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Gregor_Hildebrandt

© Thilo Rückeis

Installation: In der Spulhölle

Kunst als Bandsalat: Gregor Hildebrandt verhängt das Haus am Waldsee mit Videobändern.

Bandsalat – heute klingt das Wort fast altmodisch. Im Haus am Waldsee hat der in Berlin lebende Künstler Gregor Hildebrandt für Kassettenbänder eine neue Verwendung gefunden. In die Krone eines Pflaumenbaums hat er Bandsalat gehängt. Federleichte Kassettenbänder flattern in den Ästen: ein poetisches Bild, doch leider unhörbar. Wahrzunehmen ist nur noch das Wispern der raschelnden Strähnen. Tonspuren der Großstadtbewohner in der Gartenidylle.

„Kannst du in den Bäumen die Tonbandfetzen sehen? Wer hat sie dorthin gebracht?“ Diese Zeilen der Gruppe Tocotronic haben Gregor Hildebrandt zu seiner jüngsten Arbeit inspiriert. Schon während des Studiums hatte ihm sein Lehrer Dieter Hacker ein Urlaubsfoto geschickt, das verwehte Tonbandfetzen zwischen griechischen Tempeln zeigte. Fragmente industriell gespeicherter Kultur neben klassischen Ruinen.

Unterm Baum macht der 34-jährige Künstler zur Begrüßung die Andeutung einer Verbeugung. Die etwas altmodischen Umgangsformen passen zu dem Retro-Look seines Materials – den Tonkassetten und Videobändern. Für jemanden, der unentwegt Musik hört, bewegt sich Gregor Hildebrandt erstaunlich eckig. Ein Gedankensänger – kein Traumtänzer. Beim Studium in Mainz belegte er einen Kurs „Malen zu Musik“. Im Rhythmus von Strawinskys „Sacre du Printemps“ schrieben die Studenten Zeichen auf das Blatt. Seitdem lässt Gregor Hildebrandt die Frage nicht mehr los: Wie lässt sich Musik zum Teil des Bildes machen? In seine Künstlerbücher klebte er mit Musik bespielte Tonbänder. Heute stellt er große Formate her, die von einem Song angeregt sind.

Mit Titeln von The Cure, den Einstürzenden Neubauten oder Tocotronic beklebt er die Leinwand. Dicht nebeneinander bilden die hauchdünnen Kassettenbänder eine dunkle Oberfläche, die der Künstler musikalisch aufgeladen hat, wie er es selbst nennt. Sie ist schwarz, anthrazit oder braun, je nach Kassettentyp. Gregor Hildebrandt ist ein Maler ohne Farben, verwendet Musik ohne Ton. Während die Songs von großen Gefühlen erzählen – von Liebe oder Abschied – verweigert die Oberfläche den Zugang. Englische Texte übersetzt er ins Deutsche und steigert dadurch ihre emotionale Intensität. „Es wird dann sogar ein bisschen peinlicher, weil es nicht mehr so geschützt ist“, räumt er ein. Die Übersetzungen ritzt er in das Bild ein. Dieses ungewöhnliche Bekenntnis zum Gefühl erinnert an die Romantiker. Hildebrandt ist von der berühmten Zeile Eichendorffs fasziniert: „Schläft ein Lied in allen Dingen“.

Spektakulärer noch als der Bandsalat im Baum wirkt Hildebrandts Installation an der Rückseite des Hauses am Waldsee. Weil der historische Putz aus dem Jahr 1922 erneuert werden muss, ist die Villa derzeit komplett eingerüstet. Der Künstler hat über die gesamte Breite der Fassade Videobänder gespannt. Bei Windstille wirkt die schwarz glänzende Fläche wie die dunkle Leinwand eines Autokinos. Sobald die Sonne darauf scheint, beginnt sie zu funkeln. Fährt der Wind in die Bänder, kann man durch die Zwischenräume das nackte Mauerwerk sehen. Die Streifen knistern und knattern, als würden sie über einen Projektor laufen. Fast hundert Videokassetten hat Hildebrandt mit zehn Helfern vor der Fassade verspannt – welche Filme darauf sind, will er nicht verraten. Sein Lieblingsfilm „Die Dinge des Lebens“, ein französisches Beziehungsdrama mit Romy Schneider, dürfte ebenso dabei sein wie „Vom Winde verweht“.

„Im Garten blüht ein Blumenbeet“, der Titel der Ausstellung stammt aus einem Lied von Konstantin Wecker. Der tückische Text beschreibt eine Vorstadtidylle, in der sich eine Tragödie ereignet. Hildebrandt hat den Liedermacher als Kind „bei Onkel Martin im Auto gehört.“ Derzeit läuft Wecker auch im Atelier, da stöhnen die Assistenten schon mal. Im Weddinger Studio stapeln sich in den Regalen Tüten mit aufgeribbelten Kassettenbändern. „Ich sammle nicht, ich schmeiße nur nichts weg“, wehrt der Künstler die Frage nach einer Systematik ab. Auf dem Flohmarkt „bei Abbas“ hat er Körbchen gefunden, die aus Vinylschallplatten geformt wurde. Hildebrandt stülpt sie zu hohen Türmen übereinander und schafft so Skulpturen, die bewusst an Brancusi erinnern. An der Atelierwand hängen kleine Formate, auf die der Künstler besonders stolz ist. Man kann sie wie einen Bausatz ineinanderfügen. Das war praktisch in den mageren Jahren, es sparte Speditionskosten.

Seit einem Jahr läuft es richtig gut für Hildebrandt. Weil der Galerist Jan Wentrup den Ateliernachbarn Axel Geis vertritt, war er auch auf ihn aufmerksam geworden. Vorher hatte Hildebrandt an selbst organisierten Ausstellungen teilgenommen. „Auch nicht schlecht, aber man hoffte immer, dass einer mal gut finden würde, was man macht“, erzählt er. Seine Freundin Alicja Kwade, die im gleichen Gebäude arbeitet, bekam gerade den Piepenbrock-Förderpreis. Eine große Rauminstallation, die bei der Art Basel zu sehen war, hat ein belgischer Sammler gekauft.

Kann sein, dass die Möglichkeiten seines Materials einmal ausgereizt sein werden. Neu aber ist der Abschied von der Coolness, die Hinwendung zum Melodram, die Innerlichkeit – in zeitgemäß schroffer Form. Vielleicht artikulieren sich nun tatsächlich erste Stimmen gegen die gelackte Selbstgewissheit des prosperierenden Kreativ-Berlin.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30 (Zehlendorf). Hildebrandts Installation ist bis zum 28. September zu sehen, das Haus ist täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

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