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Filmregisseur Andrzej Jakimowski, geboren 1963 in Warschau.

© neue visionen

Interview mit Filmregisseur Andrzej Jakimowski: "Blindheit ist eine große Metapher"

Mit nur drei Filmen hat sich Andrzej Jakimowski als einer der maßgeblichen Regisseure Polens etabliert. "Imagine", sein jüngstes Werk, erkundet die Welt der Blinden - und verführt zu Freiheit und Fantasie. Gespräch mit einem Philosophen, der sich als Träumer versteht.

Lassen Sie uns mit ein paar Warum-Fragen beginnen. Warum spielt Ihr Film, der das Leben in einer Blindenanstalt für Kinder und Jugendliche schildert, in einem portugiesischen Kloster?
Das hat mit meiner Anfangsidee zu tun. In der Kleinstadt Laski bei Warschau gibt es eine von Nonnen getragene Blindenschule. Wie sie dort mit den Kindern und Jugendlichen umgehen, inspirierte mich zu meiner erfundenen Spielhandlung. Aber Erfindungen gegenüber, auch eigenen, bin ich kritisch. Ich stehle gerne vom Leben, das ist der beste Erfinder.

Aber warum spielt Ihr Film dann in Portugal und versammelt noch dazu Kinder aus drei Ländern, die ihre eigenen Sprachen sprechen und sich dennoch ohne Mühe verstehen? Ein bisschen hyperrealistisch wirkt das schon.
Ich wollte in Portugal drehen. Dann kam die Suche nach Koproduzenten, die meiner Idee entsprachen. Schon zu Beginn hatte ich einen französischen Partner, nur Französisch als Filmsprache aber hätte „Imagine“ auf den frankophonen Markt reduziert. Die britische Seite stieg nicht mit Geld ein, aber von dort kam eine gut sozialisierte Gruppe blinder Kinder, und so waren die Briten beim Casting und der Organisation der komplizierten Dreherlaubnisse dabei. Und dass im Film nicht nur Englisch gesprochen wird, stört doch nicht. Wir Menschen sprechen verschiedene Sprachen und können uns trotzdem verstehen.

Warum benutzen Sie, wenn auch sehr diskret, Filmmusik? Genügt in der Blindenwelt von „Imagine“ nicht die Musik des Alltags: Schritte, das Schließen eines Fensterflügels, ein Taubengurren?
Musik ist ein wichtiges emotionales Element fürs Publikum. Ich dachte, der Film funktioniert so besser. Aber Sie haben recht, man könnte die Musik auch weglassen. Nun, ich hab’s gemacht, so gut ich konnte. Nobody is perfect!

Ihre Filme feiern die menschliche Vorstellungskraft, die Fantasie, auch das Irrationale. Andererseits haben Sie Philosophie studiert …
… und ich war ein fleißiger Student!

Wenn Sie wählen müssten: Philosoph oder Träumer?
Ganz klar: Träumer! Meine Abschlussarbeit schrieb ich über Sigmund Freuds Traumdeutung, damals streng wissenschaftlich. Im Kino aber hat die Philosophie nichts verloren, das sind total getrennte Welten. Filme, in denen Leute herumphilosophieren, mag ich nicht.

Da würde jemand wie Terrence Malick, auch er ein studierter Philosoph, heftig widersprechen.
Es gibt viele Möglichkeiten, zum Ziel zu gelangen. Mein Weg ist ein anderer.

Welches sind denn Ihre philosophischen Leitideen und Leitfiguren?
Kant steht ganz weit oben, auch die analytische Philosophie, die ohne ihn nicht vorstellbar wäre. Und Sokrates. Wir können bis heute von ihm lernen, von seinen Debatten ohne jede Eile, aber stets mit dem Ziel, zur Wahrheit zu gelangen. Platon und Xenophon habe ich im Original gelesen, wir hatten Altgriechisch in der Schule. Eine ungemein poetische Sprache. Ich liebe sie.

Und das Filmemachen: Haben Sie sich dem wissenschaftlich entgegengearbeitet oder erlebten Sie einen Art Initialimpuls?
Ich erinnere keinen speziellen Moment. Als ich begann, Filme zu imaginieren, war ich sieben. Als Teenager habe ich mit einer 8-mm-Kamera herumexperimentiert. Filme reizen meine Vorstellungskraft seit jeher, sie begleiten mich wie etwas Natürliches. Die wichtigen gehen mir nie aus dem Kopf.

Nennen Sie Beispiele.
Fellinis „La strada“: ein Meisterwerk, ein Modell idealen Geschichtenerzählens, in dem sich reine kinematografische Werte erfüllen – Ästhetik, Bewegung, Sprache, alles. Ein derartiges Niveau würde ich gerne selber eines Tages erreichen. Oder die starke visuelle Sprache von Orson Welles. Oder Werner Herzog: sein Sinn für Timing, für Einfachheit. Oder auch das Absurde bei Buster Keaton. Er ist ein Alien in der Welt. Wie ich.

Meinen Sie das im Sinne von Einsamkeit?
Nein, in dem Sinn, dass alles seltsam und verrückt erscheint. Natürlich hat man daran existenziell Anteil. Das ist schön.

Das klingt fast wie ein Leitmotiv zu „Imagine“, zum Verhältnis der blinden Kinder zur Welt. Wie kamen Sie auf dieses nicht eben gewöhnliche Filmthema?
Als Student in Warschau hatte ich einen blinden Kommilitonen, er war immer aktiv, immer unterwegs. Seitdem denke ich über die Welt der Blinden nach, über Blindheit als Potenzial einer großen Metapher – erst später kam der Gedanke, darüber einen Film zu drehen. Ich folgte dieser Spur, und da ich gerne dokumentarisch vorgehe, recherchierte ich, arbeitete an meinem Stoff …

… der Echo-Ortung, die Blinde erlernen, um sich besser zu orientieren …

… und am Ende stand wieder die große Metapher. Sie steht da immer noch.

Es gibt Filme mit blinden Helden. Haben Sie zur Vorbereitung welche angeschaut?
Ja, ein paar. „Der Duft der Frauen“ zum Beispiel war hilfreich, aber er bestärkte mich eher noch darin, die Blinden realistisch zu zeigen, nicht so, wie Al Pacino den Blinden spielt. Blinde bewegen sich anders, sie drehen den Kopf zur Geräuschquelle. Und sie haben eine sehr bewegte Mimik, die sie nicht trainieren können. Anders als wir Sehende, wir gucken uns das schon früh von anderen ab.

Und Lars von Triers „Dancer in the Dark“, mit Björk in der Hauptrolle?
Darüber habe ich nie nachgedacht. Anders als er verzichte ich auf das große Drama, die Tragödie. Bei mir wird auch weniger geschrien. Andererseits ist mein Film vielleicht radikaler, weil ich dem wahren Drama auf der Spur bin.

Wollten Sie mit „Imagine“ auch darauf hinaus, dass Blinde vielseitiger und aufmerksamer sind als wir Sehende, weil sie sich stärker auf andere Sinne konzentrieren?
Diese Arbeit hat mich eher zu einer weiteren Erkenntnis geführt. Auch wir Sehende erfahren die Welt nicht wesentlich anders, als die Blinden es tun. Auch wir sehen nicht, was für uns wichtig ist. Die Dinge, um die wir streiten oder kämpfen müssten. Und: Auch wir können nie sicher sein, ob etwas wahr ist oder nicht. Wir sind alle blind.

So wie die Blinden? Oder in gewisser Weise noch blinder als sie?
Sogar noch blinder, denn Blinde gleichen auf ihre Art den Mangel aus. Sie sind gezwungen – und das habe ich beim Beobachten der Kinder am Set gelernt –, ihre schöpferische Vorstellungskraft jede Sekunde zu nutzen, in jeder Situation. Weil Blinde nicht sehen können, müssen sie besser verstehen. Vielleicht können wir von ihnen lernen, mit unserer eigenen Blindheit zurechtzukommen.

Ein Wort noch zu Ihrer Heimat. Um ein altes Vorurteil zu bemühen: Polen ist grau und hässlich. Ihre Filme huldigen der Farbe und dem Licht. Gibt es da einen Zusammenhang?
Gegen Vorurteile kann man nicht kämpfen, das ist unmöglich. Andererseits leide ich durchaus unter einem gewissen Grau meiner Nachbarschaft. Polen ist nicht Italien, das sich die Zeugnisse der schönen Künste bewahren konnte, es ist ein Land, über das immer wieder fremde Armeen hinweggezogen sind. Gleichzeitig liebe ich es, seine verwundete, zerstörte Schönheit. Auch in der Kleinstadt von „Kleine Tricks“, meinem zweiten Film, finden Sie nichts Künstliches, es gibt da manche vernachlässigte Straßenzüge. Ich will das echte Leben zeigen. Ich will zeigen, wie schön diese graue Welt ist.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala. Der Film läuft in neun Berliner Kinos.

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