zum Hauptinhalt

Kultur: In deinem Film bin ich der Star

Aufstand eines Antihelden: Will Ferrell in der wunderbaren Komödie „Schräger als Fiktion“

Jeder Film spielt in seiner eigenen Wirklichkeit. Es ist eine absolutistische Welt, in der es keine Gerechtigkeit gibt. Nur der Wille des Erfinders – fallweise der Autor, Produzent oder Regisseur des Films – zählt, seinen Einfällen haben sich die Protagonisten zu unterwerfen. Rick und Ilsa in „Casablanca“ müssen sich trennen, Spiderman darf nicht erkannt werden, James Bond muss einsam bleiben.

Ein Held wie Harold Crick, gespielt von Will Ferrell, hat in dieser Konstellation eigentlich von vorneherein verloren. Er trägt ein hellblaues Hemd und einen grauen Anzug, sein Gesicht ist leer, er arbeitet als Steuerprüfer. Seine Zähne putzt er, das verrät uns die Erzählerstimme am Anfang des Films „Schräger als Fiktion“, jeden Morgen mit 76 Handbewegungen, er putzt 38 Mal hin und her und 38 Mal hoch und runter. Anschließend läuft er von seinem Apartment in 57 Schritten pro Häuserblock zur Haltestelle, um seinen Bus um 8 Uhr 17 zu bekommen. Sein Leben verläuft mit der Präzision einer Stechuhr. Bis Crick eines Morgens, die Erzählerstimme hatte gerade gesagt: „an einem Mittwochmorgen“, plötzlich fragt: „Woher wissen Sie, dass ich meine Zahnbürstenbewegungen zähle?“ Die Erzählerstimme bricht ab, will fortfahren, Crick ruft „Hallo“ und hält sich die Zahnbürste ans Ohr. Er fühlt sich verfolgt, von dieser weiblichen Stimme mit britischem Akzent, die alles über ihn weiß. „Sie spricht mit Ihnen?“, wird er gefragt. „Nein, über mich.“

Die Badezimmerszene, die stotternd in Gang kommende Selbsterkenntnis vor dem Spiegel, erinnert an den Moment in der „Truman Show“, als dem Hauptdarsteller ein Scheinwerfer vor die Füße fällt und ihm klarmacht, dass er in einer Liveübertragung lebt. Auch Harold Crick rebelliert gegen die Fremdbestimmung, allerdings ist er, anders als Truman Burbank, eine Erfindung, eine Figur im Roman einer Schriftstellerin (Emma Thompson). Die Schriftstellerin schreibt Krimis, am Ende sterben ihre Helden immer, doch seit zehn Jahren kommt sie mit dem Buch nicht weiter. Eine Sekretärin (Queen Latifah) soll ihr aus der Schreibblockade heraushelfen. Crick brüllt die Erzählerstimme an: „Halt’s Maul!“, er will selber über seinen Plot bestimmen, bricht aus der Routine aus, beginnt, E-Gitarre zu spielen und verliebt sich in eine anarchistische Bäckerin (Maggie Gyllenhall), die sich weigert, Steuern zu zahlen, und ihm Kekse aufnötigt. „Harold war sehr glücklich“, sagt die Erzählerstimme nach der ersten Liebesnacht.

Die Handlung von „Schräger als Fiktion“ ist aberwitzig genug, Regisseur Marc Forster („Monster’s Ball“) bemüht sich, sie in größtmöglicher Lakonie zu inszenieren. Ein Flirt zwischen Crick und der Bäckerin findet in einem Ziehharmonika-Bus statt. Crick spricht so romantische Sätze wie „Sie haben schöne gerade Zähne“, wird aber in jeder Kurve wieder von der Bäckerin fortgerissen. Will Ferrell, groß geworden in der TV-Comedyshow „Saturday Night Live“, ist die Idealbesetzung für diesen Zwangsneurotiker im Liebesrausch. Er kann seine Mimik auf einen Minimalzustand herunterfahren, sein Crick figuriert als Gegenentwurf zu der Schriftstellerin, die Emma Thompson als kettenrauchendes Nervenbündel mit zerzaustem Haar porträtiert. Dustin Hoffman spielt einen verschrobenen Literaturprofessor und demonstriert, auf wie viele verschiedene Arten man Kaffee aus einem Plastikbecher schlürfen kann. Von Crick will er wissen: „Besteht Ihr angenommenes Ich aus Holz, Leichenteilen oder Lehm, dem ein Rabbi Leben eingehaucht hat?“ „Schräger als Fiktion“ ist die bislang beste Komödie des Jahres.

„Schräger als Fiktion“ startet Donnerstag in fünf Berliner Kinos, OmU im Babylon Kreuzberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false