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Kultur: Iran: Land der Frauen

Anfang des Monats haben wir mit großen Staatsakten die Überwindung der europäischen Teilung Europas gefeiert. Die Feiern dürfen allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass eine noch größere Herausforderung auf uns wartet: die Überwindung der Kluft, die zwischen Orient und Okzident herrscht.

Anfang des Monats haben wir mit großen Staatsakten die Überwindung der europäischen Teilung Europas gefeiert. Die Feiern dürfen allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass eine noch größere Herausforderung auf uns wartet: die Überwindung der Kluft, die zwischen Orient und Okzident herrscht. Hier die europäisch-amerikanische, durch Aufklärung, Pluralismus und Säkularisation geprägte Kultur, dort die orientalisch-arabische, eine eher durch Religion und Tradition geprägte Kultur. Im nächsten Jahr begehen die Vereinten Nationen das "Jahr des Dialogs zwischen den Zivilisationen". Der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien hat dies zum Anlass genommen, mit einer Delegation mehrerer Länder den Nahen und Mittleren Osten zu bereisen.

Von besonderer Bedeutung auf dieser Reise war der Aufenthalt im Iran, handelte es sich doch um den ersten parlamentarischen Kontakt seit der Wahl des neuen Parlaments und dem Amtsantritt Chatamis. In Teheran werden wir von einem Teil des dortigen Kulturausschusses empfangen. Dessen 21 Mitglieder sind ausnahmslos namhafte Künstler oder Geisteswissenschaftler; Ausschussvorsitzender ist der Schriftsteller Pournejati; seine Stellvertreterin, die Filmemacherin Fatemeh Rakei ist gleichzeitig Vorsitzende des Unterausschusses für die Rechte der Frauen. Von 290 Mitgliedern des Parlaments sind nur neun weiblich. Aber diese wenigen Frauen sind höchst aktiv.

Beim Besuch des Zentrums "Dialog der Kulturen" erfahren wir, dass der Iran nach der Unterzeichnung der UN-Resolution für den Dialog der Kulturen damit begonnen hat, im ganzen Land Zentren aufzubauen. Augenscheinlich soll die Öffnung gegenüber dem Ausland beginnen. Die Errichtung dieser Zentren ist womöglich ein Schachzug von Chatami, die Isolation des Landes unterhalb der offiziellen politischen Ebene aufzubrechen und fortschrittlichen Intellektuellen ein Forum zu bieten.

1400 Studenten lernen Deutsch

Später treffen wir mit Filmemachern der Farabi Cinema Foundation zusammen. Auch hier wieder angeregte Diskussionen mit vielen Männern - und zwei Frauen. Eine ist Tashine Milani, Regisseurin des preisgekrönten Films "Zwei Frauen". Tashine Milani hatte bisher das Glück - weil sie nicht an der vor einigen Monaten skandalisierten Iran-Tagung der Böll-Stiftung in Berlin teilgenommen hatte -, von der den Mullahs unterstehenden Justiz nicht verfolgt zu werden. Kulturkritik ist im Iran noch immer ein Balanceakt zwischen Legalität und Illegalität. Im Iran werden gegenwärtig etwa 60 Kinofilme pro Jahr gedreht. Ziel der Stiftung ist es, diese Zahl in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln und für die materiellen und technischen Voraussetzungen zu sorgen, dass Filme gedreht und auch im Ausland präsentiert werden können. Alle Gespräche offenbaren das Interesse im Iran an Kultur- und Wissensaustausch. Das wird auch deutlich beim Besuch des Deutschen Sprachinstituts, das der Botschaft angegliedert ist. Dort lernen rund 1400 Studenten jährlich Deutsch - Frauen und Männer gemeinsam, eine Besonderheit im Iran. Die Motive reichen vom Wunsch, den "Faust" zu lesen bis zum Plan, in Deutschland zu studieren.

Weniger euphorisch verläuft ein Gespräch mit dem Vize-Außenminister Charazi, der zwar die Weiterführung der Verhandlungen über den Aufbau eines Goethe-Instituts im Iran anbietet, aber unmissverständlich klar macht, dass diese Verhandlungen unter den Bedingungen des Irans geführt werden müssten. Die Gespräche sind, besonders wenn Menschenrechtsfragen aufkommen, zuweilen entmutigend, auch wenn allen Diskutanten bewusst ist, dass der Wille zur Modernisierung durch konservative Kräfte höchstens verschleppt, nicht aber erstickt werden kann.

Die Dynamik dieses Öffnungsprozesses wird besonders deutlich, als wir die Teheran-Universität besuchen, die der Schmelztiegel der Aktiven im Iran zu sein scheint. Die Universitätsführung hatte ihre 32 000 Studenten, 1500 Doktoranden und 1500 Diplomanden bei den jüngsten Demonstrationen aktiv unterstützt. Vizekanzler Hussein Abbasi, erzählt von seinen Versuchen, die Studenten gegen die Willkür der Gerichte zu schützen. Seine Offenheit ist beeindruckend, zumal das Damoklesschwert der religiösen Justiz geradezu greifbar ist. Schon am nächsten Tag könnte er sich vor Gericht wiederfinden. Er spricht über seinen dringenden Wunsch, den Austausch zwischen der Teheran-Universität und westlichen Universitäten zu intensivieren. Zurzeit gibt es lediglich fünf DAAD-Stipendiaten im Iran.

Internet mit Zensur-Filter

Der anschließende Besuch der kleineren und konservativen Shahid Beheshi-Universität (14 000 Studierende) wird zum Kontrastprogramm. Schon die Sitzordnung ist grundverschieden. Während wir bei der Teheran-Universität an einem ovalen Tisch eng beieinander saßen, sitzen wir hier in einem riesigen Raum an einem achteckigen Tisch. Auf der einen Seite die Vertreter der Universität, auf der anderen Seite unsere Delegation. Interessanterweise scheinen Vereinbarungen mit dieser Universität zuverlässiger zu sein, gerade weil sie konservativ ist. So kooperiert die Shahid Beheshi-Universität etwa mit der TU Stuttgart und der TU Berlin.

Der Kulturausschuss ist auch für Frauen zuständig. Gerade hat dieser Ausschuss ein Gesetz eingebracht, das Frauen die Möglichkeit geben soll, allein im Ausland zu studieren. Viele Frauen im Iran (52 Prozent der Studierenden sind weiblich) scheinen das Universitätsstudium als Chance zu begreifen, vor ihrer Heirat mehr Eigenständigkeit zu erlangen. Der Kulturausschuss behandelt auch die Frage, ob Frauen nach einer Scheidung ihre Kinder behalten dürfen - bisher ein Privileg der Männer. Das Beharren der Männer auf den alten Strukturen wird gewiss bald zu Konflikten führen, denn die Frauen machen meistens die besseren Abschlüsse als die Männer, sind selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Da stört sie auch die Kleiderordnung kaum. Mir erscheint die Verschleierung als große Last. Die Frauen im Iran sehen sie auch als Schutz.

Ein weiterer Termin führt uns zur Computerfirma APADANA, deren Geschäftsführer erst 27 Jahre alt ist. APADANA ist ein Internetprovider und beschäftigt vierzig Mitarbeiter, davon sind 70 Prozent weiblich (was allerdings nur für etwa 20 Prozent der Internet-Nutzer gilt). Das Internet ist im Iran weder verboten, noch wird es besonders restriktiv behandelt, auch wenn die Provider, die bis zu 200 000 Nutzer versorgen, gewisse Regeln miteinander vereinbart haben. APADANA hat zum Beispiel Filter entwickelt, um besonders "unmoralische" Seiten aussortieren zu können und möglichen Verboten durch den Staat zuvor zu kommen.

In einem unserer Gespräche sagt Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer einen Satz, der unseren Begleitern aus dem Außenministerium die Sprache verschlägt: "Wenn wir uns auf unsere Gemeinsamkeiten konzentrieren, ohne unsere Unterschiede zu verwischen, steht unserer Freundschaft nichts im Wege." Ein Satz, der wie ein Leitmotiv unsere Reise begleitet. Eine Reise in ein fremdes Land, in dem das Interesse an Deutschlands Sprache und Kultur groß ist. Ein Land im Umbruch, aber auch ein Land auf dessen Traditionen und Denkweisen wir uns einlassen müssen, wenn wir den Dialog vertiefen wollen. Wir sollten diejenigen unterstützen, die ihn wollen. Denn der Dialog der Kulturen ist keine Einbahnstraße.

Monika Griefahn

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