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Kultur: Indianer sind wir alle

Uraufführung Unter den Linden: Hans Zender und sein „Chief Joseph“

Man kann Hans Zender nicht vorwerfen, dass er sich seine Sache einfach macht. Insistierend, geradezu selbstquälerisch ziehen sich die immergleichen Fragen durch das Leben des 69-Jährigen: Was kann Musik heute bedeuten, wie muss und darf sie klingen? Durch die Essays und Streitschriften, in denen er immer wieder versucht hat, seine Stellung als Komponist in der Gesellschaft zu bestimmen, zieht sich diese Auseinandersetzung ebenso wie durch seine Arbeit als Dirigent. In den vergangenen 35 Jahren war Zender Chef an den Opernhäusern von Bonn und Hamburg, stand an der Spitze der Rundfunkorchester von Saarbrücken und Freiburg. Jedes seiner eigenen Werke versucht eine Antwort zu geben und ist dabei doch wieder nur Ausgangspunkt für neue Fragen, die wiederum nur mit einem neuen Werk beantwortet werden können. Ewige Sisyphus-Arbeit eines Künstlers.

Vielleicht liegt es auch an diesem eingebauten Schaffenszwang der permanenten Selbstinfragestellung, dass Hans Zender in der öffentlichen Wahrnehmung hinter Deutschlands Komponistenstars Stockhausen, Henze und Wolfgang Rihm noch immer zurücksteht, zusammen mit Kollegen wie Helmut Lachenmann und Klaus Huber zu den „Schwierigen“ gerechnet wird – als Produzent intellektueller Hardware geachtet und mit Preisen zugeschüttet, aber beharrlich ignoriert von einem Wohlklang suchenden Publikum. Doch Hans Zender hat gelernt, mit dieser Hörverweigerung zu leben, tröstet sich mit dem Gedanken vieler großer Komponisten: Nicht nur für das Publikum der Gegenwart, sondern auch für das vielleicht aufgeschlossenere einer fernen Zukunft zu schreiben. Denn nichts fürchtet er so wie die handwerkliche Verselbständigung des Komponierens, den „Stil“, dessen Ergebnisse sich immer schon im Voraus berechnen lassen. „Ich begreife Komponieren als Abenteuer“, sagt er und fährt sich dabei durch die heillos strubbeligen grauen Haare, und: „Ich will keine Städte bauen, in denen ein Werk aussieht wie das andere.“

Auch „Chief Joseph“, seine dritte Oper, wird ganz anders aussehen als ihre beiden Vorgänger, der zwischen 1979 und 1984 entstandene „Stephen Climax“ und der 12 Jahre später uraufgeführte „Don Quijote“. Seine drei Opern, erklärt Zender, markieren für ihn jeweils die Bündelung einer Schaffensphase, sind Wegmarken: „Der ,Stephen Climax’ war der Abschluss meiner Arbeit mit Collagen und meiner Auseinandersetzung mit der Tradition, der ,Quijote’ stand am Ende meiner experimentellen Phase. Der ,Joseph’ führt das streng systematische rhythmisch-harmonische Prinzip durch, das ich in den letzten zehn Jahren entwickelt habe – und schafft mit diesen selbst geschmiedeten Werkzeugen sozusagen eine Synthese.“

Zugleich, so Zender, besitzen seine drei Bühnenwerke jedoch auch einen verborgenen thematischen Bezug, den er selbst erst im Nachhinein entdeckt habe. „Der ,Climax’ ist vom Gedankengut der Aufklärung geprägt, der ,Quijote’ von der Kritik an der abendländischen Vernunft durch das Absurde. Im ,Chief Joseph’ dagegen geht es um unseren Umgang mit der Natur, dem Wilden. Dafür sind die Indianerkriege ein besonders brutales Beispiel.“

Auch wenn der Indianerhäuptling Chief Joseph eine historische Figur ist – eine Multikulti- „Indianeroper“ ist von einem wie Zender nicht zu erwarten. „Bei der Wahl der Geschichte ging es mir hauptsächlich darum, eine griffige Veranschaulichung für diesen grundsätzlichen Konflikt zu finden“, erklärt er. Indianermusik beispielsweise kennt er überhaupt nicht, sie sei auch für ihn nicht von Bedeutung – wohl aber spielen in seiner Musik die verschiedenen Gesichter des Rhythmus eine Rolle: Der gnadenlose Takt der Maschinen, der die westliche Zivilisation bestimmt, und der metaphysische Rhythmus, der in archaischen Kulturen Trance-artige Beschwörungskraft entwickelt. Nicht als simple Schwarz-Weiß- Tonmalerei, sondern als Versuch, mit musikalischen Mitteln sowohl die Bedrohung, aber auch die Möglichkeit eines Verständnisses anzudeuten.

Das Musiktheater als Plädoyer für ein „organisches“, gewaltfreies Miteinander – es wundert nicht, wenn man erfährt, dass Hans Zender stark durch die Lehren des Zen-Buddhismus geprägt worden ist. In der Einleitung zu seinen gesammelten, im vergangenen Jahr unter dem Titel „Die Sinne denken“ (Breitkopf & Härtel) erschienen Aufsätzen, beschreibt er den Weg des Zen, aus dem Chaos durch die völlige Leere zu etwas gänzlich Neuem zu gelangen, als maßgeblich für die zeitgenössische Musik. Und vermutlich ist es allein dieser fast religiöse Rückhalt, der ihm immer wieder die Kraft für den kompositorischen Neuanfang gibt: Jedes neue Notenblatt ein Schritt weiter ins Ungewisse, der sich nur im Vertrauen darauf ertragen lässt, dass in ebendieser Ungewissheit auch eine Chance für die Menschheit verborgen liegt – auch wenn sein Held, der Chief Joseph, noch scheitert.

Wohin sein Weg nach der Berliner Uraufführung noch führen wird? Nachdenklich wühlt Hans Zender in seinem Haar: „Ich weiß nicht, wohin ich noch gehen werde“, sagt er und zuckt mit den Achseln. Nur stehen bleiben, das ist unmöglich.

Hans Zenders „Chief Joseph“ wird heute an der Staatsoper Unter den Linden uraufgeführt (19 Uhr). Die musikalische Leitung hat Johannes Kalitzke, es inszeniert Peter Mussbach. Weitere Vorstellungen am 26. Juni sowie 1. und 3. Juli.

Jörg Königsdorf

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