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Die 32-jährige Sitarvirtuosin Anoushka Shankar.

© Yuval Hen/Deutsche Grammophon

Interview mit Anoushka Shankar: „Geld und Erfolg sind nur eine Illusion“

Sitar-Spielerin Anoushka Shankar verbindet indische Klassik mit westlichem Pop: Ein Gespräch über ihren Vater Ravi, Spiritualität und ihr siebtes Studioalbum "Traces Of You".

Frau Shankar, im Booklet Ihres Albums „Traces Of You“ zitieren Sie eine Kernthese der hinduistischen Philosophie: Die Welt ist eine Illusion. Wie verstehen Sie diesen Satz?

Ich würde ihn nicht so wörtlich nehmen. Ich glaube, er soll heißen, dass es Dinge gibt, die einem nicht besonders real erscheinen, auch wenn wir uns in der wirklichen Welt bewegen. Liebe, Beziehungen, Leben, Essen, Geborgenheit, Geist – diese Dinge geben meinem Leben einen Wert. Geld und Erfolg dagegen sind nicht wirklich real. Das sind Dinge, denen man einen bestimmten Wert beimessen kann, die aber keinen ultimativen Wert besitzen. Insofern ist das Leben eine Illusion, denn wir sorgen uns um Dinge, die nicht wirklich eine Rolle spielen.

Sie sind die Tochter des weltbekannten Sitar-Spielers Ravi Shankar, der unter anderem George Harrison von den Beatles unterrichtete und der letztes Jahr starb. Ihre Beziehung war sehr eng. Ist Ihr Album ein Versuch, ihm durch die Musik nah zu sein?
Ich brauche nicht die Musik, um meinem Vater nah zu sein. Dieses Album war für mich eine Möglichkeit, meine Gefühle in eine bestimmte Form zu gießen, sie zu kanalisieren und in etwas Produktives umzuwandeln. Mein Vater ist gestorben. Und ich habe ein Album gemacht. So einfach ist das.

Es beginnt mit einer kleinen Überraschung: Ihre Schwester Norah Jones singt den ersten Song und danach noch zwei weitere. War die CD eine Art Familienprojekt?

Es war ja nicht unsere erste Zusammenarbeit. Auf meinem Album „Breathing Under Water“ haben wir bereits einen Song gemeinsam aufgenommen. Dennoch war es diesmal etwas anderes. Nach allem, was passiert ist, schien es mir der passende Zeitpunkt zu sein, um wieder mit Norah zu arbeiten. Wir haben drei Songs aufgenommen, wir haben zusammen geschrieben und so ist sie Teil des gesamten Projekts geworden. Ich denke, das spürt man auch. Ich liebe ihre Stimme, sie kommt immer wieder, wie ein alter Bekannter oder ein guter Freund. Es war sehr intensiv, eine schöne Erfahrung.

Ihre Musik hat ihre Wurzeln in der indischen Klassik. Auf dem größtenteils instrumentalen „Traces Of You“ finden sich aber auch Elemente westlicher Klassik, von Jazz und Pop. An was für ein Publikum richten Sie sich?

Mit diesem Album kann man sehr leicht Zugang zu klassischer indischer Musik finden, auch wenn man sonst nicht viel davon versteht. Es ist auch ein schöner Einstieg für jemanden, der die Sitar zum ersten Mal hört. Es geht hier nicht um Genres. Natürlich bewegt sich meine Musik abseits des Mainstreams und jemand, der mit seinen Ohren ausschließlich in den Charts zu Hause ist, wird mit diesem Album wahrscheinlich wenig Freude haben. Ich würde sagen, es ist für Menschen gemacht, die eine Reise schätzen.

Schlagen Sie eine Brücke zwischen indischer Klassik und westlicher Popkultur?

Wenn es so wäre, dann wäre das sehr schön. Aber eigentlich mag ich es nicht, vom „Brückenschlagen“ zu sprechen, weil das impliziert, dass die Menschen grundsätzlich etwas voneinander trennt. Und ich glaube, wir sind schon wesentlich weiter.
Sie haben das Sitar-Spielen einmal mit einer spirituellen Erfahrung verglichen.
Ja, durchaus. Beim Sitar-Spielen geht es um Präsenz. Darum, sich der Sache voll und ganz zu verschreiben und tief einzutauchen – und das kann einen sehr spirituellen Charakter haben. Durch das Spielen finde ich meine Mitte. Ich ruhe dann völlig in mir und vergesse alles um mich herum. Man vergisst, was in fünf Minuten sein wird oder welchen Fehler man vor zwei Minuten gemacht hat. Man lebt nur für den Augenblick.

Das klingt auch nach einem sehr fordernden Instrument.

Ja, es ist sehr anspruchsvoll. Anders als ein Klavier, bei dem man sehr leicht einen Klang erzeugen kann, indem man eine Taste drückt, ist die Sitar mehr wie eine Geige, bei der man erst lernen muss, wie man den Klang erzeugt. Das kann am Anfang ziemlich frustrierend sein. Die Größe des Instruments verlangt einem zudem körperlich einiges ab. Hinzu kommt das musikalische System, das nicht einfach ist. Anders als das westliche Notensystem, das auf Harmonien und Akkorden basiert, fußt indische Musik auf dem Raga-System. Diese Melodien sind einzigartig, sehr ungewöhnlich und verlangen ein nuanciertes Spiel. Für Außenstehende kann das anfangs sehr fremd wirken.

George Harrison hat das Sitar-Spiel irgendwann aufgegeben. Es heißt, dass er nicht den richtigen Zugang zu dieser Musik gefunden haben soll.

Ich weiß nicht so recht. Er war ziemlich gut. Vielleicht hat er aber irgendwann gemerkt, dass er sich dem Instrument nie voll und ganz verschreiben würde. Dieses Level hätte er wahrscheinlich nicht erreicht. Und vielleicht wollte er das auch gar nicht. Dennoch war er einer der leidenschaftlichsten Anhänger dieser Form von Musik.

Haben Sie selbst jemals ans Aufgeben gedacht? Gab es eine Phase der pubertären Rebellion gegen die Musik Ihres Vaters?
Nicht wirklich. Als Teenager war ich zwar aufrührerisch, aber wenn ich rebelliert habe, dann richtete sich das gegen meine Mutter. Die Musik oder die Verbindung zu meinem Vater hat das nie tangiert. Es hat sich einfach nicht richtig angefühlt. Das hat sehr viel mit Respekt und Spiritualität zu tun.

Das Gespräch führte Sarah-Maria Deckert. „Traces Of You“ erscheint bei Universal.

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