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Interview: Selbstzweifel und Schlagertherapie

Ab sofort rede ich von mir: Der Berliner Entertainer Mark Scheibe über sein Programm „21 neue Lieder“

Mark Scheibe ist 43 und wurde mit seinem Montagsclub in der Hotelbar in Prenzlauer Berg ab 2005 Kult. Danach folgten die Berlin Revue im Admiralspalast und Mark Scheibes Wilde Bühne im Wintergarten Varieté. Jetzt stellt er 21 neue Lieder vor.

Die meisten neuen Songs handeln von der Liebe. Sonst haben Sie gern auch Berlin als „das nimmersatte Tier“, Webdesigner-Klischees und brennende Autos in Friedrichshain besungen. Warum sind Sie jetzt so eindimensional?

Ich empfinde mich nicht als eindimensional – im Gegenteil. Die Liebe ist das größte Universum, das wir vorfinden. Die Liebe zum Leben, zum Menschen. Dadurch, dass ich im Juli einen Monat auf Mauritius verbringen durfte und alle Last von mir abfiel, sind plötzlich diese Lieder auf mich herabgestürzt.

Täusche ich mich oder arbeiten Sie massiv daran, vom jazzigen Sarkasten am Flügel zum Udo Jürgens zu mutieren?

Nein, den gibt’s ja schon, und ich verehre ihn sehr. Sarkastisch war ich nie, ich verstehe aber, warum man das denken konnte, und möchte zukünftig präziser in den Botschaften sein und solche Missverständnisse ausschließen. Mit dem Finger auf andere Leute zeigen und sagen: „Guck mal, wie doof der ist“ – das empfinde ich nicht mehr als altersangemessen.

Ihr Song „Du bist so schön, wenn ich besoffen bin“ von der CD „Haus aus Liebe“ steht auch unter Zynismus-Verdacht.

Das ist ein wunderschönes Liebeslied! Leider sehr missverständlich formuliert. Die Geschichte geht zurück auf ein Liebesverhältnis mit einer Dame, die ich eigentlich nur nachts sah. Wir haben uns in einer Bar getroffen und sind dann sehr hungrig übereinander hergefallen. Das hielt aber immer nur bis zum Morgengrauen. Diese Schattenbeziehung hat mich inspiriert. Das Lied ist gar nicht zynisch oder gar frauenverachtend, wie einige Leute sagen. Weil sich das aber offenbar nicht vermittelt, singe ich es nicht mehr gern.

Sie wirken nach Ihrem Mauritiusaufenthalt so sonnendurchwirkt und geläutert. Dabei sind Sie als Entertainer, der sein Publikum anpfeift, weil es zu laut ist, manchmal ziemlich auf Krawall gebürstet.

Ich erwarte von meinem Konzertpublikum, dass es zuhört. Ich bin schließlich kein Indierocker, der mit seiner Krachgitarre Lärm macht. Und wenn jemand meint, Bierflaschen umwerfen zu müssen, bitte ich ihn halt, sein Benehmen zu überdenken. Im Konzert soll alles schön und fein sein.

Stilistisch sind Sie unverändert zwischen Soul, Jazz, Chanson unterwegs – woher kommt der Scheibe’sche Musikmix?

Der speist sich aus dem Lebensgefühl, das ich zu Hause erlebt habe. Meine Mutter hat viel Udo Jürgens gehört, mein Vater Ray Charles – Männer, die am Klavier sitzen, ein Orchester haben und singen. Das hat mich geprägt.

Sie nennen das neuerdings „triviale Musik für ernsthafte Menschen“.

Das habe ich von Oscar Wilde geklaut. Der nannte sein Stück „Bunbury“ so: „triviale Unterhaltung für ernsthafte Menschen“. Das passt auch zu mir, weil ich kein Trallala mache für 14-Jährige, sondern die Sachen aufgeladen sind mit einem gewissen Ernst.

Also Trallala für 40-Jährige! „Das Lied vom Lustprinzip“ ist allerdings eine bissige, zeitkritische Nummer. Gehen Zeilen wie „Ich bin nicht gut genug/Ich muss noch mehr/Ich kann zu wenig/Ich reich’ nicht aus“ auch Sie selber an?

Natürlich kenne ich das selbst. Außerdem habe ich Angst, wie die triviale Melodie, die ich vorher schon zehn Jahre im Kopf hatte, bevor ich diesen Text drauf geklebt habe, bei den Leuten ankommt. Sie hat hat eine ziemlich klischeehafte Akkordfolge: b-Moll, es-Moll, As-Dur, Des-Dur, Ges-Dur, es-Moll und F7 sus 4.

Wieso ist das klischeehaft?

Na, weil’s im Pop dauernd genommen wird. „I will survive“ hat die genau dieselben Akkorde oder „Was ist das Ziel?“, ein Schlager aus den Sechzigern von Alexandra. Das ist aber nicht schlimm, es gibt Tausende von Liedern, die aus klischeehaften Akkordfolgen gebaut sind. Und wie man im Lied lernt: Gegen Selbstzweifel hilft die Schlagertherapie.

Sie lieben es, sich als Dandy zu inszenieren. Sind Sie etwa wirklich einer?

Schon, ich bin ein versnobter Typ. Ich achte auf Formen, höflicher Umgang ist wichtig, besonders wenn man sich gut kennt oder gar liebt. Und das Wichtigste: Ich bin verschwenderisch.

Ihre großen Projekte – die Berlin Revue und die Wintergarten-Show – sind ausgelaufen, ohne dass Nachfolgeshows in Sicht sind. Was jetzt?

Jetzt fängt ein neues Kapitel an. Ich habe wirklich zu viel gemacht. Die Shows, die Wunderhorn-Abende an der Staatsoper, das Schulprojekt „Melodie des Lebens“. Das mache ich auch weiter, aber sonst will ich mich auf meine Lieder konzentrieren.

Die „Melodie des Lebens“ ist ein Bildungsprojekt der Deutschen Kammerphilharmonie in Bremen, wo Sie herkommen.

Ich leite das seit 2007 und liebe die Arbeit mit den Kindern. Wir schreiben zusammen Songs, ich helfe ihnen dabei. Und zwar unter der Maxime, dass sie was von sich und von zu Hause erzählen. Die kommen zum Teil aus wirklich miesen Verhältnissen. Zweimal im Jahr geben wir große Konzerte. Das ist sehr berührend, wenn die Kinder durch die Musik und den Applaus merken, dass sie was wert sind. Auch eine Art Schlagertherapie – aber alles andere als Trallala.

Was ist nun eigentlich der Unterschied zwischen den alten Songs und den neuen?

Sie sind persönlich. Ich habe mir lange nicht zugestanden, das zu tun, was ich von den Kindern in Bremen erwarte, dass sie was von sich preisgeben. Das habe ich bisher auf der Bühne zwar beim Musizieren getan, aber nicht in meinen Texten.

Dann waren Sie bisher ein Poser?

Ganz und gar nicht! Ich weiß, dass man mir das unterstellt, weil ich hier und da übertrieben und ironisch wirke. Aber meine Musik ist keine Pose, da würde ich mich schämen. Jetzt erzähle ich zum ersten Mal von mir.

Konzert: Mo 12.9., 20 Uhr, Maschinenhaus der Kulturbrauerei. Das Gespräch führte Gunda Bartels.

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