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William Forysthe und seine Company zeigen ihr Stück "Sider" am 9. und 10. Juli

© Dominik Mentzos

Interview mit Matthias von Hartz: "Foreign Affairs": Der neue Festivalleiter im Gespräch

Seit diesem Jahr leitet Matthias von Hartz das Festival „Foreign Affairs“ der Berliner Festspiele. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über das Theater von morgen, die Konkurrenz in Berlin und sein Bekenntnis zur Masse.

Herr von Hartz, was bietet Berlin, was Hamburg nicht hat?
Berlin hat eine Internationalität, die in Europa ihresgleichen sucht. Ich habe fast 20 Jahre in Hamburg gelebt und dort fünf Jahre das Internationale Sommerfestival geleitet. Hier in Berlin gibt es ein anderes Bewusstsein dafür, welche gesellschaftliche Funktion Kultur hat. Und ein Publikum für viele tolle Sachen, mit denen man sich in anderen Städten schwertut.

Inwieweit hat denn die Kuratorin Frie Leysen mit ihrer „Foreign Affairs“-Ausgabe 2012 den Boden bereitet für das, was Sie vorhaben?
Festspiele-Leiter Thomas Oberender, Frie Leysen und ich haben bestimmte Veränderungen für das Festival ja gemeinsam beschlossen. Frie Leysen und ich haben auch eine große ästhetische Nähe. Die Frage „Was ist denn Theater heute?“ interessiert uns beide. Wobei ich einige Schwerpunkte anders setze.

Wie erklären Sie den Namen des Festivals?
Mir geht es mehr um die Affäre als um das Fremde. Wie fremd ist ein großer Choreograf wie William Forsythe, der seit Jahren in Deutschland arbeitet? Auf bestimmte Weise ist er es immer noch. Paradigmatisch ist sicher die Affäre von Boris Charmatz und Anne Teresa De Keersmaeker in der Eröffnungsproduktion „Partita 2“, die sich mit der Violinistin Amandine Beyer fragen: Wie kriegen wir dieses Bach-Stück auf die Bühne?

Im Programm kündigen Sie an: „Wir bekennen uns zum Haufen“. Die Masse macht’s?
Ich habe mich schon beim Schreiben gefragt, wann mir diese Formulierung um die Ohren fliegt! Ich wollte keine geschraubte Erläuterung möglicher Schwerpunkte. Dahinter steckt die Entscheidung, auch in den nächsten Jahren kleine Werkschauen zu zeigen. In denen man, wie im Falle von Forsythe, einen Überblick bekommt: Woran arbeitet der, auf welche Sparten greift das aus?

Spötter nennen Ihr Festival schon „Tanz im Juli“.
Drei von 20 Stücken sind Tanzstücke. Wenn man die Projekte unseres Performance-Wochenendes dazu nimmt, sind es vier von fast 40. Wie man da auf „Tanz im Juli“ kommt, ist mir völlig schleierhaft. Wenn man ein Festival für performative Künste macht, sind auch Arbeiten von Choreografen wichtig bei der Frage nach dem Theater von heute. Oder morgen.

Trotzdem, ist der Termin für die „Foreign Affairs“ glücklich gewählt? Nach Theatertreffen und Autorentheatertagen, kurz vor „Tanz im August“? In der Sommerpause?
Ich glaube, der Sommer setzt andere Energien frei. Es gib ein kulturelles Loch in Berlin, im Vergleich zum sonstigen Angebot. Vielleicht ist es historisch gewachsen, dass niemand im Juli hier Theater sehen will. Bei über drei Millionen Einwohnern halte ich es aber für recht unwahrscheinlich, dass die alle wissen, wann genau im deutschen Theater Sommerpause ist.

Ein weiterer Schwerpunkt ist dem amerikanischen Natur Theatre of Oklahoma gewidmet. Die Gruppe war mit dem ersten Teil ihrer Saga „Life and Times“ auch zum Theatertreffen eingeladen. Nach 20 Minuten hatten sie den Saal halbleer gespielt.
Ich war in einer anderen Vorstellung, da hat es 40 Minuten gedauert (lacht). Vom Leiter des Wiener Festivals „Impuls Tanz“ wird die Geschichte erzählt, wie er das erste Mal Anne Teresa De Keersmaeker Ensemble Rosas präsentierte. Das Publikum liefen in Scharen raus, anschließend ging er zur Compagnie und bat sie: Kommt bitte nächstes Jahr mit dem gleichen Stück wieder! Ich glaube an das Nature Theatre so sehr, dass ich es immer verteidigen würde. In Wahrheit ist das längst nicht mehr nötig, sie sind Topstars und wir werden international um dieses Projekt beneidet. Wichtig ist mir auch, dass wir es als Kooperation mit dem HAU realisieren.

Aber das war doch keine Liebesallianz, sondern eher eine Zweckehe. Sowohl das HAU als auch die Foreign Affairs haben um das Nature Theatre gebuhlt.
Auch, ja. Aber was könnte denn Besseres passieren, als sich in einer Konkurrenzsituation so zu verständigen, dass für alle ein Gewinn entsteht? Für die Künstler, für die Stadt und für die Institutionen.

William Forsythe hätte gar nicht ins HAU gepasst

William Forysthe und seine Company zeigen ihr Stück "Sider" am 9. und 10. Juli
William Forysthe und seine Company zeigen ihr Stück "Sider" am 9. und 10. Juli

© Dominik Mentzos

Aber es gibt in der Performance-Szene nicht genug spannende Namen, um unentwegt große Festivals zu bestücken.
Ist das nicht überall so? Wie viele interessante Stadttheater-Regisseure haben wir denn? Komischerweise stört es da keinen. Dabei schafft dort die häufige Wiederholung von Namen ganz andere Probleme. Wenn alle in Hamburg, Berlin und München arbeiten, können sich in den Städten kaum noch Identitäten um Regisseure herum bilden.

Die „Foreign Affairs“ wildern in den gleichen Gefilden wie das HAU.
Unsere drei Schwerpunkte sind so nur bei uns möglich. Forsythe passt gar nicht ins HAU. Einen Kraftakt wie mit Nature Theatre kann man nur gemeinsam stemmen. Und die Koproduktion mit den Berliner Kunstwerken ist ebenfalls so komplex, dass niemand sie im laufenden Betrieb bewältigen könnte. Natürlich gibt es die eine oder andere Arbeit, die auch bei Annemie Vanackere im HAU laufen könnte. In Brüssel gibt es fünf Theater, die internationale Produktionen zeigen. Denken hier in Berlin alle: Ein Ort dafür muss reichen?

Der Festival-Vorläufer „Spielzeit Europa“ setzte auf große Namen. Sie sagten im Vorfeld, Sie könnten sich auch eine Produktion mit Isabelle Huppert vorstellen, wenn dadurch Freiräume für anderes entstünden.
Ich habe Huppert genannt – oder Gerard Depardieu, wenn Sie sich erinnern! Daran haben wir lange gearbeitet, aber dann kam diese Russland-Geschichte dazwischen! (lacht) Im Ernst: Bei uns zeigen große Namen große Stücke. Forsythe ist nicht Depardieu, aber auch keine radikale Neuentdeckung aus Kasachstan. Ich habe mir ein paar Sachen mit den Isabelle Hupperts dieser Welt angeschaut. Da war nichts dabei, was ich zwingend fand. Aber wir beobachten weiter.

Man könnte auch andere Namen anführen, von Lepage bis Wilson.

Leider sind die großen Zeiten einer Ariane Mnouchkine, eines Robert Lepage, Robert Wilson oder Peter Brook vorbei. Und es ist schwer abzusehen, wer deren Stelle einnehmen soll. Beim französischen Regisseur Philippe Quesne, dem wir zusammen mit Avignon und Wien jetzt die große Bühne bieten, besteht diese Hoffnung, auch bei ein paar anderen. Es gibt aber kaum noch große Compagnien, und nicht zuletzt spielt Geld eine Rolle. Es hat seinen Grund, dass Wilsons „Life and Death of Marina Abramovic“ nicht mal bei den Wiener Festwochen zu sehen ist, obwohl die 13 Millionen Euro haben. Solche Abende können gut mal 300 000 Euro kosten. Da wünscht man sich in Berlin Dinge, für die schlicht das Geld nicht vorhanden ist.

In Hamburg hatten Sie den Ruf, mehr Agitator als Kurator zu sein. Wo kommt bei den „Foreign Affairs“ die Politik ins Spiel?
Interessant, was man in Hamburg so für Agitation hält. Ich bin tatsächlich der Ansicht, dass man eine gesellschaftspolitische Verantwortung trägt, wenn man eine Kulturinstitution leitet. Das spiegelt sich mehr oder weniger offensichtlich in der Auswahl der Künstler. Und in einem Projekt wie dem PerformanceWochenende zum Thema Wette. Der Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass im politischen Kalkül Wetten eine viel größere Rolle spielen. Heute verlängern wir die Kreditlinie von Griechenland, morgen steht in der Zeitung: Die Finanzmärkte wetten dagegen. Damit beschäftigen sich die Künstler, ökonomisch wie ideengeschichtlich.

Würden Sie darauf wetten, dass Ihre erste Festival-Ausgabe ein Erfolg wird?
Das funktioniert ja anders. Während man irgendwo sitzt und mit einem Künstler über eine Idee redet, schließt man bereits die Wette ab. Erstens, dass eine spannende Arbeit daraus wird. Und zweitens, dass die Zuschauer sich dafür interessieren. Bei unseren Koproduktionen ist die Wette aufgegangen. Das ist nicht immer der Fall, die Quote liegt in der Kunst unter 20 Prozent. Wir hatten großes Glück. – Das Gespräch führte Patrick Wildermann.

Matthias von Hartz, 43, übernimmt das 2012 im Oktober ins Leben gerufene „Foreign Affairs“- Festival von Frie Leyssen, es findet erstmals im Sommer statt. Von Hartz studierte Ökonomie in London und Regie in Hamburg, er leitete von 2006 bis 2011 mit Tom Stromberg das Theaterfestival Impulse in NRW und ab 2008 das Hamburger Kampnagel-Festival. Zur Eröffnung von „Foreign Affairs“ am Donnerstag, den 27. Juni, wird Anne Teresa De Keersmaekers „Partita 2“ gezeigt. Das Festival dauert bis 14. Juli. Schwerpunkte sind eine Werkschau zu William Forsythe und Auftritte des Nature Theater of Oklahoma. Programm und Tickets unter www.berlinerfestspiele.de

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