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Kultur: Inszenierung in Moers als Musikinstallation

"Gier" ist ein Flackern, ein paar Dutzend kurze Schnitte auf vier nicht identifizierbare Gestalten, Niemande: A, B, C, M. Scheinbar ein weiteres Plätschern aus dem unendlichen Strom medialer Bekenntnisse, schlägt dieses letzte zu Lebzeiten herausgekommene Stück Sarah Kanes einen anderen Ton an als die früheren drei, ist nicht mehr so blutig grausam und doch so viel nihilistischer.

"Gier" ist ein Flackern, ein paar Dutzend kurze Schnitte auf vier nicht identifizierbare Gestalten, Niemande: A, B, C, M. Scheinbar ein weiteres Plätschern aus dem unendlichen Strom medialer Bekenntnisse, schlägt dieses letzte zu Lebzeiten herausgekommene Stück Sarah Kanes einen anderen Ton an als die früheren drei, ist nicht mehr so blutig grausam und doch so viel nihilistischer. Es ist ein unvergleichliches Sickern und Wimmern der Suche, des Quälens, des Bittens, des Geht-nicht-mehr. "Crave", so der Originaltitel, heißt Flehen, Sehnen. "Geh weg!" - "Ich will nicht bleiben." - "Wenn Liebe käme." - "Tod ist eine Möglichkeit."

"Gier" ist Sprechen als Verdämmern. Versinken in Wortklang. Mit "Beats" gehalten und mit Pausen durchsetzt, von endlosen Wiederholungen rhythmisiert, ist es Musik für die Bühne. Die Berliner Schaubühne, die kürzlich die deutschsprachige Erstaufführung herausbrachte, hat "Gier" als nackte, morbide Bühneninstallation aufgebaut. Das Schlosstheater Moers hat, wenig später, "Gier" als Musikinstallation inszeniert: in einem fast keinerlei Sicht mehr zulassenden Nebel und der wie Wrasen ziehenden Musik von FM Einheit.

Dieser Musiker, der seit seiner Zeit bei den "Einstürzenden Neubauten" in Hörspielen und Bühnenmusiken die Berührung mit Sprache und Raum sucht, erzeugt mit seinen Klang-Computern, unterstützt vom gestrichenen Elektrobass Sjang Coenens, eine wabernde, kollernde, eine stockende und schwebende Atmosphäre von Traurigkeit und Grenzverlust, die die Stimmen überlagert, sich ihnen unterschiebt, sie verdeckt, vereinzelt, sich an sie schmiegt und sie fort stößt. Eine Musik, so tröstend und gleichgültig wie der Wind über dem Selbstmörder auf der Klippe.

Wie in Berlin stehen auch in Moers die vier Spieler erhöht, doch auf einem gemeinsamen Steg im Raum (Albert Bork, Mike Hoffmann, Sabine Wegmann, Elenor Holder). In hellen, gleich machenden Moltonstoff gekleidet, verlassen sie ihre Plätze nie. Sie sprechen und rufen, als herrsche nicht Nebel, sondern Leere, und wenn jemand antwortet, vergrößert das die Entfernung bloß. Nebel, Leben, ein Anagramm. Wohl senken sie einmal die Köpfe, sinken ein anderes Mal um ihr Geländer. Doch sie drehen sich nicht einmal zueinander um. Hatte man in Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierung noch Personen unterscheiden können, so sind hier alle gleich, gleich wenig, nichts: vier Stimmen - vier Mal das Drängen der Worte nach einer Figur. Sie flüstern, schreien, sprechen die meiste Zeit sehr erregt, als gebe es irgendwo doch ein Ohr, eine Hand, die sie heilte, nähme. Aber nur zwei-, dreimal nimmt die Musik ihre Stimmen auf, zieht sie in den Hall oder das Echo ihres elektronischen Raums. Die Erlösung, die in dieser Inszenierung von "Gier" zu ahnen ist, ist die des Vergehens in der Maschine.

In Moers gibt es keine "Regie", nur eine "Konzeption" (Stephanie Geiger). Sie deutet an, was sie konsequent hätte durchführen sollen: dass "Gier" ein Stück für nicht leiblich anwesende Spieler ist. Wenn es überhaupt auf die Bühne zu bringen ist, dann nur als Fading, als Verschwinden. Als Nicht-mehr oder Noch-nicht.

Ulrich Deuter

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