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Kultur: In den Ritzen der Rolltreppe

Klage eines Überforderten: Radiohead-Sänger Thom Yorke folgt mit seinem Solo-Debüt alten Pfaden

Man muss nur in sein Gesicht sehen, um seine Musik zu verstehen. Es wirkt, wie aus Holz geschnitzt. Das rechte Lid hängt seit Kindheit schlaff herab, das linke zuckt nervös auf und ab. Dieses Gesicht fordert sein Gegenüber heraus. „Mach mir nichts vor“, sagt es, „gestehe die Zerbrechlichkeit deines Plastikglücks ein. Zu viele Autos, zu viele Regeln, zu viel Information, zu wenig Zeit“. „There’s no time to analyse/ to think things through/ to make sense“, fasst Yorke in „Analyse“ die Überforderung des Individuums angesichts einer durchtechnisierten Umwelt zusammen: Es bleibt keine Zeit, die Dinge zu Ende zu denken und gerade zu rücken.

Von dieser Überforderung singt Yorke spätestens seit Radioheads Durchbruchalbum „OK Computer“ (1997), das die Abkehr von der Ich-Musik für Teenie-Seelen markiert und die Wende zu einer fragmentierten Sprache, in der sich das autonome Subjekt auflöst. Fetzen von Phrasen, durcheinander geworfen und zu Aussagen kombiniert. Es ist der Blick von Kafkas Erzählern, in dem jedes Detail eine übergroße Aufmerksamkeit erzwingt, bis sich die Zusammenhänge auflösen. Thom Yorke schlüpft in die Rolle eines Autisten, der vor einer Rolltreppe stehen gelassen wurde und die Stufen sich endlos heben und entschwinden sieht.

Radiohead gelang ein neuer Sound der Zeitkritik, der, statt die Ärmel hochzukrempeln und sich mit wütenden Anklagen selbst Kraft zuzurufen, die eigene Verletzlichkeit ausstellt. Radiohead predigen keine Verhaltenslehre, sondern eine Blickweise. Auf „Kid A“ löste die Band 2000 die Songstrukturen des Rock weiter auf und es trat ein Phänomen in den Radiohead-Klang, das sich auch in der neuen Leipziger Malerei findet: Romantische Motive, welche die allgegenwärtige Technik unter der Atmosphäre mythischer Vorwelten verschleierten. Mensch und Maschine erschienen gleichermaßen beseelt. Die Außenwelt blieb ungemütlich, doch der Autist an der Rolltreppe flüchtete sich in eskapistische Träume.

Mit „The Eraser“ steht Thom Yorke nun erstmals alleine. Radiohead haben es mit ihrer nächsten Veröffentlichung nicht besonders eilig, so hatte der Sänger Zeit, sein seit langem geplantes Solo-Album umzusetzen. Das Cover zeigt den Linolschnitt eines Untergangsszenarios für das mittelalterliche London und verheißt wieder Mythisches. Auch der Klang schließt an die elektronischen Stücke auf „Kid A“ und „Amnesiac“ an. Science-Fiction-Synthesizer treffen auf Streichorchester und die unvergleichlich traurigen Yorke- Chöre. Doch die Atmosphäre ist deutlich kühler und beengter. Es pluckert und tackert endlos in Sample- und Rhythmus- Schlaufen, es rappelt im Karton der Klaustrophoben. Selbst „Black Swan“, das mit einem trockenen Hiphop-Beat und einer munteren Basslinie überrascht, klingt nach dem unbeholfenen Kontaktaufnahmeversuch eines Eingesperrten. Dafür sorgt auch ein ständiges Rascheln und Fiepen, das im Gehörgang juckt. „This is fucked up“, singt Yorke, als würde er nicht damit rechnen, dass ihm jemand zuhört.

Selbstzweifel und Einsamkeit – es sind die alten Radiohead-Themen. „I can see you/ but I can never reach you“, heißt es in „And It Rained All Night“. Ich kann dich sehen, aber nie zu dir finden. Oder „Analyse“, das in der Erkenntnis mündet, dass jeder nur Teil eines größeren Ganzen ist: „You’re just playing a part.“ Bisher schwangen solche Bekenntnisse, die im Band-Kontext ja auch was Versöhnliches haben, ganz selbstverständlich in Radioheads Musik mit. Es war unnötig, sie offen auszusprechen. So überrascht „The Eraser“ mit ungewohnter Schlichtheit. Dazu passt, dass Radiohead-Produzent Nigel Godrich den Hall über dem Gesang zurückgefahren hat. Yorke klingt verzagter denn je, und man wartet vergeblich darauf, dass er einmal Luft holt, um zu einer seiner großartigen Melodien anzusetzen. Der Autist träumt nicht einmal mehr. Er sieht nur noch den Staub, der sich in den Ritzen des Bewusstseins ansammelt.

Trotzdem enthält „The Eraser“ durchaus schöne Momente. In den Details blüht eine musikalische Fantasie, die es zu entdecken gilt, wie das minimalistische Gitarrenriff am Ende von „Atoms For Peace“, das den sphärischen Keyboardklängen ein erdendes Element entgegensetzt. „So many allies“, singt Yorke hier im Refrain – so viele Verbündete. Es klingt wie eine Klage. Mit „Cymbal Rush“ hat das Album ein beklemmend schönes Ende. „Try to build a wall that is high enough/ It’s all boiling over.“ Keine Mauer wird die Fluten aufhalten. Ein Klagechor wimmert im Hintergrund, und das Piano beschreibt eine langsame Bewegung gen Abgrund.

Man ahnt, dass, wenn man das Album jetzt noch einmal hört und dann noch einmal und dann noch viele Male, sich die Zeilen aus dem Titelstück bewahrheiten werden: „The more you try to erase me / the more that I appear“. Diese Musik gewinnt allmählich an Größe. Wie bei einem Radiohead-Album.

Thom Yorke, The Eraser ist bei XL Records erschienen (Indigo)

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