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Kultur: Islam: Und ist es doch Wahnsinn

Am Anfang stand hinter dem Titel noch ein Fragezeichen. Doch "The Clash of Civilizations", den der Harvard-Politologe Samuel P.

Von Gregor Dotzauer

Am Anfang stand hinter dem Titel noch ein Fragezeichen. Doch "The Clash of Civilizations", den der Harvard-Politologe Samuel P. Huntington 1993 in der von ihm mitbegründeten Zeitschrift "Foreign Affairs" befürchtete, nahm schnell die Züge einer festen Prognose an. Wenig später, in der "New York Times", waren alle Zweifel verflogen, und die Zeile "The West against the Rest" war in die Überschrift gerutscht - wobei mit dem Westen in erster Linie die USA gemeint waren. Das Buch schließlich, das 1996 aus dem "Foreign Affairs"-Aufsatz hervorging, hatte trotz seiner überwiegend analytischen Passagen schon fast Predigtcharakter.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotostrecke I: Der Anschlag auf das WTC und das Pentagon Fotostrecke II: Reaktionen auf die Attentate Fotostrecke III: Rettungsarbeiten in New York Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Die deutsche Übersetzung dramatisierte weiter. Aus "The Clash of Civilizations" wurde "Der Kampf der Kulturen" (Europaverlag, Taschenbuch bei btb/Goldmann). Untertitel: "Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert". Und auf einmal war Huntington in aller Munde. Was er zu sagen hatte, schien weit mehr zu den vielen Konflikten in der Welt zu passen als das, was einen Wimpernschlag zuvor noch Konjunktur hatte: Francis Fukuyamas populär gehaltene Rede vom "Ende der Geschichte" nach dem Untergang des Kommunismus, das Aufgehen der bipolaren Machtkonstellation in einem universal-westlichen Modell. Der Weltstaat schien da nur ein paar Verhandlungsjahre entfernt.

Huntington wagte den Paukenschlag im friedlichen Singsang der Multikulturalisten, der den Ton angab, wenn es darum ging, noch vitale Unterschiede zwischen kulturellen Gemeinschaften auszumachen - nachdem er die identitätsstiftende Kraft von Nationalstaaten nur noch für gering hielt. Die Konflikte des 21. Jahrhunderts, erklärte er pauschal, sind nicht länger ideologisch oder ökonomisch motiviert, sie entstehen durch unaufhebbare kulturelle Differenz. Zwar werde es auch innerhalb von Kulturkreisen zu Spannungen kommen, das größte Gewaltpotenzial stecke aber in interkulturellen Beziehungen. Der Blick nach vorn war dabei zugleich ein Blick zurück. Denn der von Huntington gewünschte Paradigmenwechsel war im Grunde die Rückkehr zu einer vormodernen Betrachtungsweise, die schon in seinem Begriff von gegeneinander völlig abgeschotteten, wesentlich durch Religion definierten Kulturen steckte.

Huntington unterschied einen westlichen Kulturkreis, einen chinesisch-konfuzianischen, einen japanischen, einen hinduistischen, einen lateinamerikanischen, einen slawisch-orthodoxen, einen afrikanischen - und einen islamischen. Man musste nur das Kapitel "Die Resurgenz des Islam" lesen, um zu erkennen, dass er darin die größte Gefahr sah. Es ist nicht überraschend, dass seine reich mit empirischem Material instrumentierte These nun eine nie dagewesene Aktualität gewinnt - zumal das Wort vom Krieg gefallen ist, das die Dimension des Terrors in Amerika aufzufangen versucht. (Vorausgesetzt, der Verdacht gegenüber muslimischen Tätern erhärtet sich.)

Die Ereignisse scheinen alle Kritiker in die Schranken zu weisen, die damals, mit hohem Respekt für Huntingtons provozierendes Buch, sowohl auf einer philosophischen Ebene wie auf einer politischen, abwiegelten. Huntington, hieß es, glaube doch wohl nicht im Ernst, dass eine Gemeinschaft von Werten allein lebe und dafür massenhaft zu sterben bereit sei: Das habe auch der Marxismus als ideologische Triebkraft nicht geschafft. Immer seien existenzielle Interessen entscheidend. Ganz allgemein überschätze er den kulturellen Anteil an politischem Handeln. Kulturwerte würden hochgehalten, um Verteilungskämpfe besser zu motivieren - als Auslöser taugten sie nur bedingt. Und dominierten im Kalten Krieg nicht die handfesten Interessen zweier Hegemonialmächte? Auch Huntingtons unterschwelliger, von einer Art Angstlust befeuerter Kulturpessimismus irritierte.

Damit nicht genug: "Die blutigen Grenzen des Islam", die Huntington sah, waren nie blutiger als in den achtziger Jahren zwischen dem Iran und dem Irak - vom Krieg gegen die Kurden und den Metzeleien der algerischen FIS nicht zu reden. Mit anderen Worten: Huntingtons Perspektivwechsel ist mit Vorsicht zu genießen, abgesehen davon, dass er die amerikafreundlich gesinnten Staaten der islamischen Welt nicht hinreichend einbezieht, selbst wenn das Band nur aus Wirtschaftsinteressen besteht.

Huntingtons Buch ist dennoch mit Gewinn zu lesen. Man muss nur vermeiden, gerade jetzt in ihm die vernünftigen Erklärungen zu suchen, die der Wahnsinn dieser Tage einem verweigert.

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