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Peter Handke, 77

© AFP

Interview von 2011 aufgetaucht: Peter Handke und die „Ketzerbriefe“ - Alles nicht so gemeint?

Handke und der Genozid: 2011 sagt der umstrittene Literaturnobelpreisträger in einem Interview, das Schlimmste in Srebrenica sei „konstruiert“.

Peter Handke, der Literaturnobelpreis und zu Recht kein Ende: Nun ist ein Interview aufgetaucht, das Handke 2011 in Paris einer Zeitschrift gegeben hat, die „Ketzerbriefe“ heißt und in ihrem Untertitel „Flaschenpost für unangepasste Gedanken“ verspricht.

Darin sagt Handke über das Massaker im Juli 1995 in Srebrenica: „Mir kommt es so vor, als sei es ein Racheakt von serbischer Seite gewesen. Nicht, dass ich es verurteilen würde, aber ich kann es auch nicht uneingeschränkt gutheißen. Jetzt kommt man ständig mit den 8000 Opfern und dem angeblich schlimmsten Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg; unversehens kommt hier mit Auschwitz der deutsche Faschismus rein.

Das Gerede mit den 8000 Toten wurde immer intensiver. Vielleicht war es ein Rachemassaker oder was auch immer; ich weiß es nicht, ich bin kein Experte. Ich war sechsmal in Srebrenica, habe aber die Leute nie richtig gefragt.“

"Den ,Müttern von Srebrenica' glaube ich kein Wort"

Bei dem Zitat stellt sich die Frage, ob hier die Worte „verurteilen“ und „uneingeschränkt gutheißen“ nicht vertauscht worden sind; doch Handke fragt nicht viel später, ob da – „eigentlich will ich Zahlen vermeiden“ – , tatsächlich „2000– 4000 Menschen“ (!) umgebracht wurden, spricht davon, dass er das Schlimmste in Srebrenica „für konstruiert“ halte und „überhaupt, diese sogenannten Mütter von Srebrenica: Denen glaube ich kein Wort, denen nehme ich die Trauer nicht ab. Wäre ich Mutter, ich trauerte alleine“.

Das Interview liest sich schon sehr anders als das, was Handke 2006, also fünf Jahre zuvor, nach seinen diversen „Gerechtigkeit für Serbien“-Texten einmal doch geschrieben, eingestanden hatte: „Es handelt sich bei Srebrenica um das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde.“

Über seinen Verlag, den Suhrkamp Verlag, verwies Handke nun auch auf seine Worte von 2006 und sagte, das Gespräch mit den „Ketzerbriefen“ „nicht gegengelesen und auch nicht autorisiert“ zu haben.

Und: „Es entspricht nicht dem von mir Gemeinten. Für mich gilt das, was ich schriftlich festhalte. Dem habe ich nichts und dem wollte ich nichts hinzufügen.“ Das 2011er-Interview steht im Netz, Handke bestreitet nicht, es geführt zu haben, ob er es nun autorisiert hat oder nicht.

Die Schwedische Akademie will das Interview jetzt "prüfen"

Doch reicht allein der „Sommerliche Nachtrag“ aus dem Sommer 1996 zu seiner „Winterlichen Reise“, die er ein paar Monate zuvor gemacht und niedergeschrieben hatte, um Handke beim Wort zu nehmen.

Da schreibt er über einen von seinen angeblich sechs Srebrenica-Besuchen und weist mehrmals auf die „Vorgeschichte“ des als Genozid klassifizierten Massakers der Serben an 8000 Bosniaken hin (für Handke immer das „mutmaßliche Rachemassaker“), auf die Vorgeschichte, „welche zählt, und zu zählen hat“, die Vorgeschichte bosnisch-muslimischer Taten, deren laut Handke „Brandschatzungen und Tötungen, in den serbischen Dörfern um S.“.

Bei seinem Besuch in Srebrenica sind ihm die Bilder verlustig gegangen, die Bilder von den „mutmaßlichen Massakerstätten“ (im Gegensatz zu den, wie er suggeriert, gestellten Bildern der internationalen Fotografen). Und da versteigt er sich zu der Annahme, es mit den Serben als Freiheitskämpfern zu tun zu haben, so wie einst die Indianer, die in US-Western immer von den Bergen herunterkamen:„Und kämpfen die Indianer nicht doch um ihre Freiheit? Und ,allerletzte Frage‘: Wird man einmal, bald, wer?, die Serben von Bosnien auch als solche Indianer entdecken?“

Die Jugoslawien-Schriften von Handke stehen allesamt für sich. Sie sind manipulativ und demagogisch, da folgt noch auf jede Behauptung, nichts relativieren oder abschwächen zu wollen, ein „aber“ oder ein „trotzdem“. Und so passt auch der 2011er-Nachtrag ins Handke-Jugoslawien-Bild. Wie es jetzt weitergeht? Die Schwedische Akademie habe von dem Interview in den „Ketzerbriefen“ nichts gewusst, heißt es jetzt aus Stockholm, sie werde es „prüfen“.

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