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Kultur: In Krampnitz tobte drei Tage lang der zweite Weltkrieg . Nur während der Zigarettenpausen herrschte für einige Minuten Frieden

Festes Schuhwerk hatte die Pressebetreuung vorgeschrieben, doch soviel Schlamm übersteigt die Vorstellungskraft. Die ganze Palette: Vom schlierigen Modder über schwammigen Morast bis zum grobkörnigen Mergel.

Festes Schuhwerk hatte die Pressebetreuung vorgeschrieben, doch soviel Schlamm übersteigt die Vorstellungskraft. Die ganze Palette: Vom schlierigen Modder über schwammigen Morast bis zum grobkörnigen Mergel. In der kräftigen Wintersonne glitzert schwarzes Wasser in tiefen Pfützen. Das Personal trägt Gummistiefel und Stutzen, wie beim Skifahren, oder gleich ganze Skianzüge der Marke Panther. Oder sind das Kampfanzüge? Der gemeine Soldat, ob deutsch oder russisch, hat nur schmutzige Filzmäntel und Schnürstiefel. Krampnitz im Februar 1999 oder Stalingrad im Herbst 1942, wer will da unterscheiden?

Von hinten sehen die Kulissen dann doch wie Kulissen aus, mit einem dichten Metallgitter an die dunkle Erde gezwungen. Wir gehen durch ein Portal, vorbei an Schuttbergen, und stehen plötzlich im Krieg. Rennende, stürzende Soldaten, klatternde Schüsse wie Knallteppiche, Explosionen, Rufe und viel beißender Rauch, weiß und grau und braun. Im Hintergrund fensterlose Ruinen im Gegenlicht. Die Russen greifen an, von links nach rechts. Rechts sitzen die Deutschen. Die haben jetzt Pause.

In den ehemaligen russischen Kasernen von Krampnitz bei Potsdam dreht der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud seine Sicht der Schlacht von Stalingrad. Drei Drehtage sind für die Kriegsszenen auf dem "Roten Platz" vorgesehen. Dort läuft im Film die entscheidende Schlacht. Der Rote Platz, das sind Tausende von Kubikmetern Geröll, Sand und Erde vor den bemalten Ruinenfassaden des Prawda-Hauses, des Kaufhauses und des Gorki-Theaters, originalgetreu nachempfunden, aus Holz, mit Skulpturen und Reliefs. Wohlproportioniert sind Lkw-Wracks und ausgebrannte Tramwagen in die Szenerie gestreut. Auch an verkohlte Baumstümpfe wurde gedacht. Mitten auf dem Platz steht, merkwürdig unzerstört, ein Brunnen, verziert mit einem Reigen fröhlich tanzender Kinder. Weiter rechts Stalin, 15 Meter hoch, aus Styropor. Das linke Ohr ist weggeschossen, im Herzen klafft ein tiefes Loch. Stalin sieht traurig über das Schlachtfeld in die Ebene von Krampnitz.

Ein lauter Pfiff, Klatschen. "Danke. Alles wieder auf Anfang." Die 600 Soldaten werden von zwei Regieassistentinnen mit Kopfhörer und Megafon befehligt, eine für die deutsche, eine für die russische Seite. Ihnen ist unbedingter Gehorsam zu leisten. Deshalb nennt man sie auch Komparsenscheucher. Die Deutschen, meist schmalgesichtige Jungmänner unterm Stahlhelm, antworten mit "Jawohl". Annaud hat jeden Komparsen persönlich ausgesucht. In Brandenburg spürt man den Osten, sagt er. "Die Menschen sehen authentisch aus, sind auch in ihrem Verhalten noch näher dran an den 40er und 50er Jahren." Wie soll man einen Stalingrad-Film mit blassen Engländern oder facegelifteten Kaliforniern machen?

Das Schlachtfeld wird für den Gegenangriff vorbereitet. Arbeiter füllen neuen Sprengstoff in die Granatenkrater. Darüber werden Vulkanasche, Kork und Blumenerde geschichtet, verrät ein Baggerarbeiter. Das sieht dann aus wie echt. Die Leichen-Dummies mit abgerissenen Köpfen und blutüberströmten Rümpfen bleiben einfach liegen. Annaud hat sich inzwischen mit seinem engsten Stab einen kleinen Feldherrnhügel an der deutschen Stellung eingerichtet.

Die ersten Feuer in den Fassaden brennen wieder. "Erstmal Probe ohne Geschieße. Seid bereit!" Ein Panzer fährt röhrend an, die Komparsen tun so, als würden sie schießen. Dann ist Probe mit Schießen. Eine Assistentin hat sich mit weißer Fahne vor der Kampflinie postiert. Senkt sie die Fahne, gilt Feuer frei. Jeder darf maximal zwei Magazine Platzpatronen verballern. Die Kettenfahrzeuge und die abgeänderten Karabiner-Gewehre gehören der Special-Effects-Firma, die auch das Schießtraining übernahm. Am liebsten hätte man Bundeswehrsoldaten eingesetzt, aber das Verteidigungsministerium weigert sich, in Kriegsfilmen mitzuspielen, die womöglich die Moral der Truppe untergraben.

Eine letzte Anweisung aus dem Megafon: "Denkt daran, es ist Krieg." Dann folgt ein langgezogenes tiefes "Aaaction" vom Feldherrnhügel, die weiße Fahne sinkt, und das Geknatter beginnt. Patronenhülsen hüpfen über den Stellungswall wie ein Schwarm Heuschrecken. Gelegentlich wirbeln Handgranaten durch die Luft, nur leider etwas zaghaft und viel zu früh. Alles nochmal auf Anfang. Krieg spielen ist nicht einfach, bringt aber viel Spaß, sagt ein mit roten Rinnsalen bemalter "Stuntkomparse", der für die Russen kämpft, aber nicht richtig russisch aussieht. Deshalb werden wohl keine Nahaufnahmen für ihn abfallen.

Nach sechs vergeblichen Angriffen ist erstmal Mittagspause. Der Rauch ist plötzlich weg, die Sonne dringt durch und macht aus dem zerbombten Kaufhaus eine ocker-leuchtende Renaissance-Ruine. Ein paar Soldaten schlendern über den zerfurchten Platz, Zigaretten rauchend, die anderen lassen ihre Waffen durchchecken. Entspannte Stimmung. Der Krieg ist plötzlich weit weg. Gab es so etwas auch in Stalingrad?

"Nach dem Essen sind die Russen wieder dran." Die Darsteller ruhen sich im kleinen Birkenwäldchen aus. Ein Feldlager vor Stalingrad wird nicht viel anders ausgesehen haben. Dann beginnt wieder der Krieg, zunächst als Stellprobe mitten im Sturmangriff. Der Komparsenscheucher kennt kein Erbarmen: "Knien sie sich in ihre Sterbeposition."

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