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Kultur: In guter Tradition

Neues Bauen in Berlin: Der Askanische PlatzVON JÜRGEN TIETZDer Askanische Platz in Kreuzberg bietet ein charakteristisches Beispiel für die Berliner Achitekturentwicklung der letzten 150 Jahre.Sein großstädtisches Erscheinungsbild erhielt der Platz an der Schnittstelle der heutigen Stresemann- und Schöneberger Straße durch Franz Schwechtens Anhalter Bahnhof (1876/80).

Neues Bauen in Berlin: Der Askanische PlatzVON JÜRGEN TIETZDer Askanische Platz in Kreuzberg bietet ein charakteristisches Beispiel für die Berliner Achitekturentwicklung der letzten 150 Jahre.Sein großstädtisches Erscheinungsbild erhielt der Platz an der Schnittstelle der heutigen Stresemann- und Schöneberger Straße durch Franz Schwechtens Anhalter Bahnhof (1876/80).Mit dem spätexpressionistischen Europahaus von Bielenberg und Moser (1926/27) und dem angrenzenden, 11stöckigen Hochhaus von Otto Firle (1928/31) bekam er sogar eine weltstädtische Note.Doch in der Folge des Zweiten Weltkriegs degenerierte der Platz zum Torso.1961 wurde die noch immer beeindruckende Ruine des Anhalter Bahnhofs gesprengt.Gegenüber dem Portalrudiment, das als fragwürdiges Feigenblatt stehen blieb, entstand die mittelmäßige Hochhausscheibe des ehemaligen "Saskatchewan". Mit dem Verlust seines baulichen Rahmens war der Askanische Platz kaum noch als Platz wahrzunehmen und dämmerte in klassischer Berliner Stadtrandlage vor sich hin.Erst durch die IBA-Bauten an der Schöneberger Straße setzte in den achtziger Jahren eine Aufwertung der Umgebung ein. Das Wohn- und Geschäftshaus, das Rüdiger Baumann vom renommierten Düsseldorfer Architekturbüro Hentrich, Petschnigg und Partner (HPP) für die Haberent Grundstücks-GmbH entworfen hat, gibt dem Platz seine seitlichen Fassung zurück.Gleichzeitig wird ein klares Gegenüber zur Restruine des Bahnhofs mit der angrenzenden Freifläche geschaffen.Nachdrücklich unterscheidet der Neubau zwischen einer Straßen- und einer Platzfassade.Während sich die Front zur Schöneberger Straße bewußt als eine geschlossene Lochfassade präsentiert, öffnet sich die Fassade zum Platz hin mit durchlaufenden horizontalen Fensterbändern im Stil der klassischen Moderne der zwanziger Jahre. Die Ladengeschäfte, die wieder Leben auf die südliche Platzseite bringen sollen, zeichnen sich durch ihre fast vollständig transparente Front aus.In Anlehnung an Vorbilder der Jahrhundertwende sind die Geschäftsräume doppelgeschossig ausgeführt.Zwischen beiden Geschossen entstehen durch die Anordnung der Treppen und Galerien großzügige Lufträume.Dies bedeutet zwar ökonomischen Verlust, da mögliche Verkaufsfläche wegfällt; architektonisch erweisen sie sich jedoch als Gewinn, da sie für eine spannungsvolle Raumsituation sorgen. Die schmalen Streifen der Natursteinverkleidung des Gebäudes aus römischem Travertin nehmen die horizontale Ausrichtung der Fensterbänder der Platzfront auf.Die oblongen Streifen der Fassadenverkleidung mit ihrer porösen Oberfläche verleihen dem Gebäude Lebendigkeit und verhindern gleichzeitig seine Monumentalisierung.Das Ergebnis ist eine reizvolle Variante der aktuellen Berliner Naturstein-Manie. So differenziert sich die Fassaden des Baus und die Gestaltung der Ladengeschäfte präsentieren, so differenziert ist auch der Aufriß des Gebäudes.Der kubische Baukörper gliedert sich in zwei Teile, dem die unterschiedlichen Funktionseinheiten entsprechen.Über den Läden schließen sich bis zur klassischen Berliner Traufhöhe von 22 Metern weitere vier Stockwerke für Büronutzungen an.Die restlichen sieben Meter des insgesamt 29 Meter hohen Baus sind den obligatorischen zwanzig Prozent Wohnnutzung vorbehalten.Doch im Gegensatz zu den zurückgesetzten Staffelgeschossen, mit denen man an der Friedrichstraße die zusätzliche Gebäudehöhe stadtverträglich zu bewältigen sucht, wurde hier eine andere Lösung angestrebt.Die Wohneinheiten sind in eine skulptural modellierte Dachlandschaft mit begrünten Terrassen integriert.Dadurch wird der angenehm luftige, weil ohnehin stark durchfensterte Bau nach oben hin zusätzlich aufgelöst.Als "Wohnen auf dem Dach statt wohnen im Dach" formuliert Rüdiger Baumann dieses Konzept.Getrennte Treppenhäuser ermöglichen eine jeweils eigene Erschließung von Wohn- und Geschäftsbereich.Die Grundrisse der vier eingeschossigen und vier Maisonette-Wohnungen sind nur zwischen 40 und maximal 90 Quadratmetern groß.Das Ergebnis sind klassische Single-Wohnungen, die zwar einen (noch) unverbauten Blick auf die Reichstagskuppel gewähren, aber durch die mangelnde Großzügigkeit den schwächsten Teil des Gebäudes darstellen. Zu den besonderen Reizen des Baus gehört sein Patina-Effekt.Er wird durch die Wahl der Baumaterialien erzielt und soll dem Gebäude ein würdiges Altern ermöglichen.Während das kanadische Zedernholz der Fenster im Lauf der Jahre einen silbergrauen Schimmer annehmen wird, soll die heute noch gelbliche Travertinverkleidung weißlich ausbleichen.Eine Vorstellung von der zukünftigen Farbigkeit der Fassaden gibt Emil Fahrenkamps legendäres Shell-Haus am Reichpietschufer von 1930/31.

JÜRGEN TIETZ

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