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Kultur: Immer Ärger mit Henry

Familienkrieg, deutschjüdisch: Dani Levys rasante Beerdigungskomödie „Alles auf Zucker!“

Es wurde auch Zeit. Ständig kommen neue deutsche Filme über den Nationalsozialismus ins Kino, Filme über Führer und unschuldig Verführte,  arglose Mitläufer und tapfere Widerstandskämpfer. Ob „Der Untergang“, „Rosenstraße“, „Der neunte Tag“ oder demnächst Dennis Gansels „Napola“ und Marc Rothemunds „Sophie Scholl“: Juden kommen darin, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Ansonsten sind hiesige Filme, in denen Juden eine Rolle spielen – wie zuletzt „Epsteins Nacht“ – Holocaust-Filme: Melodramen, wenn nicht Tragödien.

Es wurde wirklich Zeit: für eine Komödie über mitten im heutigen Deutschland lebende Juden. Eigentlich ist Dani Levys „Alles auf Zucker!“ nichts Besonderes: eine schnell gedrehte TV-Produktion, eine Farce über das alltägliche Familienchaos nach dem Muster „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“. Und doch reibt man sich die Augen angesichts der heiteren Gelassenheit, mit der der schweizerische Wahlberliner Levy jenen bittersüßen (politisch unkorrekten) jüdischen Humor entwickelt, der seit Lubitsch und Wilder so gründlich aus Deutschland vertrieben wurde. Obendrein reizt er das komödiantische Potenzial seiner Schauspieler auf eine Weise aus, die manche Blockbuster-Komödie blass aussehen lässt.

Hannelore Elsner als prollige berlinernde Blondine! Udo Samel als bärtig bebrillter orthodoxer  Familienvater, der sich nach dem Konsum einer Ecstasy-Pille mit selig verdrehten Augen von einer palästinensischen Prostituierten kurieren lässt! Sebastian Blomberg, der karriereversessene Tausendsassa aus Levys Film „Väter“, als super-gesetzestreuer jüdischer Sohn! Selbst Adriana Altaras macht in einer winzigen Nebenrolle als Kassiererin eine hinterlistig-verschmitzte Figur, wenn sie bemerkt, dass es nie zu spät ist, jüdisch zu werden. Aber allen voran ist da Henry Hübchen als Jakob alias Jaecki Zucker aus Ost-Berlin.

Zucker ist Zocker: Spielernatur und notorischer Verlierer. „Armer Kerl“, sagen die Nachbarn, „hat nur Pech gehabt seit der Wende. Jetzt soll er auch noch Jude sein.“ Recht haben sie: Noch bevor der verhasste Bruder Samuel (eben: Udo Samel) samt Mischpoke und toter Mama im Sarg anreist, erlebt Jaecki eine seiner typischen Pannen- und Pleitenserien. Der Billard-Gegner schlägt ihn zusammen, seine Frau will ihn verlassen („Aber ich bin dein Mann!“ – „Nun übertreib’ mal nicht!“), der eigene Sohn will ihn in Schuldhaft nehmen lassen, und die Tochter (endlich wieder auf der Leinwand: Anja Franke) spricht sowieso nicht mehr mit ihm. „Bis zum Hals in der Scheiße, aber die Aussicht ist gut,“ umreißt Jaecki seine Zukunftsperspektiven. Henry Hübchen macht daraus die Paradenummer eines permanent ramponierten, außer Atem von Katastrophe zu Katastrophe stolpernden Losers, der sich trotz alledem nicht unterkriegen lässt.

Grund zur Panik hätte er schon: Obwohl er mit dem eigenen Judentum so gar nichts am Hut hat, soll seine Familie die gläubige Verwandtschaft eine ganze Woche lang aufnehmen. Denn dummerweise ist die vor der Schuldhaft einzig noch rettende Erbschaft an eine Bedingung geknüpft. Der heidnische Ost- und der fromme West-Bruder müssen sich während der Schiwa, der Trauerzeit nach der Beerdigung, versöhnen. Über Nacht müssen Jaecki und die Seinen einen koscheren Haushalt führen, Sabbat- und Synagogenregeln einhalten lernen. Dabei gerät schon die schiere Wiederbegegnung der Brüder am Flughafen zum Clash of Civilizations. Und dabei finden in Berlin gerade die von Bürgermeister Wowereit (als Wowereit) eröffneten European Pool Classics statt, bei denen Jaecki abzocken will. Wenigstens im Billard ist er unschlagbar.

Die Folge: ein simulierter Herzinfarkt, Nervenzusammenbrüche, zarte Bande zwischen Cousins und Cousinen – und ein Film, der zwar mitunter ein wenig an Tempo verliert, aber die Billardtechnik unweigerlich ihrem Schicksal entgegenrollender Kugeln für die eigene Dramaturgie beherzigt. Rasante Kehrtwendungen, raffinierte Parallelmontagen, Haken schlagende Pointen – immer gilt: neues Spiel, neues Glück. Ein Unglück löst das nächste aus, die Kamera schaut ungerührt zu und bangt doch heimlich mit.

In „Meschugge“ von 1999 hatte sich Dani Levy der Frage der jüdischen Identität mit vollem Ernst und den Mitteln des Actionfilms genähert und sich damit übernommen. Die Komödie liegt ihm mehr. Levy legt eine herzerfrischend coole Gangart vor, mit einer Prise Frechheit in eigener Sache. Als Jaecki wegen der familiären Verwicklungen zu spät zum Turnier-Finale erscheint und disqualifiziert wird, versucht er es schmollend mit dem Antisemitismus-Vorwurf und murmelt etwas von „Familie im Holocaust verloren“. Das trifft die aktuelle Debatte um deutsche Erinnerungskultur und Vergangenheitsbewältigung ziemlich genau – weil es so böse daherkommt. Derweil sitzt die liebe Verwandtschaft zu Hause und rauft sich die Haare.

In sieben Berliner Kinos

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