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Alberto Giacomettis Atelier ist voller Spuren. Von der Staffelei über das Sofa bis hin zum gefüllten Aschenbecher ist alles noch da.

© Giacometti Estate Paris 2018

In Erinnerung an Alberto Giacometti: Die Rumpelkammer wird zu neuem Leben erweckt

40 Jahre lang arbeitete er im Pariser Stadtteil Montparnasse. Nun wurde das Atelier des Malers und Bildhauers Alberto Giacometti in einem nach ihm benannten Institut rekonstruiert.

Als Alberto Giacometti 1966 stirbt, versucht seine Witwe, das Atelier zu halten. Dabei arbeitete der große Künstler in einem winzig kleinen, unscheinbaren Anbau in der Pariser Rue Hippolyte-Maindron: Eine Bruchbude im Quartier Montparnasse mit gestampfter Erde als Fußboden und ramponierten Möbeln auf einer Fläche von gerade einmal 23 Quadratmetern. Giacometti hatte sein Refugium 1925 angemietet und später um ein zweites Zimmerchen zum Schlafen ergänzt. Das Bettsofa mit dem typischen Streifenmuster, das auf so vielen alten Atelier-Fotografien zu sehen ist, diente ihm die meiste Zeit als Ablage. Oder als Sitzgelegenheit für die unzähligen Freunde, die den Bildhauer und Maler besuchten; darunter Pablo Picasso, Jean-Paul Sartre, Georges Braque oder Jean Genet.

Es ist ein Ort voller Spuren, das Vermächtnis eines intensiven Künstlerlebens. Man kann Annette Giacometti, die dort selbst unzählige Male Modell gestanden hatte, gut verstehen. Doch es ging nicht nur um nostalgische Erinnerungen. Annette begriff früh, dass sie es mit einem Gesamtkunstwerk zu tun hatte und wollte neben den transportablen Dingen auch jene Zeichnungen und Notizen retten, die ihr Mann in den Jahrzehnten überall an den bräunlich gefärbten Wänden hinterlassen hatte. Aber der Besitzer des Schuppens – anders lässt sich das kleine Nebenhaus kaum nennen – wollte das Haus nicht verkaufen. Daraufhin räumte die Witwe alles ab, was mit ihrem Mann in Verbindung stand. Von der Staffelei über das Sofa bis zum Aschenbecher mit den zerknautschten Zigarettenstummeln des Künstlers. Den Putz trug sie auch ab.

Selbst der volle Ascher steht noch an seinem alten Ort

All das ist nun die Basis von Giacomettis wiederauferstandenem Studio. Gerade hat es, als Teil des neuen öffentlichen Institut Giacometti, in Paris eröffnet. Ein gelungener Ort. Was nicht selbstverständlich ist, wenn selbst der volle Ascher erneut an seinem Platz auf dem mit Malutensilien übersäten Tisch steht: Rekonstruktionen wie diese gleiten leicht ins Kitschige ab. Auch befindet sich das Atelier nicht am originalen Ort, obgleich das historische Gebäude noch existiert. Es sei allerdings noch weiter heruntergekommen, erzählen die Mitarbeiter der Fondation Giacometti, zu der das junge Institut gehört.

Alberto Giacomettis in seinem Studio, 1950.
Alberto Giacomettis in seinem Studio, 1950.

© Giacometti Estate Paris 2018

Am Ende ist der kleine geografische Fake wohl die bessere Lösung. Das Institut, für dessen Behausung die Stiftung ein Gemälde von Matisse aus Giacomettis Nachlass hat versteigern lassen, residiert ebenfalls im Künstlerviertel Montparnasse. Ein paar Straßen weiter und mit Blick auf den Friedhof des Quartiers – die gleiche Situation wie bei Giacomettis allererstem Pariser Atelier, das der gebürtige Schweizer nach seiner Ankunft 1922 in der französischen Metropole anmietete. Von diesen Arbeitshöhlen der malenden und bildhauernden Avantgarde, mit denen die Stadt einst so reich gesegnet war, ist ohnehin nicht viel geblieben. Wer sich etwa auf die Suche nach dem Bateau- Lavoir macht, jenem legendären Haus auf dem Montmarte, wo unter anderem Picasso seine Bilder schuf, steht vor der falschen Adresse: Das „Bateau Lavoir“ von heute ist ein Ladengeschäft im Nachbarhaus.

Auch das Atelier des Bildhauers Constantin Brâncusi befand sich zu dessen Lebzeiten nicht auf der Place Georges- Pompidou, sondern wurde dort 1997 neu errichtet und aus dem Nachlass des Bildhauers bestückt. Auch wenn Paris seinen Ruf als Zentrum der Moderne pflegt und mit ihm das Andenken an jene Orte, wo ihre Ikonen entstanden: Die authentischen Ateliers blieben oft sich selbst überlassen und verfielen.

Zum ersten Mal findet Giacomettis Nachlass einen festen Ort

Erhalten sind dagegen die prächtigen Wirkungsstätten von Künstlern wie Gustave Moreau. Der erfolgreiche Symbolist hatte das Haus seiner Eltern in der Rue de la Rochefoucauld als Arbeits- und Lebensort übernommen und es selbst noch 1895 zu einem Museum für das eigene Werk umgebaut. Auguste Rodin, dessen Atelier in der prachtvollen Villa Hôtel Biron zu besichtigen ist, hatte hier tatsächlich Arbeitsräume, auch wenn sie nicht das Zentrum seines Schaffens waren.

Das gesamte Inventar samt Wandzeichnungen ist in die Rue Schaelcher umgezogen.
Das gesamte Inventar samt Wandzeichnungen ist in die Rue Schaelcher umgezogen.

© Giacometti Estate Paris 2018

Für Giacomettis Erbe gab es bislang überhaupt keinen festen Ort. Annette Giacometti gründete vor ihrem Tod 1993 eine Stiftung für die knapp 5000 Zeichnungen und 350 Skulpturen, 90 Gemälde, Manuskripte, Bücher und Fotos ihres Mannes. Sichtbar waren die Werke bislang nur als Leihgaben für Ausstellungen. Die Fondation Giacometti ist zwar mitten im touristischen Odeon-Viertel zu Hause, die Öffentlichkeit hat hier allerdings keinen Zugang. Sie darf nun in das Institut, wenn auch nur mit Anmeldung, weil nicht mehr als 40 Besucher gleichzeitig in die Räumlichkeiten passen. Beim Kauf des Hauses aus dem späten 19. Jahrhundert hatte die Fondation ein zweites Mal Glück. Weil sich die Erben des Gebäudes lange nicht einig waren, wurden das Erdgeschoss und die erste Etage über Dekaden nicht angetastet. Hier sieht es, nach einer behutsamen Restaurierung, wieder wie zu Zeiten des Hausherrn Paul Follot aus. Follot, ein Pariser Designer an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, gestaltete sein Stadthaus als begehbare Visitenkarte. Sein gesamtes Repertoire findet sich hier: von der neugotischen Kamingestaltung über gemusterte Wandbespannungen aus Seide bis hin zu Fußböden in schönstem Art déco. Follots ehemaliger Arbeitsraum im ersten Stock wird von einem Glasdach überwölbt. Jetzt ist er komplett weiß gestrichen und lässt Möbel, Bibliothek und Skulpturen optisch schweben.

Die Kraft und Kreativität des Künstlergenies erfüllt das ganze Haus

Natürlich passt Giacomettis Rumpelkammer hier nicht hin. Das rekonstruierte Atelier flankiert vielmehr den Eingangsbereich der Villa. Ihr langer Flur wurde um einen tiefer liegenden Raum erweitert und mit Stufen wie in einem Freilichttheater versehen, auf denen man sitzen und in das möblierte Chaos hinunterschauen kann: Giacomettis Mantel liegt auf dem Bett, halb ausgedrückte Farbtuben bedecken den Tisch und auf dem Boden stehen diverse Gipsfiguren. Betreten lässt es sich nicht, der Ort ist komplett musealisiert. Die übrige Fläche wird als Ausstellungsraum genutzt. Für Werke befreundeter Künstler wie für Arbeiten von Giacometti, die die Fondation kaum noch ausleiht, weil sie fragil sind wie die spindeldürre „Femme de Venise“ von 1956.

Giacomettis Kraft und Kreativität vermitteln sich im ganzen Haus. Sie kriechen förmlich aus den Wänden. Erst jetzt wird klar, wie unglaublich vorausschauend Annette Giacometti vorgegangen ist. Fotografien von 1972 dokumentieren den aufwendigen Abbau des Ateliers. Der Arbeitsraum des Verstorbenen wird sukzessive eingepackt, der Putz in Rechtecke geschnitten, beschriftet und für einen späteren Wiederaufbau vorbereitet. Jean Genet, dessen Briefe in der Ausstellung hängen, beschrieb Mitte der fünfziger Jahre das Atelier seines Freundes und entdeckte dort „inmitten alter Terpentinflaschen seine Palette der letzten Tage: eine Schlammpfütze aus unterschiedlichem Grau“. Giacomettis rekonstruiertes Studio ist die bildwürdige Ergänzung zu Genets poetischen Zeilen.

Institut Giacometti, 5 Rue Victor Schoelcher, 75014 Paris, Di 14-18 Uhr, Mi-So 10-18, Reservierung unter: www.fondation-giacometti.fr

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