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Kultur: Im Zeichen der Sternenfische

Eisprinzessin, Elfe, Maschinenmensch: Björk verstört ihr Berliner Publikum in Traumwelten

Gilt sie eigentlich noch, die alte Coolness- Frage? Darf die Popkultur noch immer ungestraft von sich behaupten, dass kühl und abgeklärt und ganz bei sich zu sein, das tollste von der Welt sei?

Als Björk plötzlich da ist, dieses unnahbare, elfenhafte Eiswesen, ist Kälte das wenigste, was man spürt. Sie ist so klein. So ernst. Wieviel mehr wiegt das Lächeln eines Menschen, der wenig Humor hat? Sie trägt ein Kleid, dessen obere Hälfte in schwarzweiße Puzzle zerfällt. Von einer Halsmanschette windet sich eine monströse Perlenkette um ihren Körper, die sie später einmal als Rassel auch musikalisch missbrauchen wird. Wenn man bedenkt, wieviel schlimmer es hätte kommen können! In London trat sie in einem pinkfarbenen Kostüm auf, an der Schulter klebte eine überdimensionale Blütenattrappe – das sei genau die Sorte Kleid, kommentierte ein Londoner Blatt, „über die sich Leute, die Modemagazine gestalten, köstlich amüsieren, weil sie nicht begreifen, dass Björk Mode witzig findet“. In Bremen steckte ihr Kopf zwischen großen, runden Blütenfächern, die sich um ihre Ohren spannten. Dagegen wirkt sie in der Berliner Arena geradezu schlicht. Eine zierliche Frau mit Mowgli-Frisur. Und man denkt, dass sie vollkommen da ist – und abwesend zugleich.

Vermutlich ist auch die Musik schon da, lange bevor man sie hört. In Björks Kopf. Als gehe es nur noch darum, ein Ventil zu finden. Damit diese Kopfmusik zu etwas für alle Verständlichem wird, ergreift sie das Mikrophon und singt mit zarter, schneidender Stimme von den dunklen Gezeitenströmen, in die sie hinabtaucht („Pagan Poetry“). Singen bekommt bei ihr einen neuen, einzigartigen Sinn. Denn eigentlich sind Björks Songs Klangpoeme, große Monologe einer Heroin, der man die Möglichkeit des Dramas genommen hat. Und so steht sie da, folgt den unergründlichen Melodielinien ihrer Fantasie, während hinter ihr ein nervöser Pulsschlag anhebt und bald in ein krachendes Beatgewitter übergeht.

Vor eineinhalb Jahren war sie zuletzt in der Stadt, gastierte mit einem 54-köpfigen Orchester nebst 14-köpfigem Inuit-Chor in der Deutschen Oper. Ihr vielleicht bestes, weil verwegenstes Album „Vespertine“ war gerade erschienen. Sie hatte sich in ein versponnenes Ich-Reich zurückgezogen und es mit rätselhaften, elektronisch aufgepolsterten Märchensounds ausstaffiert. Wie damals sitzen auch diesmal wieder zwei Herren am Bühnenrand, die mit der theatralischen Exzentrik Björks in etwa so viel zu tun haben wie ihr Chauffeur. Ihre Gesichter leuchten im fahlen Licht von Computerbildschirmen, in die sie begeistert hineinnicken, wenn sich mal das Spurenelement eines Rhythmus bemerkbar macht. Drew Daniel und MC Schmidt sind das elektronische Gehirn der Björkwelt, Geräusch-Freaks, die besser als jeder Musiker erahnen können, woran die 38-Jährige denkt, wenn sie singt: „This state of emergency/ How beautiful to be“.

In Björk allerdings das hilflose Geschöpf fremder Mächte sehen zu wollen, hat schon bei Lars von Triers „Dancer In The Dark“ in die Irre geführt. Als Film-Selma vermochte sie immerhin den Fabriklärm der Maschinen in eine euphorische Musik umzuwandeln. Ja, Björkwelt ist ein Traumland, ein Bilderlabyrinth, in dem die Fantasie gespenstische, in ihrer Fremdartigkeit zuweilen beängstigende Ausnahmezustände gebiert. So taucht aus einem Sternenpanorama im Hintergrund plötzlich ein Schwarm zuckender Kaulquappen auf, der schon bald zu etwas mutiert, das wie ein Fisch aussieht – bestünde es nicht aus dem Kopf eines Eisbären und einem Menschenarm. Dann wieder hat sich Björk in einem Brautkleid filmen lassen, während aus einer pochenden Wunde auf ihrem Rücken weiße, seidene Schlieren durch den Raum schweben. Ihre Kraft beziehen solche Projektionen aus der Nähe des Vernünftigen zum Ungeheuerlichen.

Doch eigentlich bedarf es solcher visueller Nebenschauplätze gar nicht. Björk fesselt ihr Publikum durch eine Eigenschaft, die im Pop-Geschäft selten ist. Sie ist so sehr von der Liebe besessen, dass sie nicht nur Worte für sie findet. In „Generous Palmstroke“ verleiht sie ihr mit ihrem flüsternden, klagenden, aufbrausenden Organ eine Nähe und Intimität, dass man nicht einen Augenblick an der Glaubwürdigkeit ihres zitternd-zerbrechlichen Geständnisses zweifelt. Hätte nicht jeder andere aus einer Zeile wie „I feel you trickeling down my shoulders from above“ eine Hymne gemacht? Bei Björk klingt sie wie ein Gebet. Wie eine ins Extrem getriebene Empfindlichkeit, die Schutz nicht mehr akzeptiert. Nicht, dass sie verletzt zu werden wünscht. Aber sie tut eben nichts mehr, um das Unvermeidliche abzuwenden.

Dann, nach einer Stunde und 14 ihrer besten Songs (darunter „Cocoon“, „Joga“ und „Hyperballad“) ist der Spuk vorbei. Grußlos geht sie ab, nimmt ihre beiden Laptop-Minimalisten, die acht Streicher und die Harfenspielerin mit, die sich tatsächlich künstliche Engelsflügel auf den Rücken geschnallt hat. Im Ohr klingen die brachialen Lärmintervalle nach, die das Konzert im zweiten Teil dominierten – und an die Punk-Wurzeln der gebürtigen Isländerin erinnern. Denn trotz aller Sphärenlaute ist ihr Schönheit ziemlich fremd. Sie will an einen Punkt gelangen, an dem Schönheit keine Rolle mehr spielt. Und das ist so ziemlich das exakte Gegenteil von Coolness.

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