründer, seine pragmatische Ader ist viel zu stark ausgeprägt, um nur so dahinzuspielen. Und so ist die Band paradoxerweise da am besten, wenn sie den Klangzauber hintenanstellt und angetrieben vom zischelnden Schlagzeugbeat des knabenhaften Ritchie Barschay einfach mal spielt.

Zur Entdeckung des Abends wird Gitarrist Lionel Loueke aus Benin, Westafrika. Der hünenhafte Schwarze gibt dem Hancockschen Universum etwas weltmusikalisch Verträumtes – eine Note, der sich Hancock bislang meist eher verschloss. Aber Loueke singt so bezaubernd in seiner afrikanischen Muttersprache, benutzt sein zärtliches Organ so überzeugend als zweites Instrument, dass sich der Rest wie um ihn herum zu sortieren scheint.

Am Ende, nach zwei bewegten Stunden, liefert das Vierergespann noch eine nur aus Andeutungen gekritzelte Version des Hancock-Klassikers „Maiden Voyage“. Auch sie ganz Beat, ganz Bewegung, ein durch schwappende Flüssigkeit pflügendes Abenteuer. Und so wie sich hinter Schiffen die Spuren des Daseins in Blasen auflösen, so bleibt auch von diesem Song ein schönes Nichts.

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