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Kultur: In seinem neuen Stück verklärt er den legendären französischen Präsidenten, Charles de Gaulle

Um die Gaullisten ist es schlecht bestellt. Sie haben die letzten Wahlen verloren und nur geringe Aussichten, die nächsten zu gewinnen.

Um die Gaullisten ist es schlecht bestellt. Sie haben die letzten Wahlen verloren und nur geringe Aussichten, die nächsten zu gewinnen. Jacques Chirac, der König im politischen Schachspiel, sieht sich mehr und mehr auf die Rolle eines Frühstückspräsidenten reduziert, während die Dame, Lionel Jospin, die Richtlinien der Politik bestimmt. Der altgläubige Teil der Gaullisten hat unter Führung des ehemaligen Innenministers Pasqua die Partei verlassen und eine separate "Sammlungsbewegung für Frankreich" gegründet. Um den Vorsitz der Restpartei streiten derzeit sechs Kandidaten. Das Fußvolk ist verwirrt und demoralisiert.

Da trifft es sich gut, dass Robert Hossein die Vaterfigur der Partei in einer Breitwandschau verklärt. Der heute 72-jährige Hossein war zunächst Filmregisseur und Filmschauspieler, letzteres mit einem deutlichen Hang zu Verbrechern und Verrückten: Im "Vampir von Düsseldorf" (1964), einem Remake von "M", mimte er den Massenmörder Peter Kürten. Nach einem Zwischenspiel als Intendant des Theaters von Orléans begann er Ende der siebziger Jahre selbstverfasste Großspektakel - halb Revue, halb Schulfunk - zu inszenieren. Im Mittelpunkt standen Marie Antoinette, Danton, Victor Hugo und andere volkstümliche Gestalten aus der französischen Geschichte. Seinen größten Erfolg bescherte ihm "Ein Mann namens Jesus" (1983): Nahezu 700 000 Besucher pilgerten in den Pariser Sportpalast, um die Passionsgeschichte persönlich mitzuerleben. Ein unvergesslicher Höhepunkt von Hosseins Regiekunst war die Pause: Während Jesus und seine Jünger kniend im Garten Gethsemane erstarrten, ging das Licht an, und mit dem Ausruf "Esquimau! Esquimau!" strömten Eisverkäuferinnen in den Saal. Nach einer halben Stunde, nachdem das Publikum seine dringendsten Bedürfnisse verrichtet hatte, erhob sich Jesus in heiligem Zorn und wies mit einem donnernden "Dehors!" die Wechslerinnen aus dem Tempel. Erschrocken flohen die Eskimo-Damen zum Ausgang. Kein Wunder, dass die Kritik über Hosseins Volkstheater die Nase rümpfte. Aber das Volk ließ sich von der Kritik nicht irremachen.

Sein letztes Spektakel, ein Destillat aus den "Angélique"-Romanen von Anne Golon, war allerdings ein Reinfall. Hossein hatte sich schwer verschuldet und schien ruiniert. Doch dann mehrten sich in rascher Folge die Zeichen, dass seine Karriere noch keineswegs beendet war. Am 18. Juni, dem Jahrestag von de Gaulles erster Rundfunkansprache aus London, weihte Bürgermeister Tiberi vor dem Palais de Congrès an der Porte Maillot ein gigantisches Lothringer-Kreuz ein. Zugleich wurde ganz Paris mit Plakaten überzogen, auf denen ein unbekannter junger Mann zu sehen war. Unterschrift: "Einer, der Nein sagte". Eine zweite Plakataktion eine Woche später löste das Rätsel: Der junge Mann war inzwischen gealtert, trug eine Generalsmütze, und mit ihm sollte der renovierte Kongresspalast eingeweiht werden. Die Kosten - 40 Millionen Francs - hatte der Unternehmer François Pinault vorgeschossen. Pinault ist nicht nur der drittreichste Mann Frankreichs, sondern auch ein enger Freund von Chirac. Am 6. Oktober hatte Hosseins neue Show im Beisein des Staatspräsidenten Premiere. Aber auch Kommunistenführer Robert Hue ließ es sich nicht nehmen, der Uraufführung beizuwohnen. Denn in "Einer, der Nein sagte" geht es um die Résistance, und die Kommunisten haben nicht die Absicht, deren Vermarktung allein den Gaullisten zu überlassen.

Die Show beginnt mit einem Trommelwirbel. Wenn sich der Vorhang zu den Klängen des Verdi-Requiems hebt, sehen wir 80 leblose Statisten auf zwei Treppen malerisch ausgebreitet - das geschlagene Frankreich. Danach brausen Stukas heran, und der schwere Tritt deutscher Knobelbecher dröhnt über die französische Erde: Wochenschaufilme sorgen für das dokumentarische Unterfutter. Die Statisten sind mittlerweile verschwunden, und aus dem Nebel der Geschichte tritt ein einzelner Mann: General de Gaulle ruft seinen Landsleuten aus London zu, sie hätten eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg. In diesem Dreivierteltakt geht es weiter: Trommelwirbel, Film, Tableau. Gelegentlich greift die Aktion auf das Parkett über: Deutsche Soldaten führen kommunistische Geiseln im Gänsemarsch zur Hinrichtung, oder Jean Moulin, de Gaulles Mann im besetzten Frankreich, streitet mit anderen Widerständlern, die im Publikum sitzen. Doch meistens sind es de Gaulle (Jacques Boudet) und Churchill (Robert Hardy), die streiten. Unter unzähligen Pappkameraden sind sie die einzigen halbwegs runden Charaktere. Hardy ist selbst Brite und hat den Kriegspremier schon oft im heimischen Fernsehen gespielt. Er darf als einziger Witze machen, wofür ihm das Publikum dankbar ist. Boudet hat die Bewegungen und den Tonfall des langen Generals genau studiert. Doch widersteht er - anders als Henri Tisot, der umwerfend komische de-Gaulle-Imitator - weislich der Versuchung, die Kopie zur Parodie zu steigern.

Hossein hat sich beim Arrangement der Fakten von zwei Mitgliedern der Académie française, Alain Decaux und Alain Peyrefitte, beraten lassen. Peyrefitte saß ganz nahe an der Quelle: Er war vier Jahre lang de Gaulles Informationsminister. Dramaturgisch ist viel gegen den Bilderbogen einzuwenden, aber nicht historisch - mit einer Ausnahme: Es ist keineswegs erwiesen, dass Moulin von René Hardy an die SS verraten wurde. Beim Verhör darf Klaus Barbie (Michel Scourneau), während eine schmuckbehangene Blondine gleichgültig zusieht, einen eleganten Bösewicht hinlegen. Insgesamt kommen die Besatzer nicht schlechter weg als die Alliierten. Im Gegenteil: Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Altgaullist Peyrefitte mit besonderer Freude boshafte Spitzen gegen Engländer und Amerikaner ausgrub.

Das Presseecho auf das Spektakel ist lebhaft. Die Wochenzeitschrift "Le Point", die zufällig Monsieur Pinault gehört, widmete ihm zehn respektvolle Seiten. Die sozialistenfreundliche "Libération" schlug mit einem vierseitigen Verriss zurück. Um den Einsatz zu amortisieren, müssen 300 000 Karten verkauft werden - trotz der 3700 Plätze im Kongresspalast keine Kleinigkeit. Aber Hossein ist zuversichtlich. Er selbst leugnet, mit der Show Parteipolitik betreiben zu wollen. Doch verkündet er am Ende der Schau eine kryptische Botschaft: "Noch heute nährt sich die Freiheit in der Welt mit dem Blut von Männern, Frauen und Kindern. Bis wann?" Der nächste Bote ist schon unterwegs. Noch in diesem Winter soll ein De-Gaulle-Film in die französischen Kinos kommen. Die Hauptrolle spielt - wer sonst? - Gérard Depardieu.

Jörg von Uthmann

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