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Mit „Toni Erdmann“-Gebiss. Peter Simonischek in Carlo Goldonis „Der Diener zweier Herren“ an der Wiener Burg.

© picture alliance / HANS KLAUS TECHT

Interview mit Peter Simonischek: „Parteikünstler? Nein, danke!“

Der Burgtheaterschauspieler Peter Simonischek über Österreich, das Fernsehen, die Bühnen – und das Agieren mit Biss.

Herr Simonischek, Schauplatz des ARD-Films „Bergfried“ am kommenden Mittwoch ist ein Dorf in der Steiermark. Sie selbst sind in der Landeshauptstadt Graz geboren. Sie müssen es wissen: Gibt es so einen wie den Stockinger häufiger in dieser Ecke Österreichs?

Nein, undenkbar!

Das sagen Sie jetzt aus Patriotismus, um die Steiermärker von dem Verdacht zu schützen, unter ihnen lebten unverbesserliche Altnazis?

Die Wahrheit ist doch leider die: Der Stockinger ist ein Stereotyp. Wo ich herkomme, gibt es Geschichten, die kennen alle und die sind nie vorm Richter gelandet. Es gab stramme Nazis, die sind nach Kriegsende abgetaucht und waren nach zwei, drei Jahren wieder Bürgermeister. Es gab aber auch welche, die haben sich ihre Buße selber verordnet. Zum Beispiel einen Schuldirektor, der über andere Menschen Leid gebracht hat. Der wurde nicht wieder als Lehrer angestellt, der hat in einem Steinbruch gearbeitet und sein Leben als Steinbrucharbeiter beendet. Als tätige Reue. Das war sicher nicht die Regel.

Stockinger, so um die 70, lebt ein Leben ohne Vergangenheit. Sie selbst sind gerade 70 geworden. Geht das, ein Leben, das scheinbar keine Spuren der Vergangenheit aufweist?

Die Methoden, die Vergangenheit zum Schweigen zu bringen, sind in der menschlichen Natur sehr raffiniert. Es gelingt nicht wenigen, Schuld von sich abzuspalten. Die Mechanismen der Verdrängung, der Verweigerung sind vielfältig.

„Bergfried“ ist eine Parabel über das Leben mit der Schuld?

Diese Leute haben es wahrscheinlich bis heute nicht verwunden, dass sie den Krieg verloren haben. Damals wurden sie vom Regime gedeckt und fühlten sich im Recht. Stockinger sagt einmal: „Wir haben es ja nicht gerne gemacht, was hätten wir denn tun sollen?“ Und zu seinem Ankläger sagt er: „Ihr habt ja keine Ahnung vom Krieg.“ Wir, die Nachgeborenen, haben ja wirklich keine Ahnung. In so einem Krieg kulminiert alles: Grausamkeiten, aufopferungsvolle Hilfe – heute arbeiten in Aleppo sogenannte „Weißhelme“, die Verschüttete ausgraben. Goethe hat gesagt: „Ich kann mir kein Verbrechen vorstellen, das nicht auch ich hätte begehen können.“

Kann Rache eine Erlösung sein?

Schauen Sie, ich spiele gerade in Salzburg im „Prospero“. Das ist ein Verzeihungsdrama. Prospero dreht sich vom Rächenden zum Verzeihenden. Am Schluss lässt er seine Gefangenen frei, „kostbar ist Vergebung“. Sie ist wertvoller als Rache, das wird ihm in diesem Moment klar.

Sie sind ein Altachtundsechziger. Werden Sie sich im neuerlichen Bundespräsidentenwahlkampf in Österreich für den Grünen Van der Bellen engagieren?

Ich werde mich hinschleppen zur Wahl wie beim ersten Mal …

Hinschleppen?

Ja, es ist meine Pflicht, meine Stimme abzugeben. Man kann die Koalitionsparteien, die ÖVP und die SPÖ, ja nicht nur deswegen unterstützen, weil sonst die Rechten drankommen. ÖVP und SPÖ müssen selbst einmal etwas Anständiges zustande bekommen. Mein Herz ist nicht mehr dabei, auch wenn ich nicht zu den Rechten gehen werde.

Glauben Sie daran, dass Künstler in Wahlkämpfen etwas bewirken können?

Das habe ich nie gemacht, alle diese Ansinnen habe ich immer abgelehnt. Ich bin kein Parteikünstler.

Jetzt sind Sie mit „Toni Erdmann“ in aller Munde. Was heißt das: Weniger Fernsehen, weniger Theater – mehr Kino?

Wissen Sie, was die Erfahrung ist aus „Toni Erdmann“? Wenn man mit richtig guten Leuten zusammenarbeitet, dann macht man einen richtig guten Film. Sodass man sich fragt: Warum nicht jedes Mal so? Kunst ist etwas nicht dann, wenn man nichts mehr dazutun kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann. Die Regisseurin Maren Ade ist so was von normal und anständig, sie kann schreiben, inszenieren, sie hat diese ganz glückliche Mischung. Jetzt warte ich auf ein gutes Buch, auf gute Arbeitszusammenhänge. Werner Krauß hat gesagt: „Wir Schauspieler sind reproduzierende Künstler – und das sind keine Künstler.“

Da ist aber viel Eitelkeit dabei.

Wahrscheinlich schon. Aber wir brauchen ein Stück, ein Bühnenbild, eine Regie, wir machen etwas Vorgefertigtes.

Theater, Film, Fernsehen: drei Künste mit demselben Ziel, der Wahrhaftigkeit des Augenblicks?

Die ist nirgendwo wichtiger als im Kino. Wo Sie so eine Leinwand haben. Deswegen sind die Schauspieler auf der Jagd nach Bedingungen, unter denen Regisseure darauf aus sind, die nichtgespielten Momente einzufangen. Wo die Absicht verschwindet.

Was muss zusammenkommen, damit Sie ein Engagement annehmen?

Ich schaue auf die Uhr – wie lange brauche ich, um das Drehbuch zu lesen? Und: Ist das eine Rolle, die meine Fantasie entzündet? Einmal habe ich einen Priester gespielt, am Ostbahnhof in Budapest in der Verfilmung des Werfel-Romans „Der veruntreute Himmel“: Da hat sich eine alte Frau vor mich hingekniet. Ich soll sie segnen, hat sie gesagt. Habe ich gesagt, ach, ich bin doch nur vom Film. Da hat sie ausgespuckt vor meinen Füßen, verflucht hat sie mich, dass man eine Soutane trägt, wenn man gar kein Priester ist. Anschließend habe ich den ganzen Tag alle gesegnet.

Haben Sie eine höhere Achtung vor Theater- als vor Filmschauspielern?

Wenn sie gut sind, ist mir das wurscht. Ein Theaterschauspieler ist mir irgendwie näher. Weil er jeden Abend über einen Berg marschiert, über eine Angst. Sie stehen um halb acht vor einem riesigen Berg – und Sie müssen nicht außenherum, sondern drüber.

Sie sind ein weltberühmter Österreicher wie Christoph Waltz. Irgendwelche Ähnlichkeiten außer bei Ruhm und Ehre?

Der Christoph hat in dem Film mitgespielt, in dem meine Frau und ich uns kennengelernt haben: „Lenz oder die Freiheit“. Das ist das Einzige, was von dem Film noch übrig ist.

Müsste das Fernsehen nicht allmählich den Bühnen Geld dafür zahlen, dass die Theater jene hervorragenden Schauspieler ausbilden, von denen das Fernsehen über die Maßen profitiert?

Das frage ich mich schon lange: Das Fernsehen nassauert seit Jahrzehnten bei den Schauspielschulen und Theatern.

Peter Simonischek, 20 Jahre an der Schaubühne Berlin, bald 20 Jahre am Burgtheater. Aber weder Berliner noch Wiener ...

... sondern ein Heimatloser. Wenn ich gefragt werde, wo ich begraben werden will, habe ich keine Antwort.

Letzte und dumme Frage: Tragen Sie eigentlich ein Toni-Erdmann-Gebiss als Talisman in der Tasche?

Ich habe manchmal eins dabei. Es ist eine ambivalente Sache: Man soll nicht zu sehr damit hausieren gehen, man kann ja andere Sachen spielen: Vielleicht kommt ja noch ein Angebot ohne Gebiss.

Das Gespräch führte Joachim Huber.

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