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Schlimme Weihnachten. Am Dresdner Altmarkt bleiben die Verkaufsstände des Striezelmarktes geschlossen. Coronabedingt fallen in Sachsen alle Weihnachtsmärkte aus.

© dpa/Robert Michael

Impf-Lässigkeiten und ihre Folgen: Wir könnten diese Pandemie beenden – wenn wir wollten

Coronagelaber, Schwurbelunsinn und dazwischen Klartext: Warum mancher nur noch mit viel Kaffee der Debatte folgen kann. Die Kolumne Spiegelstrich.

Unser Kolumnist Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Was tun wir da: miteinander, gegeneinander? Wie sehr, wie lange noch wollen wir Vernunft und Wirklichkeit ignorieren, wie ineffektiv wollen wir sein, wie lange uns selbst blockieren, einander Lebenszeit stehlen, wie wenig lernfähig, wie kollektiv dumm wollen wir sein? Es ist nichts Abstraktes, es hat Folgen im konkreten einzigen Leben, das wir haben.

H., 90, dreifach geimpfter Freund meiner Eltern, ist an Corona gestorben und hätte nicht sterben müssen. Ist dieser zweite Teil dieses Satzes zu hart, ungerecht? Im ersten Coronajahr hatten wir keine Impfstoffe, doch heute haben wir sie und könnten die Pandemie beenden oder beherrschen, streiten stattdessen über Befindlichkeiten und tun das Eigentliche nicht.

Wir wollen diese Pandemie nicht beenden, wollen es nicht genug; wenn wir’s wollten, täten wir’s, täten, was nötig wäre, und das wäre nicht viel. Was tun wir stattdessen einander an?

C., auf die ich täglich stolz bin, hat ihren ersten festen Job, ist Psychologin. 30 Patienten und Patientinnen leben auf ihrer Station, traurige Lebensgeschichten gibt es dort, einsam waren die zwei Pandemiejahre. Das Team, in dem C. arbeitet, teilt sich in Ungeimpfte und Geimpfte; C. ist geimpft, was folgt daraus?

Schulkinder, Kulturschaffende, Einzelhändler werden bestraft

Wenn eine ungeimpfte Kollegin in der Nähe eines Coronakranken war, muss und darf die Kollegin für sieben Tage in Quarantäne gehen, bezahlt – die geimpfte C. hingegen muss ihren Urlaub abbrechen und die Arbeit der Ungeimpften übernehmen, zusätzlich. Welchen Effekt erwarten wir von solchen Regeln? Das ist Deutschland 2021. Welche Solidarität und welchen Teamgeist werden wir künftig erleben?

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Ich reagiere in diesen Wochen zunehmend allergisch auf Coronagelaber: Markus Söders Satz, dass im Sommer niemand gewarnt habe; oder Heiko Maas’ Mahnungen, dass jene, die uns alle zu ihren Geiseln gemacht haben (dies hat Maas nicht gesagt), nicht ausgegrenzt werden dürften (dies aber). Strafen wir also lieber die weniger Anstrengenden, die Schulkinder, Kulturschaffenden, Einzelhändler oder meine Eltern, die seit zwei Jahren ihre Enkel verpassen, keine Freunde treffen, was für ein Lebensabend.

Nur mit viel Kaffee ertrage ich die rhetorische Erschöpfung der Merkelregierung oder den Schwurbelunsinn der Philosophin Svenja Flaßpöhler, die bei „Hart, aber fair“ sagt: „Menschen rauchen, landen mit Lungenkrebs auf der Intensivstation, sie fahren Motorrad, sie begehen missglückte Suizidversuche, alles Mögliche passiert, und wir würden nie auf die Idee kommen, davon zu reden, dass diese Leute selbstverschuldet krank werden, selbstverschuldet auf der Intensivstation landen.“

Für Macron bedeutet Impfen „Verantwortung und Solidarität“

Doch, na klar, auf exakt diese Idee komme ich. Und all das dürfen jene Menschen trotzdem mit ihrem eigenen Leben anstellen, da Land und Leben frei sind. Was sie nicht tun dürfen: durch Innenstädte rasen, im Restaurant rauchen – weil’s uns andere gefährden würde. Womit wir zurück beim Impfen sind, jener Freiheit, die für Emmanuel Macron im Zeigen von „Verantwortung und Solidarität“ besteht.

Wer müde ist, hört das immer Gleiche kaum mehr. In solch eine Gegenwart schreibt Sascha Lobo einen Text, der pure Aufklärung ist, Wort für Wort ironiefrei, und erklärt Nichtgeimpften, warum Impfen besser sei: „Es ist weniger wahrscheinlich, dass Sie krank werden.“

In diese Gegenwart ruft Lothar Wieler hinein, RKI-Präsident, und sagt voraus, wie viele von uns an Corona sterben werden, was nicht mehr zu ändern sei, Mathematik eben; „schlimme Weihnachten“ stünden bevor.

Wichtig, immer und in Zeiten wie diesen, ist eine Veränderung des Tons. Und der Form. Und der Botschaft. Dann braucht es bloß noch das Publikum, das hört und liest.

Klaus Brinkbäumer

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