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Kultur: Irgendwo dazwischen

„Balkan Black Box“ zeigt Film-Avantgarde aus Südosteuropa

Von Caroline Fetscher

Balkan ist türkisch und bedeutet Gebirge. Der Balkan, sagt das Lexikon, ist ein Gebirgszug in Südosteuropa, ein tertiäres Faltengebirge, das in parallelen Ketten in einem nach Norden offenen Bogen von der Donau bis zum Schwarzen Meer verläuft. Wenn die Festivalmacher von „Balkan Black Box“ in Berlin auf den Ursprung dieses Wortes hinweisen, versuchen sie, es von dem Ort wegzuschieben, wo sich „Balkan“ in unserer Assoziation befindet – sie wollen ein paar Berge versetzen. Der Balkan als das Dunkle, Unverständliche, Mafiöse, das „sind wir“, sagen die Black-Box-Leute in ihrem Wunsch wegzukommen vom Stereotypen, heraus aus der schwarzen Kiste und hin zu den Nachbarn und deren Avantgarde, deren Trash, Noise und Techno, Lyrik, Prosa und Kino.

Im vierten Jahr lässt Balkan Black Box, unterstützt vom Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Berliner Verein Mladi Most, experimentelle Kunst aus Südosteuropa sichtbar werden. In „Poetry and Revolution“ dokumentiert Regisseur Branko Ivanda einen Studentenstreik von 1971 und weist auf erste Zeichen der Risse und Brüche in der Föderation. Milco Mancevskis Meisterwerk „Vor dem Regen“ ist – wieder – im Programm, wie auch sein neuer Film „Dust“, eine Art balkanischer Western in Mazedonien. Reisen, Exil, Bewegung und Verstörung, Grenzen und Grenzüberschreitung gehören notwendig zu den Leitmotiven vieler Filme. Von Land zu Land bewegt sich das Musikmovie „Radost na Zivot“, Freude am Leben, das das multinationale Balkan Philharmonic Orchestra begleitet. Elegisch und ein wenig ziellos ist die Dokumentation „Irgendwo dazwischen“, Gespräche mit ex-jugoslawischen Schriftstellern wie Marusa Krese und Dragan Velikic, die im Exil leben.

Keinen Gefallen tut sich das Festival allerdings mit der zum Kernstück erklärten deutschen Erstaufführung der Dreistunden-Dokumentation „Yugoslavia – the Avoidable War“ von George Bogdanich und Martin Lettmayer. Sie hinterlässt den Eindruck, ein leicht paranoides Sektenvideo gesehen zu haben. In einem Cocktail aus Halbwahrheiten, Wahrheiten und Fehlinformation malt der Film ein Bild der Kriegsursachen, die allein außerhalb Jugoslawiens lagen. Dabei weist das Werk richtig auf bekannte diplomatische Fehler und Interessenpolitik hin, aber von ethnischem Hass in der Region, vom Rassismus der serbischen Akademie der Wissenschaften und der Gleichschaltung der Massenmedien fällt kein Wort. Schuld waren die Genschers, Clintons, Albrights, Werbefirmen, Waffenhandel und westliche Medien. Diese sollen alle an der Konspiration mitgewirkt haben, während ihre Reporter als Interviewpartner Belege für die Thesen des Filmes liefern sollen.

Wo linke und rechte Verschwörungstheorien in einer XY-Ungelöst-Atmosphäre verschmelzen, wirkt der Film wie die Übersetzung der Thesen des Angeklagten Milosevic in Bilder. So heißt es, Kroaten und Muslime haben die meisten Kriegsverbrechen begangen, jene der Serben seien fast alle „konstruiert“ worden. Etwa im Fall Srebrenica, wo es statt der vom Haager Tribunal bisher belegten 4450 von Serben ermordeten muslimische Jungen und Männer „nur 200“ Tote bei einem Gefecht gegeben haben soll. Von den über 40 Massengräbern in Ostbosnien ist keine Rede. Wie dieser Film ins Programm geraten konnte, bleibt rätselhaft. Hier müsste in der Tat mehr Licht in die Black Box. Gleichwohl, das Festival ist farbiger angelegt, als sein „Highlight“ vermuten lässt. Diskutiert und getanzt werden kann ja auch.

Ab heute bis 2. Oktober in den Berliner Kinos Nickelodeon, Acud und Lichtblick sowie mit besonderen Veranstaltungen an anderen Orten. Alle Termine unter: www.balkanblackbox.de

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