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Wie gemalt. Blick von der Villa E.1027 aufs Mittelmeer.

© Viviana Andrada Baumann

Installation in der Akademie der Künste: Ein Haus als Gesamtkunstwerk

Raffinement ist der wahre Luxus: Die Akademie der Künste Berlin untersucht E.1027, Roquebrune-Cap-Martin, das Hauptwerk der Designerin Eileen Gray.

Nach dem Ersten Weltkrieg wandelte sich der Charakter der Côte d’Azur. An die Stelle des Wintertourismus trat der Sommer-, eher noch Ganzjahrestourismus. Die Grandhotels verloren zahlungskräftige Dauergäste. Stattdessen begannen wohlhabende Pariser, sich Villen mit Blick aufs Meer zu errichten, möglichst sogar mit Zugang zum Wasser. Nicht länger wurde steifes Protokoll gesucht, sondern sportliche Betätigung unter der gleißenden Sonne des Südens.

Ein herausragendes Beispiel des neuen Trends in der Architektur ist die Villa mit der geheimnisvollen Bezeichnung E.1027 in Roquebrune-Cap-Martin, dort, wo der Gebirgszug der Seealpen sich bis zum Meer erstreckt. Entworfen hat das Haus die gebürtige Irin Eileen Gray für ihren damaligen Lebenspartner, den Architekten und Herausgeber der einflussreichen Pariser Zeitschrift „L’Architecture vivante“, Jean Badovici. Ihn hatte die 1879 in gesicherten Verhältnissen geborene Gray um 1920 kennengelernt; nun, gegen Ende des Jahrzehnts, entwarf sie das Haus und stattete es von A bis Z mit selbst entworfenen Einrichtungsgegenständen aus. Als das Pariser Centre Pompidou vor ein paar Jahren eine Ausstellung zu Grays Œuvre veranstaltete, nannte es das Haus ein „Gesamtkunstwerk“. Das trifft es am besten.

Das Haus in Südfrankreich, das in späteren Jahrzehnten erheblich vandalisiert worden ist und seiner sämtlichen Inneneinrichtung verlustig ging, wird derzeit in einem neuerlichen Anlauf restauriert; es soll ab Mai wieder für Besichtigungen offen stehen. Wie im Vorgriff darauf ist derzeit in der Akademie der Künste am Pariser Platz der Nachbau eines einzigen Zimmers der Villa zu besichtigen. Wilfried Wang, Architekt und lange Jahre stellvertretender Direktor der Abteilung Baukunst der Akademie, hat das Schlaf- und Arbeitszimmer Badovicis mit seinen Studenten im texanischen Austin vermessen und nun in Berlin als 1:1-Modell aufbauen lassen. Die Vermessung des Raumes dürfte noch die leichtere Aufgabe gewesen sein. Schwierig war es, die Möbelstücke und Einbauten, von denen keine Zeichnungen mehr existieren, meist nur nach einer einzigen Schwarz-Weiß-Fotografie zu rekonstruieren.

Ein Besuch in diesem Raum mit Bett, Schrank und Schreibtisch, mit einem riesengroßen Fenster, bei dem man sich den Ausblick auf das in der Sonne glitzernde Mittelmeer hinzudenken muss, überrascht angenehm durch die ausgewogenen Proportionen.

Alle Maßverhältnisse nach dem Goldenen Schnitt berechnet

Wang klärt den Besucher darüber auf, dass Eileen Gray alle Maßverhältnisse nach dem Goldenen Schnitt berechnet habe, so auch die beiden Raumsegmente, die gemeinsam den fließenden Raum bilden. Im größeren, rückwärtigen Raumteil steht das großzügige Bett, dem raffinierte Funktionselemente wie ein Schwenkarm zum Abstellen etwa eines Buches zugeordnet sind. Vom Bett aus lässt sich die rechte Begrenzung des Fensters nicht ausmachen, so dass die Illusion eines frei in die Landschaft sich öffnenden Raumes entsteht. Die Feinheiten des mit verschiedenen Fächern und Öffnungen versehenen Schrankes zu beschreiben, reichen die Zeilen einer Ausstellungsrezension schon gar nicht mehr aus.

Eileen Gray hat in den vergangenen Jahren etwas von der Prominenz zurückerlangt, die ihr nach der Fertigstellung von E.1027 im Jahr 1929 zufloss. Sie war damals bereits viele Jahre lang als Designerin tätig und mit Lackarbeiten im ausgehenden Jugendstil und sodann Einrichtungen in Art Déco durchaus erfolgreich. Aber erst die Villa mit ihrer Kompletteinrichtung verschaffte ihr Prominenz als einer führenden Vertreterin der Moderne in Frankreich. Gray zog sich allerdings nach dem Ende der Beziehung zu Badovici mehr und mehr zurück und geriet in Vergessenheit. 1976 starb sie im biblischen Alter von 98 Jahren, und ihre Wiederentdeckung hatte sie noch miterleben können, wesentlich befördert durch den Nachbau des höhenverstellbaren Beistelltisches, der unter der Bezeichnung E1027 weiterhin im Handel ist.

Keine Maschine, sondern eine Muschel des Menschen

Eileen Gray hat zeitlebens Einzelstücke gefertigt, und selbst Wiederholungen einzelner Objekte weichen je nach Auftraggeber voneinander ab. Ihre Villen – sie selbst bezog 1932 eine weitere nahe dem Erstling E.1027 – stehen als Luxusbehausungen dem Streben „der“ Moderne nach einer sozial verantwortungsvollen Architektur denkbar fern. Vor allem die von Le Corbusier polemisch vertretene Ansicht von der Wohnung als einer Maschine wies sie zurück: „Ein Haus ist keine Maschine, in der man lebt. Es ist so etwas wie eine ‚Muschel’ des Menschen – sein Ausgreifen in die Umwelt.“

E.1027 ist eine besonders kostbare Muschel, und schön ist es, probeweise hineinzuschlüpfen und sich für einen Augenblick vom Fenster aus ans Mittelmeer zu träumen, als gehörte es einem ganz alleine.

Akademie der Künste, Pariser Platz 7, bis 10. Juni. – Kein Katalog; Begleitbuch: Wilfried Wang et al.: E.1027. Eileen Gray. Verlag Wasmuth (in Englisch), 39,80 €.

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