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Schreiben ging immer nur nachts. Joachim Sartorius, Dichter und Kulturmanager.

© Kai Bienert / Festspiele

Interview mit Joachim Sartorius, Chef der Berliner Festspiele: "Gedichte schreiben? Das ging nur nachts"

Elf Jahre hat der Poet Joachim Sartorius den Kultur-Zampano gemimt, als Chef der Berliner Festspiele. Ende Dezember hört er auf und kehrt zurück zu seinen literarischen Passionen. Ein Gespräch über die Hauptstadt und ihre Lust an der Kultur, über Geld und Geldnöte - und übers Reisen.

Herr Sartorius, Sie hätten weitermachen können. Warum hören Sie nach elf Jahren Leitung der Berliner Festspiele auf?

Dafür gibt es einen schlechten Grund und einen guten. Der schlechte ist, dass ich mehr Zeit für meine eigenen Projekte haben will. Und das edle Motiv: Die Festspiele haben eine so leichte, veränderliche Struktur, dass ein neuer Chef auch Neues anstoßen kann. Zumal ich die Erfahrung gemacht habe, dass man bei allem Interesse an jungen Künstlern die intensivsten Kontakte doch zu den Künstlern seiner eigenen Generation hat. Da ist es gut, dass Thomas Oberender kommt, mit anderen Ideen und einem anderen Netzwerk.

Bei Ihrem Start 2001 haben Sie keine revolutionären Änderungen vorgenommen.
Aber hören Sie, es gab eine Fülle von Neuerungen, die für die Berliner Festspiele tatsächlich ‚revolutionär’ waren: Zum ersten Mal in der Geschichte der Festspiele ein eigenes Theater. Zum ersten Mal ein Ausstellungshaus, ein prächtiges obendrein: der Martin-Gropius-Bau. Und zum ersten Mal in der kompletten finanziellen Obhut des Bundes. Programmatisch war die wichtigste Neuerung – indem ich die überlangen Festwochen abschaffte – die Herausbildung von Musikfest Berlin und Spielzeit Europa. Letztere wurde ja gegründet, um das große Theater in der Schaperstraße mit seinen 1000 Plätzen über einen längeren Zeitraum zu bespielen, als Stagione-Betrieb mit Gastspielen und Koproduktionen. Das hat hervorragend funktioniert.

In der Anfangszeit lief in der Musik einiges schief. Da war von Uraufführungen für experimentelles Musiktheater die Rede, Damien Hirst sollte einen Don Giovanni ausstatten, Rebecca Horn mit Simon Rattle Debussys „Martyre de Saint Sébastien“ im Flughafen Tempelhof erarbeiten.
Letztlich scheiterten diese groß dimensionierten Projekte am Geld; die wunderbaren Ideen von Rebecca Horn und Simon Rattle hätten sich auf 1,6 Millionen Euro für zwei Abende summiert. Mittlerweile hat der von mir berufene Winrich Hopp dem Musikfest eine überzeugend klare Linie gegeben: Es ist ein Orchesterfestival, das großartige Klangkörper aus dem Ausland einlädt, die sonst nur punktuell nach Berlin kommen würden und die sich gleichzeitig in eine avancierte Programmatik einbinden lassen.

Was waren denn Ihre größten Herausforderungen?
Der Spagat zwischen den Anforderungen des großen Festspielhauses und den Erwartungen der Politik einerseits – und andererseits meinen Leidenschaften für ungewöhnliche, schräge und damit auch kleinere Produktionen. Bei Pina Bausch, William Forsythe oder Robert Lepage war es immer voll. Aber das kann ja nicht alles sein. Wir haben dann das Labor auf die Seitenbühne verlegt und vor allem im Rahmen der MaerzMusik das Experimentelle und Verwegene gepflegt. Eine weitere Herausforderung war das doch recht alte Publikum. Wir wollten das West-Berliner Bürgertum nicht verlieren, aber gleichzeitig den Altersschnitt senken und in andere Bereiche der Stadt ausstrahlen, vor allem Richtung Mitte.

Die großen Namen kann die Spielzeit Europa sich aber oft nicht leisten. Gerade tourt „Richard III.“ aus dem Londoner Old Vic durch die Lande, mit Kevin Spacey unter der Regie von Sam Mendes. Nach Berlin kommen sie nicht.
Es ist langweilig, über Geld zu reden, also nur kurz: Wir haben mit rund zehn Millionen Euro Bundeszuschuss für die gesamte Festivalfamilie ein auskömmliches Budget für normale Gastproduktionen. „Richard III.“ hätten wir gerne gezeigt, es gab auch Vorgespräche, aber sollen wir für den Mainstream, der die Kunst nicht vorantreibt, so viele Gelder binden?

Eine Ihrer Passionen gilt der Kultur aus Osteuropa.
Es ist verrückt, Osteuropa hat offenbar keinen Sex-Appeal für die Berliner. Man holt Gastspiele aus Los Angeles, und alle kommen. Man lädt tolle polnische Regisseure ein oder den ungarischen Nachwuchs, und kaum einer will das sehen. Angesichts der geografischen Lage der Stadt ist es schon merkwürdig, dass die kulturellen Hervorbringungen unserer östlichen Nachbarn so wenig interessieren. Bei der Polen-Ausstellung im Gropius-Bau, für die wir eine Million Euro aus dem Budget des Kulturstaatsministers bekommen haben und eine Million aus Polen, haben wir zurückhaltend mit 50 000 Besuchern gerechnet. Am Ende werden es wohl 55 000 Besucher sein. Ich hätte mir das Doppelte gewünscht.

Und die Höhepunkte Ihrer Amtszeit?
Bei der Musik die Aufführung der „Gruppen“ von Stockhausen im Flughafen Tempelhof und der Xenakis-Schwerpunkt des Musikfests 2009. Im Theater Schlingensiefs „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ und Isabelle Huppert in Sarah Kanes „4.48 Psychose“. Die Eröffnungsrede von Edouard Glissant beim Internationalen Literaturfestival. Die Olafur-EliassonAusstellung im Gropius-Bau, ein Abenteuerspielplatz mit 168 000 Besuchern in zweieinhalb Monaten. Und bei der Spielzeit Europa die riesigen Figuren von Royal de Luxe, mit denen wir die ganze Stadt bespielten und zwei Millionen Besucher anzogen – logistisch und organisatorisch die größte Herausforderung.

Oft wird gesagt, Berlin sei ein ganzjähriges Festival, in allen Kunstsparten, und da fänden Festspiele nur schwer ihren Platz. Wie begegnen Sie diesem Argument?

Dass es gar nicht genug Kultur geben kann. Festivals sind ja nicht bloß für Residenzstädte da, in denen jeden Sommer ein Kultur-Geysir für die Betuchten, die happy few, und für Touristen ausbricht. Aber es stimmt, Berlin ist ein riesiger kultureller Setzkasten, hundert Kulturakteure sitzen da mit ihren Förmchen im Sandkasten und stecken ihre Claims ab.

Wie haben Sie sich mit dem nicht leicht bespielbaren Bornemann-Bau arrangiert?
Das Haus der Berliner Festspiele ist mir ans Herz gewachsen, wir lieben es hier inzwischen alle. Seine etwas strenge Sechziger-Jahre-Architektur mag nicht besonders aufregend sein, sie erlaubt aber dem Besucher, sich ganz auf das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren. Und ich liebe die großen Glasfassaden im oberen Foyer, die den Himmel und die Bäume in das Gebäude hereinholen. Seit Mai ist es von Grund auf saniert, Technik, Licht, Akustik, alles bestens, die Gastensembles sind begeistert.

Ihr Büro hier hat einfach verglaste Fenster und sehr dünne Außenwände: keine gute Energieeffizienz.
Haben Sie die Rohre da gesehen mit der Messvorrichtung? Da kann ich die Temperatur der Mannschaftsdusche im Keller sehen. Der Bürotrakt ist noch original.

Sie sind ein Achtundsechziger, glauben Sie noch an die utopische Kraft der Dichtung und der Kunst?
Ja, und vor allem an die utopische, verändernde Kraft der Poesie, nach wie vor. Es ist wichtig, dass wir der äußeren Wirklichkeit, der gelenkten und geläufigen Sprache eine andere Sprache entgegensetzen. Auch Theater, auch Musik können uns verändern. Als ich 2001 anfing, hatte ich keinen Zehnjahresplan, aber wir haben doch viele Ziele erreicht, eine hohe Auslastung, kein Defizit, und immer wieder Aufführungen, die unseren Kopf, unsere Sinne in Aufruhr versetzten.

Sie werden jetzt wieder mehr schreiben?
Nachdem ich 40 Jahre dienend tätig war und die Projekte der Künstler realisiert habe, möchte ich mich wieder in meinen eigenen Kopf begeben. Schreiben ging nur spät nachts, ich freue mich darauf, es mal tagsüber versuchen zu können.

Im „Sonntags“-Fragebogen des Tagesspiegels zitierten Sie einmal einen melancholischen Beckett-Satz: „Man ahnt, was man hätte sein können, wenn man nicht hätte sein müssen, was man ist.“ Sie sind nicht gerade der Typ Zampano, geht das als Direktor dieses Universalzirkus?
Ach, der Schein ist nicht wichtig. Ich bin kein Showman. Ich bin nicht Jauch, nicht Peymann. Ich habe es auf die leisere, die beharrliche Tour versucht. Vielleicht bin ich ein zuversichtlicher Melancholiker. Im Rückblick: Es war eine große Befriedigung, den Künstlern zu dienen. Chef der Festspiele, das ist ein fantastischer Job. Man ist am Puls der Künste und kann in vielen Sparten tätig sein.

Was werden Sie am meisten vermissen?
Die Stunden, bevor eine Aufführung beginnt. Dann ist das Haus voller Leben, die Sängerinnen aus Samoa laufen durch die Flure, oder Richard Galliano hat noch einen besonderen Wunsch, diese elektrifizierende Stimmung ist wunderbar.

Eines Ihrer Nacht-Bücher war der schöne, kleine Band über die türkischen Prinzeninseln. Wohin gehen Ihre nächsten Reisen?
Mein Standort bleibt Berlin. Aber ich kann endlich Einladungen zu Literaturfestivals annehmen, die ich wegen unserer eigenen Festivals oft abschlagen musste. Meine emotionale Heimat ist Istanbul und das östliche Mittelmeer geworden. Im Frühjahr werde ich mit dem Schiff von Zypern nach Beirut fahren und ein Buch über den arabischen Sommer beginnen. Ich bin gespannt, wie mir dieser Transfer von Neugierde – von den Künstlern der Metropolen zu den Menschen im Mittelmeerraum – gelingt.

Das Gespräch führten Frederik Hanssen und Christiane Peitz.

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