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© Doris Spiekermann-Klaas

Intim-Flohmarkt: Ware gegen Wahrheit

Beim "Intim-Flohmarkt" der Künstlerin Alexandra Müller zahlen Besucher mit privaten Enthüllungen. Ein Mantel etwa kostet „zehn Minuten über dein erstes Mal“, ein rosa Top „fünf Minuten über den Morgenstuhl“ und ein Pullover ist „drei Minuten über ein kleines Geheimnis deiner Eltern, das zufällig entdeckt wurde“ wert.

Ein Lampenschirm, ein Lebkuchenherz, unzählige T-Shirts – sechs Pappkartons voller Krimskrams hat Alexandra Müller zusammengesammelt. Die perfekte Flohmarktmischung, viel Ramsch dabei, viel Trash, auch mal ein glückliches Fundstück. Alles Spenden von Freunden, „Kunstmäzenchen“ sagt Müller zu ihnen. Denn die Neuköllner Performancekünstlerin wird ihre Kisten am kommenden Samstag nicht am Mauerpark oder am Arkonaplatz aufstellen, sondern in einer Galerie in Prenzlauer Berg.

Bei dem „Intim-Flohmarkt“, den sie dort veranstaltet, geht es der 26-Jährigen nur in zweiter Linie um Lampenschirme und Lebkuchenherzen. Was in Müllers No-Budget-Produktion zählt, ist das Verkaufsgespräch. Sie tauscht ihre Waren nicht gegen Geld, sondern gegen persönliche Geschichten.

Ein Mantel etwa kostet „zehn Minuten über dein erstes Mal“, ein rosa Top „fünf Minuten über den Morgenstuhl“ und ein Pullover ist „drei Minuten über ein kleines Geheimnis deiner Eltern, das zufällig entdeckt wurde“ wert. Thema und Dauer des Gesprächs sind verhandelbar. „Wenn jemand nicht über Sex reden will, reden wir eben über seine Finanzen“, sagt die Künstlerin. Oder der Kunde stellt ein paar allgemeine philosophische Betrachtungen an, „zehn Minuten über den Tod“ vielleicht. Zu leicht machen solle man es sich nicht. „Es muss schon ein bisschen weh tun.“

Erst im Januar ist Alexandra Müller nach Berlin gezogen, zuvor hat sie in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert. Mit ihrem feministischen Poptheaterstück „Kitty White kommt“ war sie 2007 bei einem Kölner Offtheaterwettbewerb ausgezeichnet worden. Im Moment konzentriert sie sich aber auf ihre Performances, der „Intim-Flohmarkt“ ist ihre dritte eigenständige Arbeit.

Bei der Performance „Müller.Wohlfahrt“ 2006 stellte sie sich nackt in einen leeren Laden und lebte eine Woche lang ausschließlich davon, was andere Leute ihr brachten. Ein Solidaritätstest. Im Rahmen ihrer 2007 in Graz vorgestellten Arbeit „Don’t cry. Work! FmbH“ begab sie sich in ein genau entgegengesetztes Abhängigkeitsverhältnis. Als „Frau mit beschränkter Haftung“ stellte sie sich jedem, der sie buchen wollte, als persönliche Sklavin zur Verfügung. Müller übernahm für ihre Auftraggeber alle gewünschten Aufgaben „mit Ausnahme sexueller Dienstleistungen“. Und während sie dabei war, Fußböden zu wischen oder Gärten umzugraben, fingen auch hier die Menschen regelmäßig an, der Performerin von sich zu erzählen. Einfach so.

Hier setzt der „Intim-Flohmarkt“ an. Das Publikum ist ausdrücklich eingeladen, mit der Künstlerin zu reden. Es bekommt sogar etwas dafür. „Ich glaube, die Leute sind an der Erfahrung interessiert, jemand Wildfremden etwas Persönliches zu erzählen,“ sagt Müller. Das sei in vielen Fällen sogar leichter, als mit Freunden zu sprechen. Die Gespräche werden in einem Nebenraum der Galerie stattfinden, in geschütztem Rahmen, anonym. Müller will aus den Erzählungen ihrer Kunden ein Hörspiel zusammenstellen, im Herbst soll es im SWR gesendet werden.

Alexandra Müller hat keine Probleme damit, sich selbst auszustellen. Ein YouTube-Video zeigt sie, wie sie in zunehmend exaltierter Weise das Kinderlied „Kleiner Hai“ in die Kamera singt. Nachdem der Clip im November 2006 eine Million Mal angeschaut wurde, trat die Plattenfirma EMI an sie heran. Müller deklarierte ihren Einstieg ins Musikgeschäft als performative Kunst und nahm unter dem Pseudonym Alemuel eine mit Dance-Sounds unterlegte Hitsingle auf. Das Video lief auf MTV, der Handyklingelton verkaufte sich spitze, Auftritte auf Mallorca und in Großraumdiskotheken folgten. Von den Tantiemen lebt Müller noch heute.

Eröffnung des „Intim-Flohmarkts“ am Samstag, 8. August, um 19 Uhr in der Galerie TÄT, Schönhauser Allee 161a. Geöffnet ist vom 9. bis 29. August, Mi bis So 15–22 Uhr. Wiederholt wird die Aktion bei gleichen Öffnungszeiten ab 4. September in der Alten Post, Karl-Marx-Straße 97-99, Neukölln. Weitere Informationen unter www.verschwendedeinedaten.org

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