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Kultur: In der Strandräuberhöhle

Die britische Band Field Music überrascht auf ihrem Debütalbum mit kunstvollem Pop

The Grim North, der grimmige Norden, nennen Engländer die Gegend unweit der schottischen Grenze, die für ihren schleichenden industriellen Niedergang und herben Fatalismus berüchtigt ist. Derzeit bringt sie allerdings erstaunlich fröhliche Musik hervor. Auf dem Debütalbum von Field Music, einer dreiköpfigen Band aus Sunderland, stolpert das Schlagzeug (Oohmta!), plinkert die Gitarre, greinen Violinen, und der Sänger berichtet, wie er im Mondschein nach seinen Schuhen tastet. „It’s nothing to say anymore“, findet er und stiehlt sich davon.Er würde reden, gesteht er, wenn er nur abgebrühter wäre. Das Bekenntnis eines Schwindlers, der weiß, „dass zu lügen niemals ausreicht“, um zu bekommen, was man will. Das Herz, eine Schlangengrube.

Die Leute aus Sunderland werden Mackems gerufen. Woher dieser Begriff stammt, ist vergessen. Einer Legende zufolge spielt er auf die Doppelkarriere der von jeher dem Schiffbau verhafteten Bevölkerung an. Zu nächtlicher Stunde verwandelte die sich nämlich in eine Bande von Strandräubern. Sie überfiel jene Frachtkähne, die in den heimischen Werften erbaut worden waren. Woraus der Volksmund schloss: „They make’m, they take’m.“

Etwas von dieser trügerischen Logik ist auch bei Field Music lebendig. Die Songs auf ihrem gleichnamigen Erstling, vor kurzem bei Memphis Industries erschienen, passen perfekt zum gegenwärtigen Retro-Rock-Boom auf der Insel. Trotzdem wirken die fein abgezirkelten, kammermusikalisch-geschliffenen Lieder seltsam entrückt. Sie funkeln im Licht einer Avantgarde, die auf Brian Wilsons Falsett-Operetten zurückgeht, aber auch Robert Wyatts mäandernde Traumpfade aufgreift. Die Theatralik von Kate Bush ist nicht fern, freimütig bedienen sich Field Music beim Sixties-Repertoire von „Revolver“ und „Abbey Road“, selbst Thelonious Monk und Béla Bartók spielen hinein. Das Ergebnis ist ein in Spektralfarben aufgefächerter Pop, in dem die Traditionslinien klar nebeneinander liegen. Hier entlädt sich kein postmodernes Zitatgewitter. Vielmehr sucht man im Klanggewand unverzerrter Gitarren und schöner Melodien nach dem alles überflügelnden, reinen Pop-Moment.

Die britischen Medien jubeln: „a genius, folk-psychedelic shangbang“, urteilt der „New Musical Express“, der „Observer“ hält sie für die „most charming band to emerge this year“, oft fällt das Wort „perfekt“. Trotzdem sind die drei Sunderlander Twens, die sich in dunkle Sakkos und Kaschmirpullover kleiden, eher Kritikerlieblinge als Chartbreaker. Für die Massen sind sie zu verspielt. Immer wieder fällt sich die Band mit neuen Ideen selbst in den Arm. Eingängige Songs lösen sich in labyrinthischen Tempo- und Taktwechseln auf, und Pianofiguren rollen windmühlenartig durch die Akkorde.

„Diese Musik ist einfach verdammt schwer zu spielen“, gibt David Brewis zu. Das hat viel mit ihrer Entstehungsgeschichte zu tun. Field Music ging nämlich aus zwei Bands hervor, die von den Multiinstrumentalisten Peter und David Brewis als brüderlich-konkurrierende Unternehmen gegründet worden waren. Die eine werkelte im heimischen Kellerstudio an vertrackten Songgebilden. Die andere frönte auf lokalen Bühnen experimentellen Geräuschlandschaften. In beiden Bands spielte Bassist Andrew Moore, der Field Music nun komplettiert. Dass die Schulfreunde mit Maxïmo Park und den Futureheads personell verzahnt sind, zwei hoch gelobten Bugwellensurfern des Britpop, verleiht ihren musikalischen Hochseilakten zusätzlich Nachdruck. Dabei haben sie mit dem feurigen Gitarren-Pop ihrer Kollegen wenig gemein.

Welche Rockband, die etwas auf sich hält, würde ein Lied über Verbote mit einem gesummten Kirchenchoral beginnen? Bei Field Music hört sich das weder aufgesetzt noch feierlich an. Die in schleppendem Schritttempo eingespielten Songs sind brillante Ohrwürmer, selbst wenn es nur ums Frühstücken und Füttern der Vögel geht. So demonstrieren die Entwürfe aus der Findungsphase der Band schon deutlich deren Grandezza, die auch vor dem Einsatz von Streichern nicht zurückschreckt.

„Die Musikindustrie hat sich noch nie sonderlich für Sunderland interessiert“, erklärt Peter Brewis seinen und den überraschenden Aufstieg anderer Bands aus dem Nordosten. „Die Leute konnten kreativ sein, ohne einen Gedanken an Plattenverträge oder eine Karriere zu verschwenden.“ Während der Britpop der Neunziger auf London und Manchester beschränkt blieb, verteilen sich die Gruppen des aktuellen „Britpack“ („Q Magazine“) über das ganze Land. Diesem Boom verdankt der britische CD-Markt im letzten Jahr einen Gesamtumsatz von 2,7 Milliarden Euro. Er hat Deutschland längst als drittstärkster Tonträgermarkt der Welt abgelöst und erzielt zudem die Hälfte seiner Einnahmen mit heimischen Produkten. Das liegt auch an den Clubs und Studentenkneipen in der Provinz. Sie wirken verstärkt als Katalysatoren und entfachen um Bands wie Field Music eine Begeisterung, lange bevor diese einen Plattenvertrag auch nur zu Gesicht bekommen.

Field Music: „Field Music“ ist bei Memphis Industries erschienen, „Write Your Own History“ kommt am 19. Mai heraus.

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