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 Danny Boyle, 56. Auf einen Schlag berühmt wurde er 1996 - mit „Trainspotting“. „Slumdog Millionär“ war 2009 sein größter Erfolg. Der Film gewann acht Oscars.

© AFP

Interview mit Danny Boyle: Danny Boyle: „Wir Regisseure sind Kontrollfreaks“

Regisseur Danny Boyle spricht über seinen Kunstraub-Thriller "Trance", über Kämpfernaturen, Femmes fatales - und die Macht der Hypnose.

Von „Memento“ bis „Bourne Identity“: Gedächtnisverlust ist ein beliebtes Kinomotiv. Was hat Sie an dem Thema interessiert?

Amnesie ist ein tolles Sujet, weil im Kino Bilder und Emotionen ständig im Fluss sind und dadurch viele Möglichkeiten eröffnet werden, mit Zeitebenen und Erinnerungen zu spielen. Es ist ein ideales Medium, um verdrängte Erinnerungen sichtbar zu machen und die Verlässlichkeit von Erinnerungen überhaupt zu prüfen. Ich liebe Filme über Amnesie, aber eigentlich geht es in „Trance“ gar nicht um Gedächtnisverlust …

... sondern?

Einer der Gangster im Film sagt: „Amnesie ist völliger Quatsch“, und er hat recht. Das Vergessen ist eine verhaltenspsychologische Entscheidung. Wir tun das alle auf eigener Weise. Aber dabei wird die Erinnerung nicht aus unserem Kopf gelöscht, sondern in einen Käfig gesperrt. In „Trance“ geht es um die Macht der Hypnose: Sie hält den Schlüssel für den Käfig in der Hand. Es gibt klinische Beweise dafür, dass Hypnose Schmerz heilen und Erinnerungen mobilisieren kann. Ende der Siebziger setzten Gerichte Hypnose sogar als Beweismittel ein, um verdrängte Erinnerungen an Gewaltverbrechen hervorzuholen – und so geriet sie auch in Verruf, als es zu Manipulationen kam. Etwa fünf Prozent der Menschen sind besonders zugänglich für Hypnose. Einzelkinder etwa sind anfälliger, weil sie es gewohnt sind, in Rollenspielen ihrer Fantasie zu folgen, genauso wie Schauspieler, die sich immer wieder in neue Geschichten hineindenken müssen.

Der Film spielt nicht nur mit der Verlässlichkeit von Erinnerungen, sondern auch mit der Verlässlichkeit von Identifikationsfiguren. Die Sympathien bleiben in „Trance“ ständig im Fluss.

Die Amerikaner hassen so etwas. Die wollen immer nur einen Helden, den sie anfeuern können. Aber mich hat an dem Drehbuch gerade gereizt, dass hier mit den konventionellen Identifikationsmustern gespielt wird. Zunächst wird die Story aus der Sicht von James erzählt, der ein Problem mit seiner Glücksspielsucht hat und zu einer Hypnosetherapeutin geht, in die er sich verliebt. Aber irgendwann wird er in der Beziehung besitzergreifend und gewalttätig. Elizabeth versucht aus dieser Beziehung herauszukommen und sorgt mit ihren eigenen Waffen dafür, dass er sie vergisst. Alle meine Filme erzählen im Grunde genommen von Menschen, die gegen widrigste Umstände versuchen, ihr Ziel zu erreichen. Am Anfang denkt man, dass es James ist, der gegen sein Schicksal ankämpft, aber dann irgendwann erweist sich Elizabeth als die eigentliche Heldin.

Sehen Sie sie als moderne Femme fatale?

Wir spielen eher mit der Idee der Femme fatale, die ja eine männliche Erfindung ist. Die klassische Femme fatale im Film Noir ist eine Frau, die sich wie ein Mann verhält, indem sie grausam und herzlos die Emotionen der Männer ausbeutet. „Trance“ benutzt diese Idee, um die sehr reale Hintergrundgeschichte einer gewalttätigen Beziehung zu erzählen. Studien zufolge macht eine von fünf Frauen mindestens einmal in ihrem Leben eine solche Erfahrung.

Sie haben im letzten Jahr die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele inszeniert. Wann hatten Sie da noch Zeit, diesen Film zu drehen?

Das Drehbuch kam schon vor ein paar Jahren rein, und ähnlich wie bei „127 Hours“ hat mich die Idee nicht mehr losgelassen. Wir haben die Rechte gekauft und das Buch mehrfach überarbeitet. Die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele haben mich zwei Jahre lang in Anspruch genommen, und zwischendrin brauchte ich unbedingt eine Auszeit. In dieser Erholungspause habe ich „Trance“ gedreht. Diese Geschichte, die ganz in die dunklen Gegenden der Seele vordringt, war das richtige Gegengift zu dem großen, familienorientierten OlympiaEvent. Geschnitten habe ich den Film dann erst nach den Olympischen Spielen.

Hat die lange Pause zwischen Dreh und Schnitt Ihnen dabei geholfen, noch einmal Abstand zum Material zu finden?

Der Film erzählt ja eine sehr komplizierte Story. Da tut Abstand ganz gut. Normalerweise haben wir Regisseure diesen Luxus nicht, weil die Geldgeber uns drängen, den Film so schnell wie möglich fertig zu stellen. Am Anfang war es frustrierend, das Projekt nach dem Dreh erst einmal auf Eis legen zu müssen. Aber als ich dann Monate später im Schneideraum saß, merkte ich, wie viel ich bereits vergessen hatte. Ich war von meinem eigenen Material überrascht. So konnte ich den Film mit neuen Augen sehen – eine Erfahrung, die ich allen Regisseuren nur empfehlen kann.

Haben Sie sich schon einmal selbst hypnotisieren lassen?

Nein. Dabei wäre ich als Filmemacher und Künstler wahrscheinlich sehr empfänglich dafür. Aber das Problem bei Regisseuren ist, dass sie nicht nur kreative Köpfe, sondern auch Kontrollfreaks sind. Und bei der Hypnose geht es ja gerade darum, die Kontrolle abzugeben.

Das Gespräch führte Martin Schwickert.

DANNY BOYLE (56) wurde 1996 auf einen Schlag berühmt durch „Trainspotting“. Weitere Filme u.a.: „The Beach“ (2000) und „Slumdog Millionär“, womit er 2009 acht Oscars gewann.

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