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Kultur: In gruftigen Höhen

Laborversuch: Sieben Komponisten vertonen ein Libretto von J. S. Foer an der Berliner Staatsoper

Schöne Vorstellung: Die Sänger klettern an langen Seilen nach oben oder unten, während sie ab- oder aufsteigende Skalen singen. Notenlinien, denkt man sofort, eine spielerisch in die Senkrechte gekippte überdimensionale Partitur. Und jeder Ton ein Mensch. So ähnlich steht es im Opern-Libretto von Jonathan Safran Foer, und man freut sich auf diese dritte Episode von „Seven Attempted Escapes from Silence“: Wie wird Komponistin Annette Schmucki, wie wird Regisseurin Katarzyna Kozyra das Bild vom Bild der Musik zum Klingen bringen?

Jonathan Safran Foer sitzt bei der Uraufführung seines Opern-Erstlings im Magazin der Staatsoper mitten im Publikum. Die Staatsoper liebt es, Prominente aus den anderen Künsten ins Haus zu holen: nach Percy Adlon, Doris Dörrie und Bernd Eichinger nun den Jungstar der US-Literaturszene. Am Ende weigert sich Foer, auf die Bühne zu kommen. Schüchternheit? Enttäuschung? Ärger? Seltsame Vorstellung: Keiner klettert an Seilen. Foers sieben Opern-Episoden, wie sie da von sieben Komponisten und sieben Regisseuren realisiert werden, sind kaum wiederzuerkennen. Vielleicht erklingt ja deshalb am Anfang jeder Episode Foers Stimme vom Band, mit Passagen aus seinen Regie-Anweisungen – an die sich dann keiner hält. Bei einer Uraufführung wünschte sich selbst der Regietheater-Fan so etwas wie Werktreue.

„Sieben Versuche, dem Schweigen zu entkommen“. Der Schauplatz: ein Lager, ein Hades, ein Knast. Seine Insassen, die Sänger, kommen wie Untote aus Löchern zum Vorschein: Gefangene oder Patienten, die den Episoden-Titeln entsprechend „Mauern“ überwinden, „Türen“ und „Fenster“ öffnen wollen oder eben an „Seilen“ zu entkommen trachten, jedenfalls im Libretto. Sie dürfen nicht leben, haben keine Sprache, können nicht sterben, wie bei Beckett: Also singen sie. Nur der Wärter artikuliert sich mit Worten. Ein Totengräber und Conferencier – auch er Gefangener seiner Funktion.

Zeitgenössisches Musiktheater als Reflex auf die klassische Oper, die spätestens seit „Orpheus und Eurydike“ im Vorhof von Himmel und Hölle spielt, im Zwischenreich von Leben und Tod: Foer bestellt das Genre in die Werkstatt, unterzieht es einem Materialtest, studiert die Grenzen der Sprache und reichert sein Libretto mit Andeutungen auf seine eigene Sprachlosigkeit angesichts von Amerika nach der Wiederwahl Bushs an. Das Materialdepot der Lindenoper mit seinem von Galerien umsäumten Atrium und den Stahltüren vor den Lagerräumen ist ein vorzügliches Labor für seine Versuchsanordnung. Ein Kafka-Ort, wie Foer selbst sagt: Labyrinth der Ängste, Echoraum des Verstummens.

Und was tun die von der Komponistin Isabel Mundry ausgesuchten jungen Komponisten aus aller Welt? Sie nähern sich, wie der Libanese Karim Haddad in der ersten Episode, behutsam, pianissimo. Der Wärter ist eine Frau, sie spricht mit näselnder Arroganz ins Mikrofon, während die Gefangenen ihre Töne sekundendicht aneinander schmiegen, mit offenen, schreckerstarrten Mündern. Gregorianische Cluster, die sich in Miroslav Srnkas zweiter Episode in schockgefrorenes, panisches Stammeln ausweiten. Es folgen Minimal Music, Dada und Monodie, Horrormovie-Soundtrack (Larisa Vrhunc) , Jazziges mit Banjo und Saxofon (Bernhard Lang) und am Ende eurythmisches Atmen (José Maria Sánchez-Verdú). Ein Laborversuch auch das, dem sich das Staatskapellen-Ensemble unter Leitung von Max Renne mit neugieriger Sorgfalt unterzieht: akademisch dekomponierte, gescratchte, gesampelte Oper.

Die internationale Regie-Riege reagiert auf Foers Abstraktionen mit enigmatischen Assoziationen. Warum tragen die Gefangenen plötzlich Brautkleider in der vom Hausherrn Peter Mussbach inszenierten „Wall“-Episode? Warum verwandelt sich der Wärter in „Doors“ in einen mit Plastiktüten bepackten, zotteligen Fidel Castro, der mit dem Schattenspiel seiner Vampirhände vor geöffneten Gräbern an Nosferatu gemahnt? Warum schickt der Choreograf Xavier Le Roy die Sänger, die sich so wagemutig wie souverän in ihre schwierigen Partien stürzen, kurzerhand ins Publikum, wo sie die Wörter in rhythmische Silbenmuster zerlegen? Und warum konterkariert der Videotext der Schluss-Episode all diesen philosophisch-heiligen Ernst mit lustig-banalen Pointen? „In wenigen Sekunden ist dies alles Vergangenheit. 4, 3, 2, 1 ...“

Es handele sich, hatte Foers Band- stimme anfangs gesagt, um ein Experiment, das mit der Aufführung nicht zum Abschluss komme, sondern nur unterbrochen werde. Die immer wieder totgesagte Oper braucht für ihre Zukunft solche Experimente. Deshalb ist es gut, dass die Berliner Opern sich zum Saisonstart 2005/06 der zeitgenössischen Musik verschreiben und dass große Häuser wie die Staatsoper Schutzräume für Studioproduktionen eröffnen, in denen sich die Musiktheatermacher von morgen artikulieren und ausprobieren können. Auch wenn das Ergebnis rätselhaft bleibt.

Einmal, in Sjoerd Vreugdenhils „Windows and Mirrors“, ragen die Sänger, an Sicherungsseile gespannt, von den Galerien in den Luftraum des Atriums hinein. Eine schräge Menschen-Architektur: Sie könnten abstürzen, jeden Moment. Cathy Milliken hat dazu eine zögernde, tastende Trauermusik komponiert, die die unüberwindbare Entfernung zwischen ihnen wenigstens akustisch überspannt. Ein Trost, immerhin, auf verlorenem, lebensgefährlichem Posten.

Magazin der Staatsoper. Wieder am 17., 19., 21.,25.,27. und 30.9., 20 Uhr

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