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Kultur: Invasion der Glasfresser

Uraufführung in Zürich: Zwei Kriegsstücke von Falk Richter und Roland Schimmelpfennig

Sieben Sekunden können ganz schön lang werden. In Falk Richters neuem Stück dauern sie eine gute halbe Stunde. Sieben Sekunden hat der Bomberpilot Zeit – vom Auftauchen eines Computerproblems bis zum Aufprall seines Kampfjets auf dem Boden. Sieben Sekunden, in denen ein vielstimmiger Bewusstseinsstrom zusammenfließt: aus dem Cockpit überm unbekannten Feindesland und von der fanatisierten Heimatfront im amerikanischen Mittelwesten. In „Sieben Sekunden/ In God We Trust“ presst Falk Richter, der bei der Uraufführung am Schauspielhaus Zürich auch Regie führt, mit einem Hochdruckkompressor alles rein, was er über die jüngsten Kriege weiß. Unheiliger Missionierungswahn und groteske Ahnungslosigkeit. Medialisierung, Virtualisierung, Sexualisierung.

Dirk Thiele hat einen Panzerspähwagen aufgeschlitzt und in den Bühnensand gesetzt. Der sieht jetzt mit Vorhang, TV, Dusche, Grill und reichlich Getränkevorrat so gemütlich aus wie ein Wohnmobil. Davor campieren die Akteure und schleudern frontal ihre Sprachfetzen ins Publikum. Scharfe Körper in chicen Klamotten (Kostüme: Janina Audick). Zum Kriegswerbespot steigt man aufs Panzerdach und zeigt im lasziven Tänzchen Schenkel und Muskeln. Krieg ist Lifestyle, Krieg ist sexy. Und wer diesen theatralischen Verdoppelungsaufguss ziemlich undramatisch findet, wird von der Bühne herab belehrt, dass er wohl zu denen gehört, die sich vom Schrecken des Krieges nur noch dann packen ließen, wenn man ein Kind ganz langsam hätte sterben sehen.

Auf den im rasenden Aktualitätsbedürfnis noch vibrierenden Richter-Prolog folgt nahtlos Roland Schimmelpfennigs überzeitliches Kriegs-Mysterienspiel „Für eine bessere Welt“, eine Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Zürich. Schimmelpfennig spannt einen weiten Zitatenbogen zwischen Science-Fiction und antikem Mythos, Werbewelt und Kriegsrhetorik, Psychose und Kult. Nicht nur „Apocalypse now“ – sondern immer und überall. Krieg als Lebensform hat die ganze Welt überzogen. Die Fronten sind so unklar wie die Ziele. Der militärische Komplex hat sich aufgesplittert in kleinste Einheiten, wer Freund, wer Feind ist, kann sich von Minute zu Minute ändern. „Delta Zero“, „Solomon Five“, „Goyo Three“ & Co. schlagen sich durch eine postfeministische Dschungelwelt, in der durchtrainierte Frauen den Ton angeben. Der Soldat, der mit seiner Vorgesetzten schläft, fällt unweigerlich im nächsten Gefecht. Und schon holt sich die smarte Offizierin wieder einen unter die Dusche.

Falk Richter überzieht auch Schimmelpfennigs Zweistundentext, der über weite Strecken nicht dialogisiert ist, mit dem gleichen Inszenierungsstil wie seine „Sieben Sekunden“: zappelig, splatterig wie ein Videogame. Das ebnet die mehrschichtigen Tonlagen des Textes ein. Keine Rettung auch aus dem antiken Mythenfundus, erst recht kein Heil von den Außerirdischen zu erwarten ist: Für die Aliens ist Glas das Hauptnahrungsmittel – und schwupps verschwinden die Gläser: von der Theke, vom Computerbildschirm, aus dem Brillengestell, von ganzen Häuserfassaden.

Das fördert nicht unbedingt den Durchblick. Wenn etwas den Abend zusammenhält, dann ist es die Angst und die verzweifelten Versuche, sie wegzuagieren. Am eindrücklichsten gelingt das im Schlussbild, einem archaischen Feuertanzritual von großer Kraft. Darin hätte man den ganzen virtuellen Klimbim schon etwas früher verbrennen können.

Alfred Schlienger

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