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Kultur: In fremden Betten

Bad als Bühne: Das Theaterstück „Livingrooms“ kommt nach Hause. Man kann es auf Ebay ersteigern

Die Über-Kopf-Ins-Bett-Kuschelschwünge von Fräulein Kölmel sind überaus sehenswert. Wie sich die kleine, wendige Dame behende ins Laken rollt, zeugt von Eleganz. Fräulein Kölmel mit den Rehaugen ist ein glückliches Fräulein. Als Assistentin einer Wohlfühlagentur ist sie spezialisiert auf das, was ihr Freude bereitet: Vorbildlich räkelt sie sich auf fremden Sofas, um den jeweiligen Möbelstückbesitzer, der angesichts seines ewig gleichen Mobiliars nur noch gelangweilt gähnen kann, wieder von der Wohlfühl-Tauglichkeit seiner Inneneinrichtung zu überzeugen. Alternativ von der Attraktivität seines Badezimmerteppichs. Gerne würde das Fräulein noch so manches Möbel rehabilitieren. Auch für wenig Geld. Sie ist eben Idealistin. Und obwohl Fräulein Kölmel nicht real ist, könnte sie bald auch in Ihrer Wohnung, in Ihrer ganz privaten Sphäre auftauchen.

Die junge Schauspielerin Christine Rollar alias Fräulein Kölmel sitzt am Küchentisch und lacht bei dem Gedanken daran, dass sie bald in Wohnungen auftreten wird, die sie nie zuvor gesehen hat. Die Idee von Regisseur Tobias Rausch findet sie ziemlich aufregend. Die Inszenierung „livingrooms“, deren Titel gleichermaßen als „Wohnzimmer“ und als „lebende Räume“ zu verstehen ist, kann prinzipiell in jeder Wohnung aufgeführt werden. Unwichtig, ob Sie in einem Einzimmerappartement leben und Ihre Küche aus einer Elektro-Herdplatte besteht. Hauptsache, Ihre Wohnung hat eine Tür. Die allerdings ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass „livingrooms“ zu Ihnen nach Hause kommt.

Auch für solche, denen das neuartige Wohnzimmertheater schon bekannt ist, ist dieser Aufführungsort eine ungewöhnliche Wahl, weil die Wohnungen im Vorfeld unbekannt sind und mit jeder Aufführung wechseln. Außergewöhnliches hat sich Tobias Rausch auch für den Verkauf der Inszenierung einfallen lassen: Ab heute wird sein Stück im Internetauktionsforum Ebay versteigert. Für die erste Aufführung am 21. August kann eine Woche lang geboten werden, das Einstiegsgebot liegt bei einem Euro. Wagemutig sind sie also, die „Lunatiks“ und, wie der Name schon sagt, auch verrückt. Reich werden aber können die professionellen Theatermacher mit dieser Idee wohl kaum. Darum arbeiten sie parallel zu diesem, von den Sophiensälen geförderten Projekt in anderen Produktionen.

So auch Rollars Spielpartner Christian Banzhaf, der am Max-Reinhardt-Seminar studierte und vom theaterbegeisterten Wiener Publikum verwöhnt ist. In Tobias Rauschs Improvisationstheater erarbeiten die Schauspieler einzelne Szenen, Regisseur Rausch verdichtet sie zu Modulen. Damit ist die Truppe für den Fall gerüstet, dass dem Wohnungsinhaber, der die Inszenierung ersteigert, das Badezimmer heilig ist. Das Modul Badezimmerszene würde kurzerhand ausgespart, was der Dramaturgie des Stücks angeblich nicht schadet.

Inzwischen spielt Banzhaf, ein charmanter Lockenkopf, den GEZ-Mann, der heimlich in Fräulein Kölmels Wohnung eindringt – zunächst nur sichtbar anhand der Spuren, die er hinterlässt. Ungebeten räumt er ihr Leben auf, wie sie normalerweise die Privatsphäre anderer Menschen aufräumt. Die in der morgendlichen Hektik vergessene Kaffeetasse etwa spült er und stellt sie zurück ins Regal. Als sie am Abend nach Hause kommt, befürchtet sie angesichts der Veränderungen, ihre Wohnung führe ein Eigenleben. Christian Banzhaf als GEZ-Mann blüht in der räumlichen Nähe zum Zuschauer geradezu auf. Dass diese Inszenierung in privaten Räumen nicht privat sein wird, darüber entscheidet ausschließlich die schauspielerische Leistung der Darsteller. Der eine unberechenbare Faktor aber bleibt: Wer die Zuschauer sind, erfahren Regisseur und Sounddesigner zwar in einem Vorgespräch mit den Wohnungsbesitzern. Die Schauspieler aber springen ins kalte Wasser.

Das Team um Tobias Rausch ist dennoch optimistisch, man lässt sich überraschen. Mit theatralen Notsituationen kennen sie sich aus. Schließlich entstand die Idee, sich auf Theatererlebnisse besonderer Art zu spezialisieren, aus einer Notsituation. In der Zeit, als noch über die Schließung der Bühne des Tacheles diskutiert wurde, fragten sie nach Orten außerhalb der städtischen Bühnen, an denen überhaupt noch Theater stattfinden könne. Eine Frage, die inzwischen vielerorts variantenreiche Antworten – beispielsweise gerade Theater in einem Berliner Schrebergarten – gefunden hat. Rausch hält gern damit hinter dem Berg, was ihn so alles umtreibt. Derzeit promoviert er an der Humboldt Universität im Fach Philosophie. Seiner frischen, unvoreingenommenen Theaterarbeit jedenfalls, in der er sich jetzt auf pfiffige Weise dem Thema Heimat nähert, ist seine Neigung zur Theorie nicht anzumerken.

Kirsten Wächter

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