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Kultur: Immer wieder anders

SCHREIBWAREN Jörg Plath über den Unterschied von Geschlechtern und Parteibüchern Von Männerliteratur war in Deutschland nie die Rede, ein, zwei Jahrzehnte lang aber von Frauenliteratur. Sie war damit natürlich keine Literatur mehr, sondern Lebenshilfe, Selbsterfahrung, Begleitmedium der Frauenbewegung.

SCHREIBWAREN

Jörg Plath über den Unterschied

von Geschlechtern und Parteibüchern

Von Männerliteratur war in Deutschland nie die Rede, ein, zwei Jahrzehnte lang aber von Frauenliteratur. Sie war damit natürlich keine Literatur mehr, sondern Lebenshilfe, Selbsterfahrung, Begleitmedium der Frauenbewegung. Inzwischen ist die Frauenbewegung wie andere soziale Bewegungen in der Individualisierung zerrieben worden, und schreibende Frauen werden nicht mehr einer eigenen Gattung zugeschlagen. Die Taschenbuchreihen „Neue Frau“ (bei Rowohlt) und „Die Frau in der Gesellschaft“ (bei Fischer) gibt es noch, aber auch hier lässt sich eine Verlagerung zum selbstbewusst individuellen Ausdruck nachvollziehen. In einer kleinen Reihe der Literaturwerkstatt sprechen jeweils zwei Autorinnen aus zwei Generationen über die klassischen Weiblichkeitsthemen (20 Uhr). Heute Abend widmen sich Friederike Kretzen („Ich bin ein Hügel“, Nagel & Kimche) und Malin Schwerdtfeger („Café Saratoga“, Kiepenheuer & Witsch) dem „Mutterverrat“ der Mädchen, die zur Frau werden. Morgen steht mit Liane Dirks („Drei Arten, meinen Vater zu beerdigen“, Kiepenheuer & Witsch) und Annika Reich („Teflon“, Suhrkamp) das große Thema der Neunzigerjahre auf dem Programm: der Körper. In „Teflon“ weiß die unglücklich verliebte Hannah: „Mein Geheimnis lautet: Ich bin nicht verletzbar. Meine Schmerzgrenze hat sich nicht verabschiedet. Sie ist einfach weg. Niemand erreicht mich mehr.“

Alles natürlich wegen eines Mannes. Womit wir bei Hans-Ulrich Treichel wären, einem der wenigen deutschen Tragikomiker. „Liebe Not“ hieß sein erster Gedichtband charakteristischerweise, und in „Seit Tagen kein Wunder“ finden sich die Zeilen: „Die Steuern bezahlt,/ ein paar Haare verloren und/ über die Liebe nur Gutes gehört.“ Mit bemerkenswertem Gleichmut murmeln Treichels Erzähler Kataster der Verheerungen vor sich hin. In „Der irdische Amor“ träufelt der Suhrkamp-Autor apokalyptische Lakonie in des Lesers Ohr. Zweifellos wird sie auch seine Poetikvorlesung heute im Literarischen Colloquium würzen (20 Uhr).

Am nächsten Tag am selben Ort Hans-Joachim Schädlich, der Vivisekteur von Verhaltensweisen in totalitären Staaten. In seinem neuesten Roman sammeln zwei Männer Schicksale von Menschen, die nach einem Wechsel der Regierungsform tatsächlich oder scheinbar „Anders“ (Rowohlt) werden – darunter der SS-Mann Schneider, der unter dem Namen Schwerte als Germanist zum zweiten Mal Karriere macht.

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