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Wolfgang Schivelbusch

© Tsp

Interview: Der große Schwindel

Der Historiker Wolfgang Schivelbusch spricht mit dem Tagesspiegel über New Deals von damals und heute. Die Sehnsucht nach dem Staat kommt ihm sehr suspekt vor. Er fragt sich darüberhinaus, ob Obama wirklich eine neue Epoche im Denken und Handeln der US-Gesellschaft einläuten wird.

Herr Schivelbusch, wenn die Krise der Finanzmärkte ein Theaterstück wäre – wäre es eine Tragödie oder eine Komödie?

Es gibt kein Bewusstsein für Tragödien bei diesen Disney-Figuren, die die Politik und die Wirtschaft bestimmen. Man hat den Eindruck, dass die großen Unternehmen in ihrer eigenen Public Relation untergehen. Man sieht dem Taumeln und Torkeln dieser Riesen in der Krise nicht ohne eine gewisse Schadenfreude zu. Es wäre zumindest eine kleine Hoffnung, dass durch diesen Crash der Illusionsblase die eigentliche Kernaufgabe, das Produzieren nützlicher Dinge, wieder etwas bessere Presse bekommt.

Sie haben in Ihrem Buch „Entfernte Verwandte“ den New Deal unter Roosevelt untersucht. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman fordert nun einen neuen New Deal. Wie erklären Sie sich die Sehnsüchte nach dem starken Staat, der die Wirtschaft retten soll?

Das ist regressiv und religionsnah. In dieser Sehnsucht fungiert der Staat als Erlöser, er soll es richten. Der noch primitivere Reflex, den man in den dreißiger Jahren beobachten konnte, sowohl unter Roosevelt in den USA, als auch in Italien unter Mussolini und im nationalsozialistischen Deutschland, ist die Haltung: Zurück zum Boden, ein Rückgriff auf Landwirtschaft.

Was löst diese Sehnsucht nach der Sicherheit der Scholle aus?


Die Erfahrung, dass einem der Boden weggezogen wurde, das Gefühl von Schwindel im doppelten Wortsinn: Schwindel als Betrug und das Schwindelgefühl beim Taumeln. Die Börsenkurse fallen ins Bodenlose, in der Inflation verfällt der Wert des Geldes, alle Sicherheiten entgleiten. Dem entspricht ein Sturz in den Gemütern. Es ist auch eine Reaktion darauf, dass in den Zwanzigern die Güter um die Welt gejagt wurden, der Raum schrumpf te. Die Versprechungen der Ferne, der Exotismus – das löst zuerst euphorische Schübe aus. In der Krise produziert die nah gerückte Ferne große Angst. Das kippt um in Träume von Autarkie und Rückbesinnung auf das Agrarische.

Versetzt man sich zurück, sieht man die Zwanziger als enthemmte Zirkusveranstaltung, ähnlich der, die wir jetzt erlebten.


Angesichts der Debatte um Konjunkturprogramme lohnt sich der Rückblick. Die Historiker sind sich einig, dass Roosevelts Beschäftigungsprogramme ihren Zweck, die Konjunktur zu beleben, verfehlt haben. Die Arbeitslosigkeit sank nur langsam. Die mit Steuergeldern finanzierten Programme führten nicht zum Aufschwung. Roosevelts Programme waren nur gut für die Moral im Land.

Die Beschäftigungsprogramme waren eher eine sozialtherapeutische als eine ökonomisch sinnvolle Veranstaltung?

Das Wort „sozialtherapeutisch“ ist zu schwach für die Mobilisierung von Menschenmassen. Was die Beschäftigungsmaßnahmen im New Deal und ähnlich im Nationalsozialismus bewirkten, war eine Selbst-Charismatisierung, der Glau be, das Land mit den New-Deal-Projekten oder der Reichsautobahn neu aufzubauen. Eine Arte Erweckungserlebnis: Wir bauen den neuen Menschen.

Roosevelt sagte 1936 auf einer Wahlkampfkundgebung, dass „eine Regierung des organisierten Geldes genau so gefährlich ist wie eine Regierung des Organisierten Verbrechens“. Dem kann man angesichts der Finanzkrise nur schwer widersprechen.

Die Menschen verlangen nach einer Abrechnung. Es kam zu Untersuchungsausschüssen über Munitionsfabrikanten, denen vorgeworfen wurde, ein Geschäft mit dem Tod gemacht zu haben. In anderen Untersuchungsausschüssen ging es um die Auswüchse des Finanzkapitalismus. Es würde mich nicht wundern, wenn demnächst wieder Unternehmer zum Zweck der Katharsis öffentlich an den Pranger gestellt werden. Man schiebt die Schuld auf einen Prominenten, und sieht nicht, dass die 300 Millionen Amerikaner kräftig beim wohligen Konsum-Taumel in der Blasen-Zeit mitgemacht haben.

Wenn der Fernsehschauspieler Peter Sodann sagt, er würde am liebsten Herrn Ackermann verhaften, spricht er da eine kollektive Rache-Fantasie aus?

Ja, sicher. Noch vor kurzem galt der Banker als Übermensch, als säkularisierter Messias, der dauernd den großen Gabenschatz ausschüttet. Vielleicht waren einem die Bank-Manager etwas suspekt, aber man hat sie für überlegen kompetent gehalten, für „Masters of the Universe“. Das ist entzaubert. Offenbar wird diese Position des von der Gesellschaft beauftragten, säkularisierten Messias derzeit von der Politik eingenommen: Jetzt soll der Staat die Sterntaler regnen lassen.

Obama kündigt massive Konjunkturprogramme an. Klingt das für Sie wie der Versuch, Roosevelts Politik zu wiederholen?


Als ich für mein Buch über den New Deal über die Zeit vor 1929 recherchiert habe, kam mir unsere Gegenwart wie ein gespenstischer Wahlverwandter dieser Blasen-Zeit vor, wie ein Wiedergänger der Jahre vor der großen Depression. Wenn Marx sagt, die Tragödie wiederholt sich als Farce, könnte man heute sagen, der Triumph des New Deal wird jetzt in der erhofften Wiederholung des Triumphes zum Farcen-Triumph. Ein altes Theaterstück wird noch einmal aufgeführt.

Zu Obamas Konjunkturpaket gehören Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Diese Sanierung einer maroden Infrastruktur ist doch mehr als ein Theaterstück.

Das stimmt, aber mich interessiert eher, was in den Denkstrukturen vorgeht. Mir drängt sich heute ein anderes Echo der Dreißiger auf: Die Zeiträume, in denen gedacht wird, schrumpfen. Das nächste Jahr ist für die Leute subjektiv ungeheuer weit entfernt. Nach allem, was man über Wirtschaftskrisen weiß, ist der Glaube, nächstes Jahr sei die Rezession vorbei, absoluter Unsinn.

Sie leben in New York und sind vermutlich erleichtert über das Ende der Regierung Bush. Deren Wirtschaftspolitik wird gerne als „neoliberal“ attackiert – ein Rückzug des Staates zugunsten des deregulierten Marktes. Stimmen Sie zu?


Nein. Das war nicht liberal, das war Staatsmonopolismus, eine Herrschaft der Lobbys. Die Ressourcen des Staates wurden in die gewünschten Wirtschaftsbranchen gestopft, von Rüstung bis Ölindustrie. Die Märkte waren nicht zu stark, sie waren zu schwach. Wenn die Jünger Milton Friedmans konsequent wären, hätten sie als erste unglücklich über diese Regierung sein müssen.

Weshalb leben Sie eigentlich seit den Siebziger Jahren in New York?


Weil es der gebaute Mythos ist. Ich schaue aus meinem Arbeitszimmer im 25. Stock auf den Financial District. Man hat das Gefühl, nah am realen Machtzentrum des Imperiums zu sein, der Originalmacht, nicht diese kleinen Ableitungen wie in Frankfurt. Seit Bush erlebe ich dieses Land als eine Art sanften, demokratischen Faschismus, ohne äußere Repression und Völkermord im Inneren, ein alles erstickender Konformismus, der Konflikte unsichtbar macht. Ich frage mich, wie die in fast allen Kommentaren zu Obama an die Wand gemalte Desillusionierung aussehen wird, wenn sie dann wirklich eintritt.

– Das Gespräch führte Peter Laudenbach.

Wolfang Schivelbusch, Jahrgang 1941, gilt als einer der originellsten und produktivsten Kulturhistoriker Deutschlands. Seine Bücher zur Geschichte der Eisenbahn, der Genussmittel („Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft“) und über „Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert“ sind  Standardwerke geworden. Sein Buch „Entfernte Verwandtschaft“ (erschienen im Hanser Verlag) über die Analogien zwischen Faschismus, Nationalsozialismus und Roosevelts New Deal löste 2005 breite Debatten aus. Wolfgang Schivelbusch lebt seit den siebziger Jahren in New York.

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