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„Horns of a Dilemma“, eine Keramikskulptur von Peter B. Jones aus dem Stamm der Onondaga (1992).

© Weltkulturen Museum, Frankfurt a. M./Gropius-Bau

Irokesen-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau: Weg mit den Indianerklischees

Eine opulente Ausstellung im Berliner Martin-Gropius- Bau erzählt die Geschichte der Irokesen, versammelt Schätze aus Kunst und Handwerk und räumt mit dem Klischee vom "edlen Wilden" auf.

Es gibt in dieser Ausstellung Hunderte von Objekten: Kugelkeulen, kunstvoll verzierte Speere, Ledermokassins mit raffinierten Glasperlenapplikationen, bunte Gewänder, Wandteppiche, geflochtene Körbe und Maisstrohpuppen, die von den Kriegen, dem Alltag und den Friedensritualen der Irokesen erzählen. Doch der Gegenstand, vor dem man am längsten verweilt, besteht aus fast nichts. Es ist eine Bluse aus dünnem Papier, von der Künstlerin Hannah Claus aus dem Clan der Mohawks.

Sie fertigte sie 2001 im Stil der Frauenkleidung des späten 19. Jahrhunderts zu Ehren ihrer Großmutter, dem letzten Familienmitglied rein irokesischer Herkunft. An den Ärmeln hat Claus kleine Löcher eingestanzt, Perforierungen, die Glasperlenmuster andeuten, aber vor allem deren Abwesenheit deutlich machen. Die Bluse ist aus Papier, weil Hannah Claus nur noch aus Büchern, nicht aber Erzählungen von ihrem kulturellen Erbe erfahren konnte: Die orale Tradition ist längst verschwunden. Eine Bluse aus Papier – zärtlicher, rührender und einfacher kann man die Erinnerung und Trauer über den Verlust einer Welt kaum darstellen.

Die Irokesen-Schau ist eine Ausstellung für die ganze Familie

Die Geschichte der Irokesen ist natürlich auch eine Geschichte über Landverlust, Entrechtung, Missionierung, Zerstörung. Und der einzige Vorwurf, den man der großen Schau „Auf den Spuren der Irokesen“ im Martin-Gropius-Bau machen könnte wäre der, dass sie die Verbrechen durch Kolonialmächte und Siedler zwar nicht unter den Teppich kehrt, aber auch nicht unterstreicht. Das Ganze ist eine Familienausstellung, eine kulturhistorische Schatzkiste, die zum ersten Mal die Geschichte des indigenen Volkes von den Anfängen bis in die Gegenwart nachzeichnet, dabei den Einfluss auf die westliche Friedens- und Frauenbewegung und die Popkultur nicht vergisst und auch mit Klischees aufräumt.

Den „edlen Wilden“, bekannt aus Coopers „Lederstrumpf“-Romanen oder Karl Mays deutschen Western, kann man vergessen. Die Irokesen, dieser Stammesbund aus erst fünf und später sechs sogenannten Nationen in New York und Ontario, wurden im Gegensatz zu hunderten anderer indigener Völker im Westen gerade wegen ihrer Rolle in den Kolonialkonflikten bekannt: als gefürchtete Krieger, aber auch als Diplomaten, die zwischen Franzosen und Engländern vermittelten.

Auch dass Indianer in Zelten leben ist, zumindest was die Irokesen betrifft, Humbug. Als die Niederländer und Franzosen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ins Innere Nordamerikas vorstießen, lebten die Bodenanbau treibenden Irokesen in Dörfern aus rindengedeckten Langhäusern. In Bonn, wo die Ausstellung im Frühjahr in der Bundeskunsthalle gezeigt wurde, hatte man eines dieser bis zu sechzig Meter langen spektakulären Häuser nachgebaut, das nun aus Kostengründen leider nicht auf dem Parkplatz vor dem Martin-Gropius-Bau steht (dafür berichtet ein Video von Bau und Funktion).

Die Irokesen-Frisur: Im Punk und in "Taxi Driver" ein Zeichen des Widerstands

Eine Ansichtskarte von der Weltreise der "einzigen echten Nord-Amerikanischen Indianer-Konzert-Kapelle in der Welt", 1910.
Eine Ansichtskarte von der Weltreise der "einzigen echten Nord-Amerikanischen Indianer-Konzert-Kapelle in der Welt", 1910.

© Priivatbesitz Karl Markus Kreis

Das Langhaus ist zentral für die Haudenosaunee, die „Leute des Langhauses“, wie sich die Irokesen selbst bezeichnen. Als Sinnbild der intertribalen Konföderation und der sozialen Ordnung. Im übertragenen Sinn nehmen die Mohawk und Seneca die Rolle der Hüter der östlichen und westlichen Tore ein, während die Onondage als Bewahrer der zentralen Feuerstelle fungieren, dazwischen, als jüngere Brüder, siedelten die Oneida und Cayuga.

Die Gesellschaft der Haudenosaunee gliederte sich wiederum in Verwandtschaftsgruppen, deren Mitgliedschaft in weiblicher Linie vererbt wurde. In den Häusern lebten die einer Linie zugehörenden Familien – unter der Leitung der rangältesten Frau. Die Frauen hatten ohnehin das Sagen, bauten Mais, Kürbis und Bohnen an (die „drei Schwestern“), während die Männer fürs Jagen und Sammeln zuständig waren. Starben weibliche Familienmitglieder, konnten „Trauerkriege“ angezettelt werden, um die Lücken in den Verwandtschaftslinien mit Kriegsgefangenen zu füllen.

Anfangs verlief der Austausch zwischen Ureinwohnern und Weißen noch einvernehmlich

Auch Wampumgürtel, Bänder aus Muschelschalperlen, hatten mit Trauer zu tun. Sie sollten an die Toten erinnern, wurden aber auch zur Bestätigung von Vereinbarungen zwischen Vertragspartnern ausgetauscht. Der „Two Row“-Wampumgürtel – ein ihm nachempfundenes Muster läuft die Wände entlang – erinnerte an eine Abmachung mit den Weißen:. So wie die Linien des Gürtels parallel laufen, so sollten Irokesen und Nichtirokesen wechselseitig respektierte Wege gehen. Es kam anders. Anfangs verlief der Austausch zwischen Indianern und Weißen noch einvernehmlich, die Irokesen gaben Pelze und bekamen Eisengeräte, Waffen, Textilien und Alkohol. Um die Irokesen gegen die Franzosen auf ihre Seite zu bringen, empfing Queen Ann 1710 sogar vier indianische Könige am englischen Hof.

60 Jahre später war es mit dem Frieden vorbei. Nachdem Frankreich seine nordamerikanischen Besitzungen verloren hatte, versprach der englische König aus Angst vor einem Sturm der Siedler den Irokesen das Land westlich der Appalachen. Doch dieses Versprechen erzürnte die Siedler umso mehr, was letztlich zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg führte. Am Ende hatten die Irokesen einen Großteil ihres Landes verloren, und eine neue Grenze verlief durch ihr Gebiet. An Joseph Brant oder Kriegshäuptling Cornplanter zeigt die Ausstellung exemplarisch die Schwierigkeit, ein positives Verhältnis zu den Amerikanern zu entwickeln und gleichzeitig die eigene Identität zu wahren. Als schwindelfreie Arbeiter waren vor allem Irokesen beim Bau der Wolkenkratzer in den Großstädten beteiligt. Zu sehen ist auch das berühmte Foto der indigenen Fallschirmspringer mit Kriegsbemalung und Irokesenschnitt aus dem Zweiten Weltkrieg. Signalisiert die Frisur hier noch Patriotismus, ist er später im Punk oder dem Film „Taxi Driver“ Robert De Niros Zeichen des Widerstands. Für die Verbreitung eines klischeehaften Indianerbildes sorgten viele Irokesen fatalerweise selbst. Um Geld zu verdienen, zogen sie seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Wildwestshows durchs Land, mit Federschmuck auf dem Kopf, der nichts mit ihrer Tradition zu tun hatte.

Und dann ist da noch die Geschichte von Mary Jemison (1743–1833), die ein Video nacherzählt. Sie wurde von Indianern verschleppt, „adoptiert“ und fühlte sich so wohl, dass sie nicht mehr in die weiße Welt zurückkehren wollte. In ihrem Lebensbericht erzählt sie vom friedlichen Leben der Seneca vor der Revolution und und dem danach: von der Vernichtung ihrer Dörfer, dem Verlust des Landes durch Betrug, dem Tod der Söhne durch Alkoholismus. „Auf den Reservationen in New York und Ontario“, heißt es lapidar, „bewahren ihre Nachkommen bis heute ein ehrenden Andenken an diese außergewöhnliche Seneca-Frau.“

Martin-Gropius-Bau, bis 6. Januar. Mi – Mo 10 – 19 Uhr. Katalog 32 €.

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