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Kultur: In Görlitz zieht die Sanftmut ein

Eine Berliner Ausstellung zum Denkmalschutz

Lässig liegen sie da, hoch unter dem Dach, gemeißelt aus zartgrauem schlesischen Sandstein. Dass die Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung, ihre christlichen Kolleginnen Glaube, Liebe, Hoffnung und, als Görlitzer Zutat, die Sanftmut im 433. Jahr wieder zuversichtlich aufs staunende Volk herabschauen können, verdanken die kapriziösen Renaissancedamen ihrer exemplarischen Restaurierung.

Im Rahmen ihres Denkmalprogramms sanierte die Wüstenrot Stiftung das „Biblische Haus“ in Görlitz. Anfang September konnte es nach über dreijähriger Bauzeit übergeben werden. Das 1572 vollendete Wohn- und Geschäftshaus eines wohlhabenden Waidhändlers – pflanzliches Färberwaid lieferte den blauen Indigofarbstoff, ehe es im späten 16. Jahrhundert von Importen aus Indien und Amerika verdrängt wurde – gilt als Wunderwerk böhmisch-sächsischer Renaissancebaukunst. Seine Fassade erzählt, unbekümmert wie ein Bildteppich, Episoden aus dem Alten und Neuen Testament.

Die gemeinnützige Unternehmensstiftung hat seit 1992 zwölf Baudenkmäler wiederbelebt, darunter den Potsdamer Einsteinturm und das Dessauer Muche-Schlemmer-Haus. Drei weitere Projekte, Le Corbusiers Doppelhaus in der Stuttgarter Weissenhof-Siedlung, das Haus von Luthers Mitarbeiter Johannes Bugenhagen in Wittenberg und die in den Zwanzigerjahren von Otto Haesler errichtete Altstädter Schule in Celle, werden vorbereitet oder sind im Bau. Heute Abend eröffnet an der Technischen Universität eine Ausstellung, die alle Wüstenrot-Denkmalprojekte vorstellt.

Ein Grundsatz bei der Denkmalpflege der Stiftung ist: Ehe Gelder fließen, muss klar sein, dass das Haus später öffentlich genutzt wird. In der Görlitzer Neißstraße ziehen das städtische Denkmalamt und die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften ein. Eine anonyme Büroadresse hinter prächtigen Mauern ist aus dem „Biblischem Haus“ nicht geworden. Im Gegenteil, vieles wurde auch ohne Funktion erhalten, von der bemalten Holzbalkendecke im Saal bis zu Uromas alltagsblinden Gaslampen. Eine Herausforderung für den Alltagsbetrieb. Die neuen Nutzer werden ihre Haustugenden gebrauchen können.

Ausstellung im Architekturgebäude der TU, Straße des 17. Juni 152, bis 3. Dezember, Mo-Fr 9-18 Uhr. Eröffnung heute, 19.30 Uhr, mit dem Vortrag von Berthold Burkhardt über „Erhaltung und Instandsetzung von Bauten der Moderne.“

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