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Kultur: In der Vorspielzeit

Von Oberammergau zur Fifa: Wie Christian Stückl die Münchner WM-Eröffnungsfeier inszeniert

In der Vereinsgaststätte , die früher Merowinger Hof hieß, sich jetzt aber Taverne Syrtaki nennt, geht es auf Mittag zu. Der Himmel hängt tintenschwarz über dem Platz, und die Aussichten für die nächste Zeit sind nicht besonders gut, dass hier noch richtig geplattelt und gebreakt werden kann. Und dann hat Christian Stückl auch noch eine Premiere an der Kölner Oper, so kurz vor der WM. Exakt 24 Minuten und 50 Sekunden soll die Eröffnungsfeier heute im neuen Münchner Stadion dauern. Und Stückl führt dabei Regie.

Er steht mächtig unter Dampf, wie er auf dem Sportplatz des Kirchheimer SC bei München zwischen hunderten von Beteiligten mit den Armen rudert, links die Zigarette zwischen den Fingern, wie festgewachsen, rechts das Mikrofon. Stückl lebt gerade nur von Schall und Rauch: „Alle in Spielstellung“, ruft er. Schon halten die Trommler die Stöcke parat. „Und jetzt schaut’s zu mir!“ Stückl turnt hinauf an ein Mischpult, das hydraulisch nach oben gefahren wird. Als er über allem steht, will er augenblicklich wieder nach unten. Es ist nicht seine Position. Er ist lieber mittendrin, bei den Leuten, schiebt sie hier- und dahin, redet auf sie ein wie ein Wasserfall, macht einen Witz, hinterlässt eine Anweisung und ist wieder weg. „Guad“, ruft er von irgendwo her, „dann probier mer des jetza!“

Es regnet immer noch nicht. Und Stückl probt und probt und probt. Im Syrtaki trifft derweil für alle überraschenderweise André Heller ein. Der Zauberer betritt ein wenig zaudernd die Terrasse, zupft leicht verlegen imaginäre Haare von seiner chicen Kapuzenjacke und schaut ins Weite, wo Christian Stückl sich müht, dass aus der Eröffnung doch noch eine runde Sache wird. Heller hat einen lila Rollkragenpullover an. Er sieht ein bisschen priesterlich darin aus, vielleicht ist das kein Zufall. Es kommt immer noch auf seinen Segen an, was die WM und ihre Eröffnungsveranstaltung betrifft. Heller sagt zum griechischen Wirt, der schon die ganze Zeit große Augen macht, dass er ein „stilles Wasser“ haben möchte. Das klingt, als bestelle er ein erlesenes, mehrgängiges Menü. Zur Sicherheit wiederholt er alles noch mal. Und Apfelsaft, aber „separat“, und „ned so koid, bitte!“ Der Wirt bekommt die Augen gar nicht mehr zu. Heller schaut wieder in die Ferne. Er schwebt immer über den Dingen, und jetzt erst recht, wo er sie praktisch losgelassen hat.

Unten steht Stückl. Er gestikuliert. Redet. Schiebt an. Und raucht. Heller atmet hörbar ein. „Mir verstehn jo deren Dialekt goar net“, sagt er wie ein Träumer. Seine Begleiter nicken. André Heller hält die Arme verschränkt, während er noch einmal betont, dass es ihm nichts mehr ausmache, auf die bis ins Detail überlegte Berliner WM-Eröffnung verzichten zu müssen. München ist der letzte übrig gebliebene Konzeptzipfel Hellers, ein Trosttücherl allenfalls, mit Plattlern und Haufen Volks und hippen Tänzen, aber das konnte er nicht auch noch selber machen.

Heller kannte Christian Stückls schöne Neufassung des Salzburger „Jedermann“, und man schwärmte ihm vor von ihm als Oberammergauer Passionsspielleiter und Münchner Volkstheaterchef. Wann immer auf der Bühne und in Bayern Menschen in Mengen bewegt werden müssen, fällt sofort der Name Stückl. Insofern klingt es fast kokett, wenn dieser selbst sagt, er habe „Warum ich?“ gedacht, als Heller vor einem Jahr bei ihm anrief. Wer sonst? Stückl kann das „Warum-ich“-Gefühl aber gut erklären.

Er ist jetzt zwar 44 Jahre alt, hat vor zwei Jahrzehnten schon als dort Gebürtiger Oberammergau gestemmt und ist mittlerweile auch noch in der Oper daheim, aber Fußball hat Christian Stückl nie interessiert. Ein Mal war er in der Jugend mit dem Großvater im Stadion, Grünwalder Straße, dann erst wieder, als der FC Bayern in dieser Saison in der Allianz-Arena gegen den MSV Duisburg spielte. Stückl ist das Spiel Wurst, immer noch, aber die Atmosphäre hat ihm gefallen: „Wann singen Männer schon freiwillig im Chor?“ Dass er sich im Augenblick zu viel aufhalst, weiß Stückl selber.

Seine rechte Hand im Volkstheater, Frederick Mayet, meint, dass er zumindest die Salieri-Oper in Köln hätte fallen lassen sollen. Allerdings war der Vertrag schon zwei Jahre unterschrieben. Und nun ist halt alles so, wie es ist, das heißt sehr arbeitsintensiv und für manche Beteiligten auch schon mal am Rand persönlicher Nervenzusammenbrüche. Wenn es nach Stückl gegangen wäre, hätte er so eine Art von „Kuhballett“ inszenieren wollen, aber da haben die bei der Fifa gleich wieder mit den Augen gerollt.

Im Grunde genommen hat den älteren Herren so etwas vorgeschwebt wie bei den Olympischen Spielen 1972, als München anfangs fast in die Luft gegangen wäre vor lauter Lebensleichtigkeit: das Ganze als Soft 2006 Version verblendet. Dafür, dass am heutigen Freitag trotz schrägster Einfälle die Leute erst einmal am Boden bleiben, haben dann unter anderem die bayerischen Trachtenverbände gesorgt. Die waren schon beim Heller, als der Stückl noch gar nichts von seinem Glück und Stress wusste.

Stückl hat jetzt 1300 Laien beieinander, die er fast alle selber gecastet hat: Goaßlschnoizer, Schellenrieder, Tänzer und Trommler, dazu seine Hauskapelle, die Jungen Riederinger Musikanten. Weiterhin treten jede Menge Breakdancer auf, denn Bayern besteht, entgegen oft anders lautenden Gerüchten, eben nicht nur aus Schuhplattlern. „Bayern kommt vor, Deutschland kommt vor, und die Welt kommt vor.“ So viel immerhin lässt sich André Heller entlocken. Und der Schlusschor aus Beethovens Neunter, sagt Stückl, wobei ihm reicht, dass anfangs immer nur das Wort „Freude“ wiederholt wird. Die Jüngsten flitzen dann diagonal durchs Stadion: In Kirchheim halten sie weiße Stoffbahnen in den Händen, die sie in Windeseile aufrollen müssen. Stückl ruft: Rennts, rennts, rennts – bis er heiser ist.

Eine Milliarde Menschen werden die Eröffnungsshow verfolgen, 70 000 Zuschauer sitzen im Stadion. Christian Stückl aber fürchtet sich nicht. Dafür ist er zu sehr Rampensau und Bühnentier. Karten für das Spiel Deutschland – Costa Rica hat er übrigens keine; aber er geht nach der Vorstellung eh am liebsten mit der ganzen Bagage ins Wirtshaus und inszeniert das Stück im Kopf noch einmal nach.

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