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Kultur: Immer schön mehrdeutig bleiben Regisseur Mike Leigh über „Another Year“

Sie haben einmal gesagt, das Schwierigste am Filmemachen sei die Wahl des Titels.Es ist vielleicht nicht die schwierigste Entscheidung, aber eine sehr wichtige: Man definiert damit den Film.

Sie haben einmal gesagt, das Schwierigste am Filmemachen sei die Wahl des Titels.

Es ist vielleicht nicht die schwierigste Entscheidung, aber eine sehr wichtige: Man definiert damit den Film. Deshalb denke ich mir den Titel immer am Schluss aus.

Fiel Ihnen die Wahl auch diesmal schwer?

Ja, extrem! Oft sind Titel zu konkret. Erst wollte ich den Film nur „A Year“ nennen. Aber er handelt von der Unvermeidlichkeit des Vergehens der Jahre.

Der Zusatz „Another“ wirkt mehrdeutig.

In der Tat. Entweder versteht man ihn als „Oh Gott, schon wieder ein neues Jahr!“ oder „Oh toll, endlich!“ Mehrdeutigkeiten sind gut, denn Filme sollen vom Publikum interpretiert werden können.

Auch Ihre Haltung gegenüber den Figuren ist mal liebevoll, mal kritisch.

Damit sagen Sie letztlich, dass die Figuren lebensecht sind. Ich will Figuren auf die Leinwand bringen, die menschlich und fehlbar, widersprüchlich und komplex sind. Keine zweidimensionalen Charaktere, die nur einem Plot dienen.

Das glücklich alt gewordene Ehepaar scheint erst sympathisch. Ein Trugschluss?

Die Frage ist doch, ob sie falsch und heuchlerisch wirken – oder ob sie nur auf bestimmte Situationen spezifisch reagieren. Ich halte sie für aufrichtig und ehrlich. Ihr Dilemma lautet: Was tun, wenn man Leuten die Türen öffnet – und die benehmen sich dann schlecht?

Andererseits tauschen die beiden auch genervte oder spöttische Blicke aus.

Sie verwechseln Spott, der sich hinterrücks Luft macht, mit reflektierender Ironie. Das Paar ist von der Einsicht geleitet, dass das Leben absurd sein kein.

Was bedeutet Ihnen das Motiv des Gartenbaus, das Sie sehr bewusst einsetzen?

„Another Year“ handelt vom Wachsen, von der zyklischen Natur der Dinge. Im Englischen heißt es „husbandry“ für das Bewirtschaften des Bodens, aber der Begriff enthält auch das Wort für Ehemann. Dieses Wortspiel trifft gut auf Tom zu.

Die dritte Hauptfigur, Mary, steht für einen in Ihren Filmen häufigen Frauentyp.

Meine Filme sind voll von neurotischen Frauen. Vielleicht erinnern sie mich an Frauen mittleren Alters, als ich ein Kind war. Aber denken Sie an Gerri, Vera Drake oder Poppy aus „Happy-Go-Lucky“: Diese Frauen sind nicht neurotisch.

„Happy-Go-Lucky“ hatte die Dreißigjährigen im Blick, diesmal geht es um die Generation 60 plus.

„Another Year“ ist ein Film über meine Generation. Aber ich verbringe viel Zeit mit jüngeren Leuten. Meine Söhne sind Anfang 30, ich unterrichte Studenten. Ich bin weiterhin Teil der Welt.

Die Fragen stellte Julian Hanich. Die Filmkritik ist bereits am Mittwoch erschienen.

MIKE LEIGH (67), geboren in Manchester, ist einer der bedeutendsten britischen Filmemacher. Wichtige Werke: „Naked“ (1993), „Lügen und Geheimnisse“ (1996), „Vera Drake“ (2004).

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