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Interaktive Kunst in Schöneberg: Die Klangskulptur „Arena“ bietet ein Sprachrohr für jeden

Der Künstler Benoît Maubrey hat vor dem Schöneberger „Pallasseum“ einen meterhohen Sound-Turm aufgebaut. Jeder darf ihn bespielen: vor Ort, aber auch per Twitter oder mit einem Anruf.

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Benoît Maubrey hat sich im Fischrestaurant Atlantik einen Platz gesucht, nur ein paar Schritte von der Pallasstraße entfernt. Er kommt allerdings kaum dazu seine frische Dorade im Brötchen zu essen. Zu viele Anekdoten gibt es über seine interaktiven Klangskulpturen zu erzählen. Es sind gerade diese Geschichten, die den Amerikaner mit dem französischen Akzent antreiben. Maubrey, der eigentlich Maler ist, hat Pinsel und Farbe schon vor etwa 40 Jahren weggelegt. Gemälde in einer Galerie auszustellen war ihm zu langweilig, er wollte hinaus in die Stadt, Kunst mit sozialer Interaktion schaffen. Anfang der 80er Jahre zog der 1952 in Washington geborene Künstler nach Westberlin, damals ein großer Spielplatz für Kreative wie ihn. Seitdem hat Maubrey unendlich viel über Elektronik gelernt. Sein bildnerisches Arbeitsmaterial sind Lausprecher, Verstärker, Mikrofone. Die seien günstiger als Pigment und wiederverwertbar, sagt Maubrey und erzählt von seinem aktuellen Deal mit der BSR. Alle ausrangierten Lautsprecher, die auf den Wertstoffhöfen der Stadt landen, gehen direkt zu ihm. Mehrere hundert hat er in der Klangskulptur „Arena“ verbaut, die seit Sonntag in Schöneberg aufgebaut ist (Pallasseum, Pallasstraße 5, Schönberg, bis 30.10., Mitmachen: via twitter #speakersarena, via Telefon: 0178 8382615 und 0178 838 2618 oder direkt vor Ort).

Maubrey hat an etlichen Orten der Welt bereits interaktive Klangskulpturen installiert. Sie funktionieren wie der berühmte Speakers Corner im Londoner Hyde Park: Jeder kann reinsprechen. Eine von Maubreys Skulpturen ist in einem Ort in China zu einem Wahrzeichen geworden, für das Touristen extra anreisen. Sein Berliner Werk ist eine halbrunde Arena mit drei Sitzreihen. Mehrere Meter hoch. Interessierte können sich zum Beispiel mit ihrer E-Gitarre in diesen Sound-Turm einstöpseln und auf einen Schlag 320 Lautsprecher beschallen. Oder man spielt per Bluetooth einen Song über die Multi-Anlage ab. Oder beides. Sechs Kanäle sind geöffnet. Man kann von zuhause aus anrufen und reinsprechen oder per Twitter-Tweet mitmischen. Ein Sprachrohr für jeden. „Demokratische Kunst“, sagt Maubrey. Manchmal nennt er das, was die Klangskulpturen ermöglichen, auch „Audio-Graffiti“. Und wie das Graffiti an den Wänden Berlins, kann auch der Sound aus der Klangskulptur Kunst sein - oder Vandalismus.

Plug & Play. Die Skulptur von Benoît Maubrey umfasst 320 Lautsprecher und soll fünf Monate stehen bleiben.
Plug & Play. Die Skulptur von Benoît Maubrey umfasst 320 Lautsprecher und soll fünf Monate stehen bleiben.

© Doris Spiekerman Klaas

Wie sie auf dem Platz vor dem „Pallasseum“ genutzt wird, wird sich zeigen. Vor nicht allzu langer Zeit galt der Beton-Wohnblock aus den 70er Jahren als sozialer Brennpunkt, „Sozialpalast“ nannte man den gigantischen Wohnriegel, der sich über die Pallasstraße spannt. Kurzzeitig spielte die Stadt mit dem Gedanken, das Ensemble, Heimat für rund 2000 Menschen, zu sprengen. Früher lebten überwiegend Migranten hier, die Hälfte der Bewohner waren Sozialhilfeempfänger, Drogendealer waren eingezogen, die Situation war schwer zu kontrollieren. Heute kloppen sich gutsituierte Interessenten um die sanierten Wohnungen in den oberen Stockwerken. Das Quartiersmanagement im Erdgeschoß sorgt für Ordnung im Haus. Vor den Geschäften wird geplaudert, Hände werden geschüttelt, freundschaftliche Backenküsse verteilt. Am letzten Samstag gab es ein riesiges Grillfest im Hof. Ein befreundeter Ausstellungsmacher hat Maubrey davon überzeugt, die Skulptur an diesem Ort aufzustellen. Stephan Kruhl betreibt an der benachbarten Potsdamer Straße den Non-Profit-Projektraum Zwitschermaschine. 2015 realisierte er bereits ein Ausstellungsprojekt vor dem Pallasseum, stellte Kunst aus Europa in einem Schiffscontainer aus. Kruhl erlebte, dass ein offener Austausch mit der durchmischten Nachbarschaft möglich war. Der Dialog soll nun erweitert werden.

Am Eröffnungsnachmittag zeigt das Thermometer 37 Grad. Benoît Maubrey im weißen Hemd und Jeans erklärt, dass die Skulptur nun fünf Monate hierbleiben soll. Nein, er habe keine Angst vor Diebstahl. Niemand kann 320 miteinander verbundene Lautsprecher klauen. Und weder Sonne, Wind oder Regen könnten den Lautsprechern etwas anhaben. Die Dinger scheinen unkaputtbar zu sein. Maubrey animiert die Umstehenden sich auf die Skulptur zu setzen, denn so ist sie gedacht: Die einen beschallen sie, die anderen sitzen drauf und lassen sich von der Vibration der Beats durchschütteln. Einige haben bereits ihre Smartphones gezückt, erste Popsongs scheppern aus den Boxen. Manchmal eine Stimme. Teilnehmer der Beatbox-Weltmeisterschaft, die tags zuvor stattgefunden hat, spuken krachigen Silben in die Mikrofone. Damit die Anwohner mit all dem klarkommen, erzeugt „Arena“ weniger Dezibel als der umliegende Straßenverkehr. Und es kann nur tagsüber bespielt werden. Es sei noch nie vorgekommen, dass eine seiner Klangskulpturen für Afd-Parolen oder andere politische Propaganda missbraucht worden sei, so Maubrey. Eher sprechen die Leute Dinge wie „Hallo“, „Das bin ich“ oder „Ui Ui Ui“ ins Mikrofon.

Verbindung zwischen digitaler Technik und urbanem Raum

Das Politische ist Maubreys Kunst trotzdem immanent. Eine Skulptur wie „Arena“ belebt den öffentlichen Raum, erlaubt Teilhabe für die, die sichtbar sind, aber auch für die, die zuhause sitzen. Elektronische Technik und digitale Medien ermöglichen Kommunikation und binden Menschen an ihre privaten Räume. Die öffentliche Agora wird zunehmend dem Kommerz überlassen, so erklären es Soziologen wie Richard Sennett oder Marc Augé. Der Kunsthistoriker Vadim Keylin schreibt in Maubreys üppigem, monografischen Katalog (Benoît Maubrey, „Sound Sculptures“, 151 Seiten, Edition von 30), die Skulpturen schafften eine neue Verbindung zwischen digitaler Technik und urbanem Raum. Keylin hat sich vorgenommen, die Botschaften, die über Maubreys Skulpturen gesendet werden, kulturtheoretisch zu analysieren. Was sagen Menschen, wenn sie sagen dürfen, was sie sagen wollen?

Maubrey selbst lebt mit seiner Frau seit vielen Jahren im Brandenburgischen Baitz, einem Ort mit nicht mal 200 Einwohnern. Er hat dort einen Vierseitenhof gekauft, nachdem seine Wohnung in Schönberg vor Lautsprechern überquoll. In Baitz ist Platz. Dort turnten bereits die Audio-Ballerinas auf der Dorfstraße herum. Performances mit Audio-Kleidung sind einer von Maubreys Dauerbrennern, seit Jahren erfolgreich. Unter anderem hat er ein Tütü aus Polycarbonat entwickelt, in das Lautsprecher und Verstärker integriert sind. Die Tänzerinnen, die es tragen, können etwa Umgebungsgeräusche aufnehmen, sampeln und abspielen. Maubreys Kunst ist über die Jahre hinweg erstaunlich konstant geblieben. Aber durch den schnellen Wandel der Technik bleibt sie frisch. Was immer an neuen Möglichkeiten zur Verfügung steht findet sich in Maubreys Kunst – genauso wie das Alte. All das nutzen zu dürfen, hat auf die Besucher eine enorme Faszination.

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