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Kultur: "Intimacy": Ganz oder gar nicht?

Wer würde als erster das P-Wort verwenden? Es ist dann die "Frankfurter Allgemeine" gewesen, gestern, die den Film "Intimacy" in ihrer Kritik unter "Pornographie" einsortierte.

Wer würde als erster das P-Wort verwenden? Es ist dann die "Frankfurter Allgemeine" gewesen, gestern, die den Film "Intimacy" in ihrer Kritik unter "Pornographie" einsortierte. In dem britischen Berlinale-Beitrag, den der französische Theaterregisseur Patrice Chéreau inszeniert hat, bekommt das Publikum ein erigiertes Glied zu sehen, und zwar ausgiebig. Ein Schauspieler und eine Schauspielerin tun nicht nur so als ob, oh nein, die tun es tatsächlich. Solche Bilder galten bis vor kurzem tatsächlich als pornographisch. Natürlich spielte bei der Pornographiefrage stets die Art der Inszenierung eine Rolle - geht es der Kamera darum, Lust zu stiften, und um nichts anderes? Chéreaus Blick ist ein künstlerischer, das sollten auch diejenigen einräumen, die seinen Film nicht mögen. Nein, Pornographie ist es nicht.

"Im Reich der Sinne", vor 20 Jahren, war ein Skandal und ein Solitär. Die Grenzen dessen, was im alltäglichen Kino gezeigt wird, haben sich erst jetzt wirklich erweitert. Mit französischen Filmen wie "Romance" oder "Baise moi" fing es an, nun also England, bald auch Deutschland, da darf man sicher sein. Dieser - darf man "Trend" sagen? - passt zur neuen Liebe des Kinos und des Fernsehens zum Dokumentarischen, zum vermeintlich Authentischen und Ungeschminkten. Einerseits sind die Bilder grenzenlos manipulierbar geworden, dank des Computers. Andererseits sehen zur Zeit sogar Mainstream-Hollywoodfilme so aus wie ein wackeliges Privatvideo. Wahres Leben! Pornographie aber ist beinahe gesellschaftsfähig geworden, Persönlichkeiten wie Dolly Buster gehören zur Standardausstattung der Talkshows. Sollen die Künste den Sex wirklich den Spezialisten der Porno-Industrie überlassen?

Leuten wie Chéreau geht es nicht darum, wieder einmal eines der letzten Tabus zu brechen. Denn gebrochen ist es längst. In Wirklichkeit sind solche Filme anti-pornographisch. Ihr Blick auf Sexualität ist das genaue Gegenteil des pornographischen Blicks, in dem es nur um die Körper geht und sonst gar nichts. Denn bei Chéreau geht es, ähnlich wie im wahren Leben, um alles Mögliche gleichzeitig, um Sex, um Liebe, um Sehnsucht und Verzweiflung. In solchen Filmen findet eine Rückeroberung statt, die Rückeroberung der Sexualität durch die Kunst. Im Jahre 2001 geht das wahrscheinlich nur so und nicht anders. Wessen Schamgefühl so etwas verletzt, der soll eben wegschauen.

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