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Vielseitig. Musiker Hendrik Otremba hat gerade seinen zweiten Roman veröffentlicht.

© Promo / Kat Kaufmann

Interview mit Hendrik Otremba: „Ist die Zukunft wirklich ein Sehnsuchtsort?“

Hendrik Otrembas zweiter Roman dreht sich um das Einfrieren nach dem Tod. Ein Gespräch über Sterben im Mittelmeer, deutschen Pop und das Magische in der Kunst.

Am Tag des Interviews wartet Hendrik Otremba nervös darauf, dass der Paketbote klingelt – damit er zum ersten Mal sein neues Buch in die Hände bekommt. Der 34-Jährige ist etwas aufgeregt. Als Sänger der Band „Messer“ schreibt er gerade am vierten Album, seine Bilder kann man in Ausstellungen sehen, nun erscheint sein zweiter Roman „Kachelbads Erbe“. Den Postboten hat Otremba zum Glück nicht verpasst, er wollte seine Neuköllner Wohnung an diesem Tag ohnehin nicht verlassen – denn draußen hat es weit über 30 Grad. Eine gute Gelegenheit, um übers Einfrieren zu reden.

Herr Otremba, wollen Sie ewig leben?

Auf keinen Fall, es ist so schon aufregend genug. Der Tod sollte weder verhindert noch übersprungen werden. Das heißt aber nicht, dass ich sterben will. Ich bin gern auf der Welt und liebe die Vorstellung, irgendwann ein alter Mensch zu sein. Ich weiß, ich romantisiere das, und wenn es so weit ist, tut mir bestimmt die Hüfte weh.

Dennoch haben Sie gerade einen Roman geschrieben, der genau diese Frage stellt. Gleich zu Beginn heißt es dort: „Wir wollen das Sterben nicht länger akzeptieren.“ Der Kunsttheoretiker Bazon Brock befand einmal: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören.“ Sind Sie einer Meinung?

Der Tod muss abgeschafft werden, wo er nicht natürlich kommt. Wenn Menschen umgebracht werden oder ertrinken.

Sie spielen auf die Flüchtlinge im Mittelmeer an.

Bevor man versucht, den Tod abzuschaffen, sollten wir diesen Skandal beenden.

In Ihrem neuen Roman „Kachelbads Erbe“ geht es um Kryonik. Also darum, dass Menschen sich nach ihrem Tod einfrieren lassen in der Hoffnung, eines Tages wiederbelebt zu werden. Hat die Arbeit am Buch Ihre Sicht auf den Tod verändert?
Sie hat ihn einerseits entmystifiziert und andererseits wahnsinnig abstrakt gemacht. Ich bin früh Halbwaise geworden. Mein Vater starb, da war ich 20. Ich hatte nicht das Gefühl, ich mache eine Therapie und hake das ab. Die Kunst war ein Ventil, um das immer wieder neu zu verarbeiten. Für mich war der Tod schon früh im Leben etwas sehr Konkretes. Im Buch geht es dagegen um verschiedene Schicksale, dadurch habe ich mehrere Facetten des Todes begriffen. Dann tut er einem auch nicht mehr so viel.

Der Roman als Trauerarbeit.
Kunst ist immer eine Form von Verarbeitung. Das ist für mich die Sprache, in der ich mich damit auseinandersetzen kann. In einer Art, wie ich es in einem Gespräch nicht könnte. Ich bin mit dem Buch morgens aufgestanden und abends schlafen gegangen. Und immer wieder war er im Traum dabei. Er wurde mir manchmal vertrauter als das, was man als Wirklichkeit begreift.

Haben Sie nach einem strikten Stundenplan gearbeitet?
Ich bin morgens aufgestanden und habe mich an den Schreibtisch gesetzt. Und ich bin viel gereist, war einen Monat in New York, in der Ukraine, drei Wochen in Vietnam. Das Kapitel etwa, in dem es um Fieberträume geht, habe ich dort von Hand geschrieben, als ich selbst hohes Fieber hatte. Als ich wieder gesund war, konnte ich mich kaum daran erinnern. Natürlich musste ich es noch mal überarbeiten.

Wie haben Sie sich in das Thema vertieft?

Ich habe unter anderem beide amerikanischen Kryonik-Stiftungen kontaktiert, als ich an einer Stelle nicht weiterkam. Im Moment ist es so, dass die Tanks, in denen sich Menschen einfrieren lassen, regelmäßig mit frischem Stickstoff befüllt werden müssen, ich wollte dafür eine dauerhafte Lösung finden. Selbst wenn es ins Fantastische ragt, sollte es zumindest plausibel klingen. Die Institute haben mir Ideen geschickt, eine war, die Tanks ins All zu befördern. Ich hab’s dann im Kopf durchgespielt und entschieden: Das ist Quatsch.

Wie haben Sie das Problem gelöst?

Ich habe selbst etwas erfunden, aber bekam dafür gute Anregungen beim Deutschen Verein für Angewandte Biostase. In deren Internetforum wollte ich mir Hilfe holen. Doch um Zugang zu haben, musste ich dem Verein beitreten. Als das Buch schon fertig war, erhielt ich eine Einladung zur Jahreshauptversammlung in Frankfurt am Main, im Ruderhaus Mainglück. Da traf ich zum ersten Mal Kryoniker, die haben teils bereits Verträge mit Bestattern, die sie in die USA überstellen, wenn es so weit ist. Da war ein Vater mit seinem erwachsenen Sohn, da waren Familien, ein gläubiger Christ, Unternehmer. Erstaunlich bodenständig.

Sich einfrieren zu lassen, kostet eine Menge Geld. Ist die Hoffnung auf ewiges Leben ein Privileg der Superreichen?

Es gibt Möglichkeiten, das über Lebensversicherungen zu finanzieren. Von dem Geld wird man nach seinem Tod in die USA überführt, wo das Einfrieren legal ist. Trotzdem bleibt es eine unfassbar dekadente Angelegenheit. Das ist ein Problem, ich bin ja selbst gar kein Fürsprecher. Wenn ich mir die Welt gerade angucke, weiß ich nicht, ob die Zukunft ein positiver Sehnsuchtsort ist. Ich würde mich eher sorgen, aufzuwachen und zu denken: Verdammt, wäre ich mal einfach gefroren geblieben.

"Literatur sollte lügen und erfinden"

Vielseitig. Musiker Hendrik Otremba hat gerade seinen zweiten Roman veröffentlicht.
Vielseitig. Musiker Hendrik Otremba hat gerade seinen zweiten Roman veröffentlicht.

© Promo / Kat Kaufmann

Beim Einfrieren von Toten kommt es auf jede Minute an. Sobald der Totenschein ausgestellt ist, muss die Leiche in einen speziellen Sarg auf Eis gelegt werden, um die Verwesung aufzuhalten. Der Körper wird langsam runtergekühlt auf etwa 13 Grad Celsius, damit sich im Blut keine scharfen Eiskristalle bilden, die die Adern verletzen würden. Anschließend wird der Körper bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff konserviert. Das alles erfährt man in Ihrer Geschichte, die Fakten sind jedoch real und keine Fiktion. Wieso war Ihnen das so wichtig?

Recherche führt zu einem Gerüst, das einem für die Fiktion Halt und Orientierung gibt. Und wenn das einmal steht, geht es los mit dem Magischen der Literatur. Mit dem Erzeugen von Nebel. Wenn Leute damit ein Problem haben, sollen sie was anderes lesen. Literatur sollte lügen und erfinden, um zur Wahrheit zu kommen.

„Kachelbads Erbe“ ist bereits ihr zweiter Roman. Sie schreiben Gedichte, lehren kreatives Schreiben an der Hochschule, malen Bilder, singen bei der Band „Messer“. Und immer wieder gibt es Querverweise zwischen Ihren Arbeiten. So scheinen Protagonisten im Roman Ihren Gemälden entsprungen zu sein und zitieren dann Ihre Songtexte. Planen Sie das vorher?

Das ist nicht geplant. Ein Bild heißt wie ein Kapitel, ein Raum – Kachelbad – war mal ein Gedicht und wird dann zu einer Figur im Roman. Ich war neulich eingeladen nach Birmingham an die Aston-Universität und sollte über transmediale Bezüge innerhalb meines eigenen Werkes erzählen. Ich dachte: Oh Gott, was mache ich denn jetzt? Dann habe ich einzelne Motive und Sprachbilder rausgegriffen und in meinen Arbeiten gesucht. Die Verbindungen habe ich da erst begriffen.

Also wissen Sie selbst nicht so genau, was Sie eigentlich tun?

Ich habe für „Messer“ Texte geschrieben, die sind jetzt zehn Jahre alt. Und ich weiß heute erst so langsam, was sie für mich bedeuten.

IIm Roman gibt es einen Messerstecher, der immer vier Mal zusticht …

… da hatte ich eine Krise mit der Band.

Vier Einstiche, vier Bandmitglieder.

Zu der Zeit waren wir noch zu fünft und es waren fünf Messer. Dann ist einer ausgestiegen und ich musste das ändern. Ich freue mich schon drauf, wenn die Jungs das lesen. Die Krise scheint mir überwunden.

Ihr Schriftstellerkollege Saša Stanišic hat eine Interpretation seines eigenen Romans in eine Abiturprüfung geschmuggelt. Er bekam dafür nur 13 von 15 Punkten.

Genial, das ist an mir vorbeigegangen! Mein erster Roman war mal Abithema irgendwo in der Nähe von Kiel. Eine der Aufgaben war, das Ende umzuschreiben. Die Schule hat mir die Texte geschickt, aber ich habe sie mir bisher nicht angeschaut. Ich mag mein Ende, vielleicht will ich nicht feststellen, dass ein anderes besser ist.

Sie unterrichten kreatives Schreiben an Hochschulen. Befolgen Sie Ihre eigenen Ratschläge?

Meine Studierenden schreiben viel, ich werfe ihnen Impulse hin. Ich habe schon Seminare gehalten über deutschsprachige Popmusik und wie die Texte entstehen. Für mich selbst ist das nichts. Ich will zwar wissen, wie ein Blixa Bargeld das macht, schreibe aber selbst einfach drauflos. Zu viel Klarheit macht es uninteressant. Neulich habe ich zum ersten Mal etwas selbst ausprobiert. Meine Studierenden haben nach meiner Anleitung einen experimentellen Text geschrieben und ich saß mit im Raum. Ich hätte es aber eine Frechheit gefunden, währenddessen auf mein Handy zu starren. Und ich musste sowieso Songtexte schreiben, weil wir an einer Platte arbeiten. Dann habe ich im gleichen Modus wie die Studierenden gearbeitet.

Hat es funktioniert?
Es war zwar geil, aber ich habe auch gemerkt, das ist nicht meins.

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