zum Hauptinhalt
Hauptsache Haltung. Marika Hackman, die aus der englischen Grafschaft Hampshire stammt, zeigt sich gerne mit Pokerface.

© Joost Vandebrug

Indie-Rockerin Marika Hackman: Mehr von dem, was ich Liebe nenne

Was macht uns menschlich? Die Indie-Rockerin Marika Hackman besingt auf ihrem Album „Any Human Friend“ queeren Sex und Trennungsschmerz.

Marika Hackman hat ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Ihre ganze Karriere über hat die englische Musikerin ihnen die Songs geschickt, an denen sie schrieb. Meistens schon als Demos. „Meine Eltern verfolgen den gesamten Prozess und sind sehr liebenswert, aber auch kritisch“, sagt die 27-Jährige. „Sie füttern nicht nur mein Ego – was gut ist, denn es ist schon unglaublich groß.“ Pause. Dann muss sie lachen. „War nur ein Witz.“

Die Sache mit ihren Eltern ist deswegen erwähnenswert, weil Hackman auf ihrer dritten Platte „Any Human Friend“, die am Freitag erscheint, sehr offen über Sex singt. Die Songs drehen sich um die Vorzüge rein körperlicher Beziehungen, um Oralsex, Organismus und Orgasmus. Sie tragen Titel wie „All Night“ oder „Hand Solo“ – eine lustvoll explizite Ode an die Masturbation. Sie singt: „My finger touch/ I’ve been feeling stuff/ dark meat/ skin pleat/ I’m working“.

Für Hackmans Eltern, zwei ehemalige Zeichentrickfilm-Animatoren und selbst sehr musikalisch, ist das kein Problem. „Natürlich willst du dein Kind nicht unbedingt über Sex singen hören“, erklärt Hackman. Aber ihre Mutter habe ihr gesagt: „Denke nie an uns, wenn du Songs schreibst.“ Mit dieser Ansage im Kopf hat sie die Platte gemacht. Dennoch sei da die Angst, dass sie mal ein Lied schreibt, bei dem die Eltern denken: „Das ist ja die Höhe“ – und sie dann enterben.

Was passiert, wenn der Rausch verflogen ist

Wenn Marika Hackman im Kreuzberger Büro der Plattenfirma von ihrer Familie spricht, mit ihrer tiefen, vollen Stimme, erzählt sie ähnlich offenherzig, wie sie ihre Songs schreibt. Dabei wahrt sie über weite Strecken des Gesprächs ein Pokerface. Hackman sagt von sich, dass sie ein Mensch ist, der nicht so schnell emotional wird. „Ich bin kein Cyborg, doch selbst meine allerengsten Freunde haben mich nie weinen sehen.“

Umso wichtiger sei das Songschreiben. Da könne sie Dinge rauslassen, mit denen sie sonst nur schwer klarkomme. Wie etwa die Trennung von ihrer Freundin Anfang 2018. Dreieinhalb Jahre waren die beiden zusammen, teilten auch eine Wohnung. „Es war eine sehr intensive, furchtbare Zeit“, sagt Hackman. Sie sei tief in ihre Psyche eingetaucht, ganz ohne Zeit zum Zurücklehnen. „Das laugt einen aus, auch emotional“, erzählt sie.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

So ist „Any Human Friend“ nicht nur ein Album über den Sexualtrieb geworden, sondern auch eins über zwischenmenschliche Entfremdung, über die Verbitterung, die Einzug hält, wenn der Rausch verflogen ist. Wenn man nur die Texte liest, ohne die Musik zu hören, könnte man meinen, man habe es mit depressiven, deprimierenden Songs zu tun. Dann legt man die Platte auf und – boom! – die Party beginnt.

[Mehr Neuigkeiten aus der queeren Welt gibt es im monatlichen Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel - hier geht es zur Anmeldung.]

„I’m Not Where You Are“ etwa klingt von vorne bis hinten nach Hit. Geschult am Indie-Sound der nuller Jahre weckt der Song Erinnerungen an Bands wie Maxïmo Park. Aber auch die abgeklärte Wucht einer Courtney Barnett schimmert durch die Zeilen, die Hackman mit ermüdeter Stimme singt: „I’d rather be asleep/ than interact with me/ I don’t get what you see“. Sie schaut durch die Augen einer Partnerin auf sich selbst und versteht einfach nicht, was die andere an ihr findet. Da würde sie schon lieber schlafen, als mit sich selbst Kontakt aufzunehmen.

Hackmans Sinn für Humor prägt ihr Album

Hackman thematisiert die eigenen Unzulänglichkeiten und hält dabei die Balance zwischen eingängiger Melodie und zwingendem Songwriting. Gleichzeitig setzt das Lied eine überaus positive Energie frei. Sogar ein Gitarrensolo baut die Musikerin ein, die bis auf Schlagzeug und Geige alle Instrumente der Platte selbst eingespielt hat. „Kontrollfreak“ nennt sie sich selbst.

Ihr Sinn für Humor prägt das Album. Etwa bei „The One“, einem poppigen Stück, das nach dem Vorbild der späten Strokes die Achtziger recycelt. Sie schlüpft in die Rolle eines arroganten Popstars, der plötzlich nur noch traurige Lieder schreibt und so seine Karriere ruiniert. „Love me more/ I need to be adored“, singt sie, was Background-Sängerinnen mit dem Zwischenruf „You’re such an attention whore!“ quittieren. Der Song hat ordentlich Swagger: Die Synthies sirren, Bass und Gitarre pulsen voran, bis eine zweite Gitarre hineinspratzelt und gepitchte „Ohoh“-Gesänge durch den Refrain orgeln.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Man hört „The One“ an, dass der Song unter anderem von David Wrench produziert wurde, der schon mit Künstlern wie The xx und Frank Ocean gearbeitet hat. Gleichzeitig merkt man auch, dass Hackman ihre Songs besonders gern am Bass schreibt. Kein Wunder: Ab dem achten Lebensjahr hat sie Unterricht auf dem Rhythmusinstrument bekommen. Mit dem Gitarrespielen fängt sie erst vier Jahre später an, komplett autodidaktisch. „Ich mache wahrscheinlich immer noch Sachen auf der Gitarre, die andere ungeheuerlich finden“, sagt sie.

Ihrer Musikalität zum Trotz liebäugelt sie lange mit dem Gedanken, Malerin zu werden. Sie besucht sogar einen Grundlagenkurs an der Uni in Brighton, um danach in ein Fine-Arts-Studium zu starten. Doch tief in ihr drin, sagt sie, wusste sie schon als Kind, dass sie Musikerin werden wollte. Sie ist 14, als sie das erste Mal mit einer Eigenkomposition in der Schule auftritt. „Wahrscheinlich der beängstigendste Moment in meinem Leben“, erinnert sie sich. „Aber alle liebten es.“

Ihr erstes Album war eine folkige Angelegenheit

Nach der Schule gibt sie mehr und mehr Konzerte, bis sie den Entschluss fasst: Pfeif’ doch aufs Studium. Dann geht alles ganz schnell. Nicht mal ein Jahr vergeht, bis sie Management, Plattenlabel und eine PR-Firma hat. „Manchmal fragen mich Kids, die Musik machen wollen: Welchen Rat kannst du uns geben?“ Marika Hackman lacht und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. „Ich verstehe doch auch nicht richtig, wie das alles passiert ist.“

Ihr erstes Studioalbum „We Slept At Last“ erscheint 2015 – eine folkige Angelegenheit. Und eine morbide obendrein. Das hat auch mit einer Nahtod-Erfahrung zu tun, die sie mit 17 gemacht hat: In jugendlichem Leichtsinn ignoriert sie einen geplatzten Blinddarm so lange, bis ihr eine Not-OP das Leben retten muss. In der Folge beschäftigt es sie, woraus der Mensch gemacht ist: Blut, Wasser und all die glitschigen Dinge dazwischen.

Auf „Any Human Friend“ stellt sie sich nun andere Fragen: Was macht uns menschlich? Was geschieht in unseren Köpfen? Und wie manifestiert sich das körperlich? Doch so unverblümt Hackman die Sexualität besingt: Sie selbst würde ihre Texte eher amüsant als schockierend nennen. Sex sei doch sowieso omnipräsent in der Musik, sagt sie – normalerweise eben aus einer männlichen Perspektive. „Der einzige Unterschied ist, dass diese Themen diesmal von mir kommen, einer queeren Frau.“ Sie ist gespannt, wie die Leute auf die Platte reagieren. „Wenn sie tatsächlich schockiert sind, ist es eine interessante Frage, warum das so ist.“ („Any Human Friend“ erscheint am 9. August bei Caroline/Universal.)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false