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Klaus Staeck

© Thilo Rückeis

Interview: "Nicht rauchen! Und keinen Sport!"

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, spricht über sein Eigenbild, über Fortschritt, über Meinungsfreiheit und überhaupt über alles. Ein Gespräch zu seinem 70. Geburtstag.

Herr Staeck. Sie sehen mindestens zehn Jahre jünger aus, als Sie sind.

Glück gehabt, aber das liegt sicher auch an den Genen. Vor allem: Nicht rauchen! Und kein Sport! Ich empfehle: Lieber aktive Bewegung in der Arena statt passives Verweilen auf den Zuschauerrängen. Außerdem hält es frisch, sich in die gesellschaftlichen Konflikte einzumischen.

Sehen Sie sich eher als politischen Künstler oder als Kunst produzierenden Politiker?

Ich bewege mich gern im Niemandsland zwischen Kunst und Politik, und es freut mich übrigens immer, wenn meine Arbeiten auch im Politikteil der Zeitungen auftauchen. Ich suche mit meinen Mitteln immer die unmittelbare politische Auseinandersetzung. Insofern mache ich, an Intention und Inhalt gemessen, Kunst, die sich politisch einmischt. Ich visualisiere gesellschaftliche Probleme, von denen ich glaube, dass sie nicht nur meine eigenen sind. Da gibt es viele Vorbilder, von Daumier über Zille bis Heartfield und Grosz.

Sie glauben als Optimist an den Fortschritt?

Ein Optimist bin ich nicht. Mein Verstand sagt mir: Es geht schief. Unser Lebensstil in den Industriegesellschaften ist ein zerstörerischer. Wenn die ganze Welt so leben will wie wir, kann es nicht gut gehen. Deshalb ist mir auch nicht begreiflich, wie man sich zum Beispiel darüber freuen kann, in Grönland Erdbeeren ernten zu können, wenn die klimatischen Verhältnisse auf dem Kopf stehen. Aber ich bin ein altes Kind der Aufklärung und hege deshalb den verwegenen Glauben an die Vernunft.

Die setzt sich aber, in Ihren Augen, nicht durch?

Selten. Nehmen Sie nur das Privatfernsehen. Was haben all die Kritiker davor gewarnt. Jetzt ist es da und verklebt mit dem vielen versendeten Blödsinn die Hirne von Millionen von Menschen. Ähnlich verhält sich es sich mit der „Bild“-Zeitung. Ich erinnere mich gut an die Kampagne „Wir schreiben nicht für SpringerZeitungen“, die damals breiten Konsens fand. Inzwischen ist das Blatt, das sich ja im Grunde nicht geändert hat, längst salonfähig. Wer vor zwanzig Jahren „Bild“ zitierte, machte sich lächerlich. Heute wird sie als Gleiche unter Gleichen zitiert und hofiert. Oder denken Sie an die jüngste Bambi-Preisverleihung in der ARD. Da waren sie alle versammelt, vom „FAZ“-Herausgeber bis zur „Bunte“-Chefin, um dem Schauspieler Tom Cruise von der obskuren Scientology-Sekte zu applaudieren. Oder Jane Fonda lässt sich einspannen in die „Bild“-Aktion „Ein Herz für Kinder“. Da sind Maßstäbe verloren gegangen.

Und das gibt Anlass zu Kulturpessimismus?

Es geht um Haltung. Haltung auch in der Kunst, auch bei den Intellektuellen. Ich habe Jura studiert, auch weil ich unter Ungerechtigkeit leide. Weil ich Solidarität für einen zentralen Wert halte, verteidige ich weiter die unverschuldet Schwachen gegen den Übermut der Starken. Aber als Realist, als Pragmatiker, nicht als Utopist. Von Slogans wie „Kinder an die Macht“ oder „Künstler an die Macht“ halte ich nichts. Demokratie erfordert Sachverstand. Sie ist in der Praxis oft mühsam, sogar langweilig, aber trotzdem der Mühe wert. Keiner kommt als Demokrat auf die Welt, Demokratie muss man erlernen, das ist eine der Aufgaben des Bildungssystems.

Das ist auch eine Aufgabe der Kunst?

Ja, Künstler sollten dabei eine Rolle spielen. Als wir uns zum Beispiel in der Akademie der Künste 1999 mit den jungen Rechtsradikalen in Brandenburg auseinandersetzen wollten, haben wir uns gesagt: Anstatt am Hanseatenweg auf einem Podium zu debattieren, kann man mit einer S-Bahn-Karte direkt an einen Ort fahren, in dem das Phänomen virulent ist. So entstand unser Projekt „Kunstwelten“. Damit waren wir 2007 in der Region Bitterfeld-Wolfen. Von August bis Oktober gab es Lesungen und Debatten für Schüler mit Peter Härtling oder Ulrich Matthes, wir haben Filme gezeigt, Foto- und Theater-Workshops organisiert, Ausstellungen mit Plakaten und Postkarten. Für dieses Projekt zeigten die überregionalen Medien allerdings keinerlei Interesse. Für das Konstruktive, für Gewaltprävention etwa, gibt es bei uns keinen Markt. Wo Blut fließt, sind die Medien jedoch sofort zur Stelle.

Solche Wahrnehmungsmuster wollen Sie mit Ihrer Kunst erschüttern, aufbrechen.

Ja, mit Kunst, wie ich sie für mich definiere. So habe ich 1971 während der Dürer-Ausstellung in Nürnberg an die Litfaßsäulen das Plakat mit der Zeichnung seiner alten Mutter kleben lassen …

… die aussieht wie eine verhärmte Rentnerin mit Sozialhilfe.

In das Bild hinein druckte ich die Frage: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“ Es war der Versuch, die Bildungsbürger zu irritieren, die im DürerJahr zur Ausstellung pilgerten, um Kultur zu konsumieren. Meine Hoffnung war, dass sie Dürer anders wahrnehmen und erkennen, dass Kunst etwas mit dem Leben zu tun hat.

Provoziert hat auch Ihr berühmtes Plakat „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“, da ergriffen Sie direkt Partei für eine Partei.

Nicht erst da. In die SPD bin ich schon 1960 eingetreten, acht Jahre vor dem jetzt erinnerten 1968. Ich bin zwar kein Achtundsechziger. Dennoch verteidige ich alles, was damals an gesellschaftlichen Bewegungen seinen Anfang nahm und wovon wir noch heute profitieren. Ich wusste, dass die Genossen, mit denen ich im Düsseldorfer Ortsverein Bilk, einem Arbeiterbezirk, zusammensaß, mit den Ideen von Mao oder Pol Pot aus gutem Grund absolut nichts zu tun haben wollten. Außerdem hatte ich in meiner Zeit als Schüler in der DDR ein realsozialistisches System bereits kennengelernt. Seitdem weiß ich, dass die Meinungsfreiheit zum Besten in der Demokratie gehört.

Ist Meinungsfreiheit schrankenlos?

Von Tucholsky stammt der Satz: „Satire darf alles.“ Eine Grenze sehe ich allerdings dort, wo sich Verunglimpfung als Satire tarnt. Denkt man etwa an die diskriminierenden Darstellungen von Juden in der NS-Zeitung „Der Stürmer“.

Gilt das für Sie auch bei den MohammedKarikaturen aus Dänemark?

Nach unseren Maßstäben gilt die Meinungsfreiheit auch hier uneingeschränkt. Dennoch muss sie von Mal zu Mal neu ausgehandelt werden. Da gibt es keine ganz klare Linie. Grundsätzlich muss jede gesellschaftliche Gruppe Satire aushalten. Ein Sonderfall ist wohl das weite Feld religiöser Überzeugungen. Auch gegen meine Plakate wurden im Lauf der Jahre schon vierzig Prozesse angestrengt. Glücklicherweise habe ich sie alle gewonnen.

Auf einer Londoner Demonstration von Muslimen gegen die Karikaturen gab es Protestschilder wie „Freedom go to hell!“

Hier ist Schluss. Es kann keine Toleranz für Intoleranz geben. Wir können uns in Europa, in allen Demokratien, unsere hart erkämpften Rechte und Freiheiten nicht von ein paar Extremisten streitig machen lassen. Deshalb muss schon aus unserem eigenen Interesse alles getan werden, damit auch junge Migranten in die Demokratie hineinwachsen und Verantwortung übernehmen. Denn in manchen städtischen Ballungsgebieten haben sie bald die Mehrheit. Der Staat muss also in Bildung und noch mal Bildung investieren.

Wie erklärt man jemandem Verantwortung?

Ein Beispiel habe ich kürzlich gehört. Da stürzte ein Jugendlicher in der Nähe einer Telefonzelle und lag verletzt am Boden. Ein Passant wollte den Notarzt rufen, aber in der Telefonzelle fehlte der Hörer. Als der Gestürzte sich aufrichtete, fiel ihm der Hörer aus der Tasche – er hatte ihn zuvor abgerissen. Er hatte sich selbst durch Vandalismus die Hilfe verbaut. Dazu muss man nichts weiter erklären.

Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

Klaus Staeck, geboren am 28. Februar 1938 in Pulsnitz bei Dresden. Aufgewachsen in Bitterfeld, siedelte er 1956 nach dem Abitur mit 18 Jahren nach Heidelberg um und studierte dort Jura. Seit 1960 ist Staeck Mitglied der SPD. 2006 wurde er als Nachfolger von Adolf Muschg Präsident der Berliner Akademie der Künste.

Zur Kunst kam Klaus Staeck als Autodidakt. Heute umfasst sein Werk ca. 300 Plakate und zahlreiche Fotos, die in über 3000 Ausstellungen präsentiert wurden. Er nahm mehrmals an der Documenta teil und hat seit 1986 eine Gastprofessur an der Düsseldorfer Kunstakademie. Bekannt wurde Staeck Anfang der 70er Jahre durch seine satirische Auseinandersetzung mit der Politik. Zuletzt sorgte er durch seine Kritik an der Breker-Ausstellung in Schwerin für Aufsehen.

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