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Sehhilfe. Zur Kundschaft des Optikers Adi Ruku zählen die Mörder seines Bruders.

© Koch Media

Indonesien-Doku "The Look of Silence": Die Mörder sind neben uns

Joshua Oppenheimers erschütternder Dokumentarfilm „The Look of Silence“ über die Massenmorde unter General Suharto kommt kurz vor der Frankfurter Buchmesse ins Kino: Indonesien ist Gastland in diesem Jahr.

Die Täter, die Opfer, sie singen alle. Lieder von schönen Mädchen, von der Erinnerung, die wehtut, freche, melancholische, tröstende Lieder. Sie sind Nachbarn, Bauern, Plantagenarbeiter, Dorfbewohner, die Familien kennen sich seit Jahrzehnten. Sie singen dieselben Lieder. Adis steinalter Vater genauso wie der Onkel, der Adis Bruder Ramli an die Todeskommandos von General Suharto auslieferte, oder wie die Männer, die Ramli getötet haben, vor 50 Jahren. Die erst mit dem Messer zustachen und ihn später, nachdem sich der Schwerverletzte zunächst zu den Eltern flüchten konnte, an den Schlangenfluss schafften, um ihm den Penis abzuschneiden, ihn verbluten zu lassen und ins Wasser zu werfen.

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Indonesien ist demnächst Gastland der Frankfurter Buchmesse. Da kann es nicht schaden, zu sehen, wie die Vergangenheit des asiatischen Inselstaats bis in die Demokratie von heute andauert. „The Look of Silence“ ist ein ebenso erschütternder, ungeheuerlicher Film wie „The Act of Killing“, Joshua Oppenheimers erste Indonesien-Dokumentation über den Genozid 1965/66 nach Suhartos Militärputsch, dem vermutlich eine Million Menschen zum Opfer fielen. Eine Million Menschen, die dem neuen Regime nicht passten und meist willkürlich als Kommunisten denunziert wurden. Ramli war einer von ihnen. Keiner aus seiner Familie war je Mitglied der KP.

Die Schulkinder lernen noch heute, dass den Opfern von damals recht geschah

Erschütternd, ungeheuerlich, das sagt sich so leicht. Es ist etwa so, wie wenn die Nazis in Deutschland an der Macht geblieben wären, nie ein Unrechtsbewusstsein entwickelt hätten, bis heute als Helden gefeiert und erst jetzt von Angehörigen der Opfer nach dem Holocaust gefragt würden. Worauf sie ihre Gräueltaten voller Stolz vor aller Augen nachspielen würden – Drahtschlingen zuziehen, Bäuche aufschlitzen, in Indonesien wurde meist ohne Schusswaffen gemordet. Und die Schulkinder lernen heute, dass die Verfolgten gottlose, lüsterne, amoralische Leute waren, denen recht geschah.

Oppenheimer, 41, in Texas geborener Dokumentarist mit Wohnsitz in Kopenhagen, Enkel von Holocaust-Überlebenden, recherchiert die Geschichte der indonesischen Todesschwadronen . In Nord-Sumatra stieß er auf die Geschichte von Ramli Rukun, drehte aber zuerst einen Film über die Täter, da seine anderen Gesprächspartner bedroht wurden. „The Act of Killing“ zeigt, wie die Mörder ihre Taten begeistert für die Kamera inszenieren und sich ihr eigenes Reenactment auf Video anschauen. Nur ein Einziger entwickelt Skrupel dabei.

Regisseur Joshua Oppenheimer, Enkel von Holocaus-Überlebenden, stammt aus Texas und lebt in Kopenhagen.
Regisseur Joshua Oppenheimer, Enkel von Holocaus-Überlebenden, stammt aus Texas und lebt in Kopenhagen.

© dpa

Nach der Premiere 2012 war es für Oppenheimer zunächst zu gefährlich, wieder nach Indonesien zu reisen. Aber er hatte zuvor noch mit Adi drehen können, Ramlis Bruder, dem Protagonisten seines 2014 in Venedig uraufgeführten zweiten Genozid-Dokumentarfilms „The Look of Silence“. Ein couragierter, besonnener Mann: Adi ist Optiker, er radelt mit seinem Brillenkoffer von Dorf zu Dorf und fertigt den Mördern seines Bruders Sehhilfen an. Scharf? Unscharf? Zwischendurch erkundigt er sich nach dem, was damals geschah. Die Kunden wehren ab.

Adi, der Protagonist, ist Optiker. Er fertigt den Mördern seines Bruders Brillen an

Aber Adi fragt weiter, nennt Propagandalügen Propagandalügen. Und die Täter, wohlhabende Männer im holzgeschnitzten Ohrensessel oder auch halb blinde Greise mit Affe an der Leine, sagen die üblichen Sätze, ebenso ihre Frauen und Kinder. Dass sie nur Befehle ausgeführt hätten, damals in der Suharto-Zeit, dass die Vergangenheit vergangen sei, dass sie immer noch Macht besitzen. Und sie fügen hinzu, dass nur diejenigen von der Armee zum Töten rekrutierten Zivilisten nicht wahnsinnig geworden seien, die das Blut ihrer Opfer tranken. Auch das von Ramli hätten sie getrunken. Menschenblut schmecke salzig und süß. Adi bleibt höflich. Manche weisen ihm die Tür, einer der Paramilitärs droht ihm offen, fragt, wo er mit seiner Familie wohnt.

Adi kam zwei Jahre nach Ramlis Tod zur Welt. Er war die Antwort auf ihre Gebete, sagt die Mutter, die den tauben, verwirrten, nur aus Haut und Knochen bestehenden, über 100-jährigen Vater in einer armseligen Hütte versorgt und selber krank ist. Ihre Trauer, ihr Schmerz, ihre Verzweiflung, niemand wollte je etwas davon wissen. Der Anblick des Schweigens: eine alte, tapfere Frau.

Seit Oppenheimers erster Doku ist die Vergangenheit erstmals Thema in Indonesien

Immer wieder sitzt Adi allein vor einem alten Fernseher und schaut sich Oppenheimers Täter-Interviews von 2003 an. Der eine Mörder von Ramli geht lachend ins Detail, beschreibt herausquellendes Gedärm, kullernde Köpfe. Der andere hält das selbst gebastelte Bilderbuch über seine Taten in die Kamera. Und in einem dritten Video stellen sie den Mord am Flussufer nach, pantomimisch, mit Ästen anstelle von Macheten. Adi sagt nichts, weint nicht, wütet nicht. Der Anblick des Schweigens: zwei wache, wässrige Augen.

„The Look of Silence“ ist ein stiller, meditativer Film. Er nimmt sich Zeit für die Gesichter der alten Männer mit der Optikerbrille auf der Nase, Zeit auch für die paradiesische Schönheit des Landes, die Palmen, den fruchtbaren Boden, das üppige Grün. Die Schönheit und die Barbarei, es ist kaum auszuhalten.

Man sagt, die Kunst sei machtlos, Filme könnten die Welt nicht verändern. Vielleicht stimmt es ja doch nicht. Oppenheimers erster Film kursierte in Indonesien, obwohl die Regierung ihn offiziell ignorierte. Beim zweiten Film gab es Schlägertrupps, die die Vorführungen störten. Aber das Nachrichtenmagazin „Tempo“ druckte schon 2012 eine 75-seitige Extraausgabe zu „The Act of Killing“. Erstmals sprach die Regierung von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, viele protestierten gegen die Schläger. Adi Rukun, der mit seiner Familie aus Sicherheitsgründen den Wohnort wechselte, gilt in der jüngeren Generation inzwischen als Nationalheld. In Indonesien wird jetzt offen über die Massenmorde gesprochen, das Tabu ist gebrochen.

Für „The Act of Killing“ erhielt Oppenheimer eine Oscar-Nominierung, bekommen hat er ihn nicht. Was vielleicht daran liegt, dass der Film auch Amerika und den Westen beschämt. Sie wussten, was unter Suharto geschah; die Medien berichteten über die Massaker, wie eine im Film dokumentierte NBC-Reportage beweist. Die ganze Welt schaute zu.

OmU: b-ware! ladenkino, Filmkunst 66, Filmrauschpalast, fsk (auch OmenglU), Hackesche Höfe, Lichtblick. Das Lichtblick zeigt außerdem Oppenheimers erste Indonesien-Doku „The Act of Killing“ als Director’s Cut: 3.10. (20 Uhr), 6.10. (19.30 Uhr), 11.10. (19 Uhr)

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