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David Lee Miller

© Promo

Interview: "Was im Internet passiert, ist eine schöne Sache"

In der Komödie "My Suicide" kündigt der 17-jährige Archie an, seinen Selbstmord auf Video aufzunehmen. Auf der Berlinale 2009 lief der Film im Jugendprogramm. Ein Gespräch mit Regisseur David Lee Miller

Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film über Selbstmord zu drehen?

Mein Sohn Jordan ist ein junger Filmemacher, und er hat seine Werke auf verschiedenen Festivals gezeigt. Auf dem Sundance Festival wurde er als "X-Dance Kid" bekannt - damals war er zwölf oder 13. Aus einem Stipendium, dass er bekam, gründeten wir ein Jugendprojekt, um wichtige Themen aufzugreifen. Die drei Haupt-Todesursachen bei Jugendlichen sind Autounfälle, Selbstmord und Gewalt - diese drei Dinge hängen zusammen. Wir setzten uns hin und überlegten, wie wir gleichzeitig coole Filme machen und unsere Ziele erreichen konnten. So kamen wir auf die Idee, Leben, Liebe und Tod aus der heutigen Jugenderfahrung anzugehen: übervernetzt und gleichzeitig abgekoppelt zu sein. So drehten wir "My Suicide".

Archie, die Hauptfigur in "My Suicide", setzt sich kreativ und witzig mit den eigenen Problemen auseinander. Ist er dennoch ein Selbstmord-Charakter?

Selbstmord ist ambivalent. Archie ist sich nicht sicher, ob er Selbstmord begehen will oder nicht. Ich glaube, er zieht es ernsthaft in Betracht. Eines der frühen Warnzeichen ist normalerweise, ob jemand einen Plan hat, wie er sich umbringen will. Zu Beginn des Films gibt es eine Szene mit einer Schülerberaterin. Archie erzählt ihr von seinem Plan - "Wollen Sie das Drehbuch sehen?" - und deshalb bringen sie Archie dann weg. Das ist natürlich etwas, was suizidgefährdete Jugendliche zusätzlich belastet: Sie bekommen Handschellen angelegt und werden für drei Tage zur Beobachtung in eine psychiatrische Klinik gebracht - das wahrscheinlich Schlimmste, was man einem Jugendlichen mit Selbstmordgedanken antun kann.

Zusammengefasst: Ja, Archie ist sehr kreativ, er hat viel, wofür es sich zu leben lohnt - andererseits bringen sich auch solche Jugendliche um. Besonders die sehr intelligenten Kids können in einen schwer depressiven Zustand verfallen, weil sie nicht unbedingt in die Gesellschaft hineinpassen. Archie beschäftigt sich sehr damit, was in unserer heutigen Gesellschaft mit Kids passiert. Machen Sie sich klar, dass wir in einem sehr ungewöhnlichen Zeitalter leben. Als ich selbst ein Kind war, konnte ich nur eines besser als meine Eltern: spielen. Für mich war es das Größte, wenn ich bis nach Einbruch der Dunkelheit wachbleiben durfte. Die heutigen Kids können Filme auf ihrem PC erschaffen, sie sind mit der Welt vernetzt, ja übervernetzt, aber auch von ihr abgekoppelt. Sie kennen sich einfach viel besser mit Computern und Informationstechnologie aus als ihre Eltern. Das ist das erste Mal, dass wir so etwas in unserer Gesellschaft haben. Aber ihnen wird dafür kein Respekt entgegengebracht. Wenn überhaupt, dann bekommen sie das Gegenteil. Die Eltern sagen dann: "Oh, du hast doch alles! Ich hatte in meiner Jugend keine Video-Spiele und Computer und das ganze Zeug."

Was raten Sie den Eltern?

Was die Kinder heute wirklich brauchen, sind Eltern, die ihnen zeigen, wie sie mit der Menge an Informationen klarkommen. Das Durchschnittsalter, in dem ein Kind heute Hardcore-Pornos im Internet anschaut, liegt bei acht oder neun Jahren. Was bekommen sie da für ein Bild von Sexualität, von Liebe vermittelt? Wie passen sie da rein? Stattdessen sagen die Eltern: "Geh' vom Computer weg!" Das funktioniert natürlich nicht. Was im Internet passiert, dieses Verbundensein, ist eine schöne Sache. Aber wir brauchen eine ältere Generation, die bereit ist, das zu akzeptieren und ihren Kids zu helfen, damit umzugehen.

Die erste Hälfte des Films war so schnell geschnitten, dass die zweite Hälfte fast schon langsam und konventionell wirkte ...

Das spiegelt Archies Entwicklung wider. Am Anfang ist er narzisstisch; er will sich beweisen und zeigen, wie cool er ist. Dann lässt er sich mit dem Mädchen Sierra ein und damit auch mit der Welt. Er beginnt zu fühlen und die eigenen Gefühle zu verstehen.

Ist der Film ein Kommentar auf die Ichbezogenheit, die sich auf Facebook, Youtube etc. beobachten lässt? Oder akzeptiert der Film diese Entwicklung?

Beides. Der Film akzeptiert diese Entwicklung, weil sie heute Realität ist. Aber er ist auch ein Kommentar. Meiner Meinung nach ist der Schlüssel zum Glück letztlich die Fähigkeit, Kontakt aufzunehmen, Teil von etwas Größerem zu sein.

Wie groß war der Einfluss von Hauptdarsteller Gabriel Sunday auf den Film?

Riesig. Auf kreativer Ebene war Gabe ein vollwertiger Partner. Gabe ist als Filmemacher genau so stark wie als Schauspieler. Wer macht schon etwas Ähnliches heutzutage? Mel Gibson vielleicht. Gabe wird ein Schauspiel-Star werden und ein phänomenaler Regisseur. Mein Sohn Jordan und ich habe viele Monate lang gesucht, weil wir wussten, dass wir einen kreativen Partne brauchen, mehr als einen reinen Schauspieler. Wir brauchten jemand, der selbst mit einer Kamera umgehen kann. "My Suicide" ist genauso Gabes Film wie meiner. Er hat den Film zusammen mit Jordan geschnitten. Das hat die Stimme von Archie erst richtig authentisch gemacht.

Wir haben bei den Dreharbeiten auch Schauspielern Kameras gegeben, die vorher noch nie welche in der Hand hatten. Eine meiner Lieblingsaufnahmen im Film stammt von Brooke (die Darstellerin der Sierra, Anm. d. Red.). Es ist die Szene auf dem Dach, als Sierra Archie fragt, ob er noch Jungfrau ist. Die Kamera kommt immer näher und näher, entfernt sich dann wieder, ist wieder nah dran ... Brooke hat das Filmen sehr ernst genommen, und es war ein großer Spaß. Den Schauspielern Kameras zu geben, war irgendwie verrückt, aber es hat funktioniert.

"My Suicide"
Regie: David Lee Miller
Mit: Gabriel Sunday (Archie), Brooke Nevin (Sierra Silver), David Carradine (Vargas), Joe Mantegna (Dr. Gafur Chandrasaker)
Laufzeit: 105 Minuten
Kinostart: steht noch nicht fest
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