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Islam: Erhebe stolz dein Haupt zum Denken

Philosoph und Politaktivist: Wie Mohammed Al-Jabri den Islam zur Vernunft bringen will.

Von Gregor Dotzauer

Vielleicht hat er so viele Gesichter, weil die Sache, für die er kämpft, so viele Seiten hat. Mohammed Abed Al Jabri, sagen die einen, ist der führende arabische Intellektuelle, wenn es darum geht, die islamische Welt vom Unvermögen zu befreien, sich des eigenen Verstandes ohne blinden Gehorsam gegenüber religiösen Autoritäten zu bedienen. Ein Aufklärer reinsten Wassers, der aus dem Geist eines in der eigenen Tradition angelegten und nur verleugneten Rationalismus im Augiasstall des Islam ausmistet und den Unfug vor die Türe schippt, der sich gerade in den letzten Jahren angesammelt hat.

Einen Moment, sagen die anderen, ist Al Jabri nicht ein furchtbarer Chauvinist, der die gesamte islamische Welt am arabischen Wesen genesen lassen will? Da bemüht sich der Okzident, seinen alten Hochmut abzulegen, indem er die kulturelle Begrenztheit seines Denkens erkennt, und im Orient formiert sich ein Arabozentrismus, dem die Perser mindestens so fremd sind wie das Erbe der islamischen Mystik.

Die Lektüre von Al Jabris „Kritik der arabischen Vernunft“, zu der im Vorgriff auf die deutsche Übersetzung des vierbändigen Werks im Berliner Perlen-Verlag nun eine von ihm selbst aus zwei Essays zusammengestellte Einführung erschienen ist (231 Seiten, 19,80 Euro), gibt diese Zwiespältigkeit nicht sofort preis. Der Duktus ist ruhig und klar, ja akademisch ausgenüchtert: weniger genuine Philosophie als philosophische Ideengeschichte, die der 1936 in eine marokkanische Berberfamilie hineingeborene Al Jabri bis 2002 in Rabat auch lehrte. Der Horizont wölbt sich dabei bis nach Frankreich hinüber: Michel Foucault dient ihm als wichtiger Gewährsmann.

Wer sich darauf einlässt (und die Anmerkungen konsultiert, die jeden Namen und Begriff ausführlich erklären), begibt sich vor allem auf den Spuren von Ibn Rushd (1126-1198) ins andalusische Córdoba. Der Arzt, Jurist und Philosoph, in Europa besser bekannt unter seinem lateinischen Namen Averroes, mühte sich in der muslimisch-christlich-jüdischen Megalopolis, das analytische Denken von Aristoteles mit der islamischen Theologie zu versöhnen. Die Wahrheiten der Philosophie, lehrte er, können den Glaubenswahrheiten gar nicht widersprechen: Die Philosophie sei vielmehr „die Freundin der Religion und ihre Milchschwester“. Beide seien „von Natur aus miteinander befreundet und lieben sich gegenseitig durch ihr Wesen und ihre Anlage“. Ihm war mit dieser Doktrin kein Glück vergönnt: Er starb in der Verbannung in Marrakesch.

Wer sich nur im Berliner Haus der Kulturen der Welt ein Bild von Al Jabris Denken machen wollte, musste – in Absenz des Protagonisten – allerdings mit dem Gefühl davongehen, dass man es weniger mit einem ernsthaften Philosophen als mit einem Politaktivisten zu tun habe. Während Stefan Weidner Al Jabri als jemanden pries, der die geistige Modernisierung des Islam endlich vorangetrieben habe, warnte Gudrun Krämer, die Direktorin der letzte Woche eröffneten Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies, vor falscher Bewunderung: Die von Al Jabri genährte Vorstellung, es gebe so etwas wie ein eigenes arabisches Bewusstsein, sei doch sehr seltsam.

Im Nu zersplitterte die Runde, zu der auch Al Jabris deutscher Übersetzer Vincent von Wroblewsky und die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy gehörten, in die Fraktion der Universalisten und in diejenige, die Respekt vor der kulturellen Differenz forderte. Auch im Publikum ging es hoch her. Ich habe zwei Jahre lang in Rabat bei Al Jabri im Seminar gesessen und nie einen nationalistischen Zungenschlag gehört, sagte ein junger Marokkaner. Und ein Iraker stand auf und schimpfte: Al Jabri hat jahrelang Saddam Hussein unterstützt, von einer Arabisierung der Kurden gesprochen und im Gegenzug sein Forschungszentrum von Hussein finanzieren lassen.

Was immer davon stimmt: Der auch im Westen vielfach preisgekrönte Al Jabri, der zugleich Auszeichnungen wie den Gaddafi-Menschenrechtspreis abgelehnt haben soll, ist eine kontroverse Figur. Es versteht sich von selbst, dass man ihn politisch als Produkt seiner Zeit begreifen muss. Aufgewachsen mit der panarabischen Vision des ägyptischen Präsidenten Nasser, die 1967 im Sechstagekrieg gegen Israel unterzugehen schien, aber mit Parolen wie „Erhebe stolz dein Haupt, mein Bruder!“ bis in dieses Jahrtausend gerettet wurde, ist er nach wie vor ein Linker. Er zählt zu den Gründern der marokkanischen „Union Socialiste des Forces Populaires“ und hat sich trotz seines Rückzugs ins Philosophische immer wieder als öffentlicher Intellektueller geäußert. Seine Website www.aljabriabed.net legt auch mit englischen und französischen Texten davon Zeugnis ab.

Als Philosoph ist er aber so von einem didaktischen Programm beseelt, dass stets mehr als reine Rekonstruktion zur Debatte steht. Insbesondere sollte man nicht so tun, als wäre Al Jabri der Einzige, der die islamische Welt mit dem Licht der Vernunft erhellen wollte. Anke von Kügelgen diskutiert in ihrer Studie „Averroes und die arabische Moderne“ fünf weitere prominente Denker, die seit den sechziger Jahren mit unterschiedlichen Akzenten das rationalistische Erbe des Islam neu beleben wollen – und auch sie sind nur Beispiele für den Aufbruch in ein wissenschaftliches Zeitalter, dem die Politik immer wieder Einhalt gebietet.

Al Jabris „Kritik der arabischen Vernunft“ erreicht Deutschland mit einem Vierteljahrhundert Verspätung. Das liegt auch am Autor selbst, dem zunächst an einem innerarabischen Diskurs gelegen war, der sich dann bis nach Teheran und Istanbul ausdehnte. Das Buch kommt aber auch zur rechten Zeit: Wer hierzulande hätte sich vor zehn Jahren mit dem Islam auseinandergesetzt? Man muss den Alltag von Koranschulen vor Augen haben, wo Kindern, die womöglich kein Wort Arabisch sprechen und in keiner anderen Disziplin unterrichtet werden, der Wortlaut des Koran eingetrichtert wird – und sie von den Inhalten nichts begreifen.

Sie befinden sich sogar noch unterhalb der drei Erkenntnisordnungen, die Al Jabri als Muster der arabischen Vernunft ausmacht: bayan, die Befragung eines feststehenden Textkorpus, der aus juristischen, grammatischen, rhetorischen und theologischen Schriften besteht – und immer wieder die Richtschnur des göttlichen Wortes sucht. Irfan, der gnostische Zugang, wie er sich im Sufismus offenbart, den Al Jabri ablehnt. Und burhan, jene von den beiden anderen Ordnungen frühzeitig aufgezehrte Kunst der logischen Beweisführung, die so etwas wie Wissenschaft erst möglich macht.

Die Stärkung dieser dritten Ordnung liegt für ihn in der Fähigkeit, als Leser zu Texten in kritische Distanz zu treten, statt sich von ihrer Autorität verschlucken zu lassen. Dafür argumentiert er mit einer scholastischen Finesse, die auf verblüffende Weise am anderen Ende von Jürgen Habermas’ Versuch steht, in einer restlos säkularisierten Welt auf ein dogmatisch- rituell entkerntes Christentum zurückzugreifen. Al Jabri zu lesen heißt aber auch, einem intellektuellen Wurzelwerk zu begegnen, das Europa gerne vergisst. Vor drei Jahren hat Kurt Flasch in seinem Buch über Meister Eckhart „die Geburt der ,Deutschen Mystik’ aus dem Geist der arabischen Philosophie“ geschildert. In Al Jabris Texten wird dieser Geist lebendig – erstmals auch für deutsche Leser.

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