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Perfekte Bedingungen. Daniel Barenboim probt mit Studierenden der Barenboim-Said Akademie im Pierre Boulez Saal.

© Peter Adamik

Interview mit dem Rektor der Barenboim-Said Akademie: „Ein Signal nach Nahost senden“

Michael Naumann über die Aufgaben der Akademie und ihr erstes Jahr in Berlin.

Herr Naumann, in der Beilage zur Eröffnung des akademischen Jahres der Barenboim-Said Akademie im Dezember 2016 haben Sie geschrieben: „Weltoffenheit und Neugier auf die jeweils anderen geben den Ton an“. Ist die Akademie heute noch notwendiger als damals?

Leider ja. Wir bilden junge Menschen aus dem Nahen Osten aus. Die politische Situation dort ist so verfahren wie nie zuvor seit der Gründung des Staates Israel. Millionen Syrer, Iraker und Kurden sind auf der Flucht. Menschenrechte werden mit den Füßen getreten. Hunderttausende Zivilisten sind in den letzten zwei Jahrzehnten in Kriegen umgekommen. Derzeit gibt es keine andere Region in der Welt, in der die globalen außenpolitischen Verwerfungen der Gegenwart massiver sind als im Nahen Osten. Die Reduzierung amerikanischer Außenpolitik auf den Einsatz von Bomben, Drohnen und punktuellen Eingriffen in bürgerkriegsähnlichen Situationen ist das Gegenteil von Neo-Isolationismus, der Trump ja unterstellt wird. Die Rolle Russlands – denken Sie an die Bombardierung von Aleppo – ist unerträglich. Der syrische Giftgaskrieger Assad, die Machtprojektionen Teherans und Riads mitsamt ihren fundamentalistischen, genauer, terroristischen Konsequenzen – dies alles bildet eine blutige Konfliktmelange, die zum Himmel schreit. Die nahöstliche Entwicklung legitimiert die kulturpolitische Funktion unserer kleinen Akademie noch stärker, als es bei der Gründung abzusehen war. Für mich ist sie das gelebte Beispiel einer friedvollen, harmonischen Zukunft – gewissermaßen das Gegenbild zur schrecklichen Gegenwart in der Region.

Wie war die Reaktion auf die Eröffnung?

Wir hatten uns entschlossen, die Eröffnung mit so wenig politischem Pomp wie möglich zu gestalten. Keine Reden, denn die Menschen – unsere Gäste, unter ihnen der Bundespräsident Joachim Gauck, waren ja gekommen, um Musik zu hören. Und siehe da, es ging gleich wunderbar los. Alle fanden unseren neuen Konzertsaal sensationell.

Haben Sie Reaktionen aus den Herkunftsländern ihrer Studierenden erhalten?

Ich weiß, dass unser Projekt – das ja auf der Idee des West-Östlichen Divan Orchesters aufbaut und ein harmonisches Zusammenspiel junger Menschen aus dieser Konfliktregion fördern will – manchen Politikern dort gegen den Strich geht. Es gibt entsprechende Artikel in arabischen Zeitungen, und auch in Israel ist es keineswegs so, dass Maestro Barenboim und seine Musiker von der Regierung Netanjahu mit offenen Ohren oder Herzen begrüßt werden. Im Gegenteil. Mir sind aber die offiziellen Reaktionen aus diesen Ländern, ehrlich gesagt, egal. Was wir machen, ist auf Dauer angelegt. Unsere Studierenden werden in 20 Jahren ein Netzwerk weit über Israel, Ägypten, über Jordanien, den Libanon oder Syrien hinaus bilden, das auf ihren Berliner Erfahrungen gründet. Ein Netzwerk von jungen Menschen, professionellen Musikern, Musiklehrern und Exponenten eines humanistischen Kulturbegriffs, der vielleicht etwas zur Konfliktlösung in ihren Ländern beiträgt. Unsere unmittelbare Aufgabe ist jedoch, jungen Menschen eine erstklassige Ausbildung in Musik und Geisteswissenschaften im Rahmen eines Curriculums anzubieten, das es an anderen Musikhochschulen in dieser Form nicht gibt.

Welchen Ruf hat sich die Akademie im ersten Jahr international erworben?

Aus Anlass der Eröffnung sind zahllose Artikel in der internationalen Presse erschienen. Der schönste Satz bezog sich auf Frank Gehrys Konzertsaal. Er stammte aus der „Los Angeles Times“ und lautete: „Die Elbphilharmonie ist der Konzertsaal, den Hamburg braucht. Der Pierre Boulez Saal ist, was die Welt braucht.“ (The Elbphilharmonie is the concert hall that Hamburg needs. The Pierre Boulez Saal is what the world needs.) Wahrscheinlich kommen nur Amerikaner auf so wunderbare hyperbolische Sätze.

Ihre Erwartungen haben sich also erfüllt?

Ja. Genauso wichtig ist uns aber der enorme Zuspruch bei den Bewerbungen. Für das kommende Studienjahr hatten sich über 200 Studierende beworben, genommen haben wir 20. Das heißt, die Attraktivität unseres Instituts ist in der Region sogar gewachsen.

Wie strahlt die Akademie in die Stadt?

Wir sind angekommen. Der Konzertsaal ist mit 98 Prozent ausgelastet. Und was mich sehr freut: Vor allem zeitgenössische moderne Musik, moderne Kammerorchesterkonzerte von lebenden Komponisten werden vom Publikum angenommen. Angekommen als Berliner Institution sind wir leider auch in der alltäglichen Auseinandersetzung mit der Bürokratie. So weigert sich das Bezirksamt Mitte, ein Halteverbot vor dem Eingang der Akademie einzurichten, was zu lebensgefährlichen Situationen führt, weil die Menschen nach den Konzerten auf die stark befahrene Straße streben. Ein lustiger Amtsschimmel hat uns geschrieben: Die Berliner würden sich sowieso nicht an Halteverbote halten.

Wie ist es der Akademie bisher gelungen, sich in der Berliner Hochschullandschaft zu etablieren?

Verfassungsrechtlich sind wir ein Unikum – die Akademie gehört gewissermaßen zur Bundesregierung, die hochschulrechtliche Aufsicht liegt aber beim Land Berlin. Das zu klären, war etwas kompliziert. Worauf ich stolz bin, ist die Rekrutierung unseres Dekans Mena Mark Hanna, ein in Oxford promovierter Musikologe und Komponist ägyptisch-englischer Herkunft, der an der Houston Grand Opera in der Intendanz beschäftigt war. Nicht minder stolz bin ich auf die Rekrutierung von Roni Mann, Doktorin der Harvard University, eine junge rechtsphilosophische Gelehrte, die am Wissenschaftszentrum Berlin tätig war. Beide haben sich hier mit Erfolg nicht nur als Lehrer, sondern auch als Wissenschaftsmanager bewährt. Das war wichtig, denn es galt ja, eine seriöse Hochschule einzurichten, die vom Wissenschaftsrat und von der Berliner Hochschulbehörde staatlich anerkannt wird. Und dann gibt es natürlich den Dritten im Bunde – den Kanzler Carsten Siebert, der jahrelang mit Robert Wilson in Amerika zusammengearbeitet hat, bei McKinsey als Unternehmensberater wirkte, aber auch einen philosophischen Lehrauftrag an der Universität Lüneburg wahrnahm. Dieses Triumvirat bildet das Kraftzentrum unserer Akademie – sehen wir einmal davon ab, dass es natürlich Daniel Barenboim war, der sie buchstäblich in die Welt gesetzt hat und der den musikpädagogischen Kammerton der Akademie vorgibt. Ohne ihn, das ist klar, gäbe es sie gar nicht.

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Der Publizist Michael Naumann (75) wurde 1998 erster deutscher Staatsminister für Kultur und Medien.
Der Publizist Michael Naumann (75) wurde 1998 erster deutscher Staatsminister für Kultur und Medien.

© John MacDougall/AFP

Wie weit ist die Vernetzung mit anderen Institutionen in der Stadt gediehen?

Wir haben rund 40 Lehrbeauftragte. Sie kommen nicht nur aus der Staatsoper, sondern auch aus anderen Musikhochschulen. Ein Musiklehrer sollte nicht mehr als vier Studierende betreuen, wir haben aber eine Menge Violinistinnen und Violinisten. Weil unsere Unterrichtssprache Englisch ist, arbeiten wir zum Beispiel auch mit dem Bard College zusammen, dem bekannten humanistischen College aus Massachusetts, das in Pankow eine Niederlassung hat. Ansonsten sind wir ja immer noch in der Anfangsphase und richten auch unsere Angebote an das Nicht-Fachpublikum gerade erst ein. Am 3. November wird es ein Gespräch zwischen Maestro Barenboim und dem portugiesischen Neurologen Antonio Damasio geben. Es geht um dessen neues Buch „Im Anfang war das Gefühl – um die Herkunft von Kultur aus der Welt des Gefühls. Warum genießen wir die Zwischentöne chinesischer oder arabischer Musik mit ihren nicht-polyphonen Kompositionen? Warum verstehen wir sie? Warum gelten Mozart oder Bach in Asien als die größten Komponisten aller Zeiten? Gibt es ein Grenzen und Kulturen überschreitendes, neuronales Zentrum in den Köpfen aller Menschen, das diese gleichsam internationale Rezeption klassischer europäischer Musik möglich macht, eine Gehirnregion, die sich nicht um Reisepässe und Leitkulturen kümmert? Die Veranstaltung mit Damasio und Barenboim ist ein Beispiel dafür, dass wir uns jenseits des Musikunterrichts in das Publikum hineinbewegen möchten.

Wie sind die Reaktionen auf den Pierre Boulez Saal ausgefallen?

Das Erste, was ich immer wieder von professionellen Konzertbesuchern höre, ist ein Lob der Intimität. Der Satz, dass das Auge mithört – wie auch der andere von Adorno stammende Satz, dass das Ohr denkt – bewahrheiten sich hier auf das Schönste. Wenn man sich auf die Stühle rings um die Kammermusiker setzt, könnte man tatsächlich die Notenseiten umblättern. Diese Dichte entspricht dem bürgerlichen und feudalen Ursprung der Kammermusik, dem Konzert im Salon, in der „Kammer“. Zweitens wird die Akustik generell gelobt. Und schließlich – das fällt den wenigsten auf – sind wir der einzige mir bekannte Konzertsaal mit Fenstern zur Straße. Zwischendurch gab es auch eine Performance von Robert Wilson, die eine Woche lang ausverkauft war. Das war für uns eine kleine Strapaze, weil die Künstler seiner Truppe hier die Räume belegten; es war aber noch während der Semesterferien. Dieses Experiment hat die Variationsbreite des Konzertsaals noch einmal betont.

Welche Bedeutung hat der Saal für die Studierenden?

Sie können hier proben. Die Kammerorchester üben unter der Anleitung von Michael Barenboim, der ja nicht nur ein fabelhafter Violinist ist, sondern wie sein Vater auch ein exzellenter Lehrer. In wenigen Monaten ist es ihm gelungen, eine Kammerkonzerttradition innerhalb der Studentenschaft zu begründen, die ganz erstaunlich ist. Sie proben nicht nur in unserem kleinen Mozart-Auditorium, sondern natürlich auch im Konzertsaal. Und es gibt Studentenkonzerte, die übrigens gut besucht werden.

Wie reagiert das Publikum auf das spezielle, arabisch oder persisch geprägte Musikangebot? Das ist ja etwas Neues für Berlin.

Also ganz so neu ist es nicht – wer in Kreuzberg oder Neukölln lebt, kennt die Musik. Es kommt jedenfalls weiterhin das Berliner Bildungsbürgertum. Und das ist sehr offen für Konzerte zum Beispiel mit der Oud oder anderen arabischen Instrumenten – genauso wie es offen war für John McLaughlin, der seine elektrische Gitarre krachend zu Gehör brachte. Unser Intendant, Ole Baekhoej, ist jung, dynamisch, ein gelernter Bassist, offen für Jazz, Klassik und Musik aus aller Welt.

Wird sich durch die Wiedereröffnung der Staatsoper in ihrem Betrieb noch etwas ändern?

Das wird sich noch herausstellen. Vertraglich hat die Staatskapelle Zugriff auf den Konzertsaal – für ein halbes Dutzend Konzerte im Jahr.

Und die Finanzen?

Was die Kosten betrifft, so ist es bei einem derart großen öffentlichen, kulturellen Bauvorhaben sicher einmalig in Berlin, dass es erst einmal privat finanziert wurde. Die Barenboim-Stiftung hat über ein Drittel der Baukosten ausgelegt. Darüber hinaus verdanken wir viel dem Wohlwollen des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und dem Engagement der Kulturstaatsministerin Monika Grütters – aber auch dem Auswärtigen Amt, das unsere Studierenden mit Stipendien unterstützt. Während der Bauzeit nach 2013 gab es natürlich eine professionelle Projektsteuerung – eine exzellente Firma namens tp management hat uns begleitet. Mit ihr und dem ausführenden Architekturbüro RW+ haben wir uns jede Woche im Kampf um die Einhaltung der Baukosten getroffen. Ich vermisse diese Rituale heute schon. Wir benötigten auch keine Baucontainer, weil uns die Hedwigs-Kathedrale im Bernhard Lichtenberg Haus nebenan Räume zu einer niedrigen Miete zur Verfügung gestellt hat. Auch dafür danke ich dem lieben Gott und der katholischen Kirche. Dass wir bis auf eine Abweichung von 1,4 Millionen Euro im von uns selbst gesteckten Kostenrahmen von 32 Millionen geblieben sind, macht uns stolz. Kostensteigerungen wie beim BER oder der Elbphilharmonie sind eben nicht gottgegeben.

Wie haben Sie das geschafft?

Ich führe das unter anderem darauf zurück, dass bei uns eine staatliche Baubehörde nicht mitgebaut hat. Wir waren sparsam, weil wir privates Geld verbaut haben – die Zuwendungen der Stifter und Stiftungen. Staatsnah waren wir natürlich in der Einhaltung des Baurechts, aber die Architekten waren von uns bestellt und die Baudurchführung lag bei uns, nicht bei einer fernen Behörde. Als wir hier zwei Fledermäuse auf der Baustelle fanden, dachte ich schon, das war’s. Doch der Tierschutzbeauftragte des Bezirksamts Mitte stellte fest, dass es zwei Tiere mit Migrationshintergrund waren: Sie wohnten hier nicht ständig. Wir konnten also weiterbauen. Bei dieser Gelegenheit ist mir wieder aufgefallen, was alles möglich ist in dieser Stadt. Auch ein Fuchs wohnte zum Beispiel hier. Da es aber in Berlin an Baustellen nicht den geringsten Mangel gibt, haben wir einfach weitergebaut und er ist umgezogen – wahrscheinlich mit der Firma Zapf. Ein Rotfuchs.

Das Gespräch führte Rolf Brockschmidt.

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