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Stereotypes Feindbild der Islamkritik-Kritiker: Thilo Sarrazin, hier als Pappkamerad im Karneval.

© dpa

Islamdebatte: Die Panik vor der Panik

Schon mit dem Buchtitel "Die Panikmacher" diskreditiert Patrick Bahners die Kritik am politischen Islam und stürzt sich fortan auf die Lieblingsfeinde der Islamkritik-Kritiker, Necla Kelek und Thilo Sarrazin. Eine ernsthafte Debatte über die Islamkritik kann so nicht entstehen.

Panik ist laut Brockhaus „eine angstvolle, kopflose Erregung, die bei plötzlich und unerwartet hereinbrechender Gefahr (sei sie nun tatsächlich oder nur vermeintlich vorhanden) bei Einzelnen oder einer Gruppe auftritt“. Wo, um Himmels willen, hatten die von Patrick Bahners jetzt heftig beschuldigten Islamkritiker denn jemals auch nur Ansätze einer Panik „gemacht“? Sind sie nicht im Gegenteil beunruhigt, dass wir zu still und vertrauensselig einem militanten politischen Islam freie Bahn lassen? Und ist es nicht bemerkenswert, dass auch in dem sozialpolitisch schwierigen Berliner Bezirk Neukölln von „kopfloser Erregung“ über muslimische Mitbürger keine Rede sein kann? Der 1. Mai in Kreuzberg oder Straßenschlachten um die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel sind immer noch „rein deutsche“ Kampfstätten.

Und so war es leider konsequent, dass sich die gescholtenen „Panikmacher“ schon kurz nach Erscheinen des Buches blutig bestätigt sehen mussten. In Frankfurt erschoss ein islamistisch indoktrinierter Fanatiker zwei US-Soldaten in einem Bus; in Pakistan wurden mit religiöser Motivation christliche und versöhnungsbereite Politiker unter zustimmendem Gejohle ermordet; im Irak ist die Vertreibung der Christen inzwischen offenbar System. Und so geht es doch seit Jahren.

In seinem eigenen Blatt, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, konnte Patrick Bahners zum Mord im Bus lesen: „Inzwischen weiß man, dass (der Täter) Kontakt hatte zu mehreren islamischen Predigern aus dem Raum Frankfurt. Angeblich auch zu Sheik Abdellatif … Der Sheik gilt als gefährlich.“ Und die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert am 4. März den Frankfurter „Gotteskrieger“ so: „Das ist nun mal Teil dieser schönen Religion. Man darf die Ungläubigen bekämpfen, wenn man angegriffen wird.“ Wer hatte denn im Bus wen angegriffen? Und: Besteht nach „dieser schönen Religion“ ein Recht, die „Ungläubigen“ (also uns alle) zu bekämpfen, notfalls auch mit Sprengsatz und Pistole? Liest der Feuilletonchef der „FAZ“ Bahners eigentlich auch Nachrichten?

Hier liegt die ganze Schwäche der „Panikmacher“. An keiner Stelle beschäftigt sich Bahners mit der Dynamik des politischen Islam. Dem Buch fehlt jede historische Dimension. Um die einen als „Panikmacher“ beschuldigen zu können, muss Bahners offenbar die anderen für eine problemlose Bagatelle ansehen. Hat uns der Kosovokrieg nicht gelehrt, dass Glaube – auf beiden Seiten – ein schrecklicher Vorwand für Gewalt sein kann? Hat der türkische Attentäter auf Papst Johannes Paul II. nicht erklärt, er habe „den obersten Kriegsherrn der Kreuzritter töten“ wollen? (So Amin Maaslouf).

Die Sache ist also ernst und Patrick Bahners hat das ernste Thema leichtfertig vertan. Denn ob der Islam nun „ein Teil Deutschlands ist“ oder „zu Deutschland gehört“ – das ist doch alles nur semantische Spielerei. Denn: In Deutschland leben vermutlich rund vier Millionen Muslime; ein großer Teil von ihnen ist gläubig (und sicherlich gläubiger als die große Mehrheit der „Kirchensteuer-Christen“). Dieser islamische Glaube muss sich aber in Deutschland irgendwie mit den hier geltenden Regeln und seinen „christlichen Wurzeln“ arrangieren. Die Frage lautet: Kann der Islam das? Und tut er das?

Es ist diese zweite Frage, die Patrick Bahners „Islamkritiker“ bewegt, nicht die erste. Denn keiner seiner Gescholtenen behauptet, dass es prinzipiell keine Möglichkeit eines „europäischen Islam“ geben könne. Und es gibt ja auch genug islamische Theologen, die eine solche Möglichkeit begründen. Aber das ist eben nicht die Frage. Denn diese lautet: Dient der Glaube des Islam, dienen Teile des Korans manchen Gläubigen und Predigern als Rechtfertigung rechtswidriger Gewalt und der Verletzung von Menschenrechten, und zwar aus Glaubensgründen „dieser schönen Religion“, wie der Frankfurter Mörder meinte?

Für die weitaus größere Zahl unserer muslimischen Mitbürger gilt das gewiss nicht. Sie sind gläubig und gesetzestreu. Aber warum gibt es so viele Hassprediger und wer hat sie geschickt? Und was ist ihre Wirkung? Professor Udo Steinbach, bis 2007 Direktor des deutschen Orientinstituts, forderte in einer Rede 1998 hierüber „einen Dialog ohne Blauäugigkeit“ und plädierte für einen „Euro-Islam“. Dieser Wissenschaftler (der übrigens in Schwierigkeiten geriet, weil er zu viel Verständnis für die Palästinenser äußerte) sagte damals unter Bezugnahme auf eine aktuelle wissenschaftliche Studie außerdem: „Unter einem nicht geringen Teil der türkisch-muslimischen Jugend hierzulande (bestehe) einen Tendenz, einen seiner selbst sicheren Islam zu verherrlichen, was bei einem Teil von ihr auch eine gewisse Bereitschaft zur Gewalt beinhalte.“

So also schon von einem Islamkenner und Islamfreund 1998. Doch je weiter man in Bahners „Panikmacher“ vorankommt, desto ärgerlicher wird es, dass er den ernsthaften Teil der Islamkritik entweder völlig ausblendet oder unvollständig – und teilweise sogar verfälschend – zitiert. Ein bisschen mehr an historischer Aufmerksamkeit hätte ich gerade von Bahners erwartet. Nur beispielhaft: Als 1995 der großen, in Harvard lehrenden Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde, gab es vielstimmigen Protest, weil Frau Schimmel im Zusammenhang mit den islamistischen Todesdrohungen gegen Salman Rushdie bemerkt hatte, der Autor habe „auf sehr üble Art die Gefühle einer großen Menge von Gläubigen“ verletzt. Die Kritiker dieser Äußerungen verlangten nun die Rücknahme des Preises und forderten Bundespräsident Roman Herzog auf, von einer Laudatio abzusehen.

Aber von „Panik“ auch damals keine Rede: Frau Schimmel verurteilte sofort die „unheilvolle Fatwa“; der Preis wurde ihr verliehen; und Roman Herzog sagte in seiner Laudatio unter anderem dies: „In Wahrheit ist das, was wir landläufig als Fundamentalismus bezeichnen, jedoch nichts anders als die politische Instrumentalisierung religiöser Gefühle, der blanke Griff zur totalitären Macht.“ In der Tat: Hier liegt das Problem und hier muss auch jede seriöse Islamkritik ansetzen. Und Herzog fuhr fort: „Von Werterelativismus unsererseits halte ich in diesem Zusammenhang gar nichts … Wenn wir den eigenen Standpunkt um der Verständigungen willen aufgeben, dann gibt es nichts mehr zu verstehen, keinen Unterschied mehr zu begreifen.“

Man kann Bahners den Vorwurf nicht ersparen, dass er an einer ernsthaften Debatte offenbar gar nicht interessiert ist. Warum sonst vermeidet er Namen wie Schimmel, Herzog, Steinbach und belästigt dafür den Leser seitenlang mit Pamphleten eines hessischen Landtagsabgeordneten und Herausgebers eines Wetzlarer Käseblattes, den schon Roland Koch ins Abseits gestellt hatte; oder beschreibt auf das Langweiligste, welcher Baden- Württembergische Beamte zu den dortigen Einbürgerungsanträgen sinnlose Fragebögen erbastelt hatte?

Allerdings: Auch zwei prominente Autoren sind seine Lieblingsfeinde: Necla Kelek und Thilo Sarrazin. Hier scheut sich Bahners sogar nicht vor platten Missverständnissen. Wenige Beispiele müssen genügen. Wenn Kelek in „Die fremde Braut“ (2005) schreibt: „Menschenrechte, Grundrechte sind nicht teilbar, nicht kulturell relativierbar“ dann ist das der Kern ihrer Position. Und wenn Frau Kelek dann das Kopftuch als Symbol religiöser Aufdringlichkeit und weiblicher Lebensbeschränkung versteht – warum ist Frau Kelek dann damit eine „Panikmacherin“? Schließlich ist sie hier in Übereinstimmung mit dem größten Teil liberaler Frauen in der Türkei, die den wachsenden Anteil der Kopftuchträgerinnen als eine rückschrittliche Bedrohung empfinden. Hat Frau Kelek nicht auch recht, wenn sie schreibt: „Wer Gottes Wort über demokratische Gesetze stellt, wird immer im Widerspruch zu dieser Gesellschaft stehen“? Frau Keleks Gedanke ist doch glasklar: Man soll zwar Gott mehr gehorchen als den Menschen – aber niemand darf in einer demokratischen Gesellschaft Menschenrechte und Grundrechte verletzen und sich dafür mit Gottesgeboten rechtfertigen. Auch eine gottesfürchtige Umgehung von Steuergesetzen dürfte wohl so kaum zu begründen sein.

Was nun Bahners Feind Nr. 1, Thilo Sarrazin, angeht, so ist es nahezu unmöglich, die vielen unrichtigen Wiedergaben von dessen Positionen aufzuführen. Wenige Beispiele: Ist jemand, der über Zuwanderer schreibt „wer da ist und einen Aufenthaltsstatus hat, ist willkommen …, wenn ihr muslimischen Glaubens seid, ok. Damit habt ihr dieselben Rechte und Pflichten wie heidnische, evangelische oder katholische Deutsche“ – ist so jemand (wie Bahners behauptet) ein Autor, der „auf Zuwanderer schimpfte“? Und wenn Sarrazin an anderer Stelle ausdrücklich feststellt: „Wer über die Qualifikationsvoraussetzungen verfügt, die in Deutschland unter dem Stichwort Green-Card diskutiert werden, kann selbstverständlich auch aus einem muslimischen Land kommen“, hat der dann „Einwanderungspolitik im Sinne der Vererbung“ gefordert, wie Bahners schreibt? Formuliert Sarrazin nicht ausdrücklich, dass „zwar … die genetische Ausstattung der Völker von großer Ähnlichkeit (ist) … doch gibt es große Unterschiede in der Mentalität der Völker und Gesellschaften“? Ist das Rassismus? Sind „Mentalitäten“ denn für Bahners „genetisch“? Und zur Erklärung unzureichender Bildungserfolge von manchen Muslimen schreibt Sarrazin: „Muslimische Migranten entstammen meist bildungsfernen Familien … was in der Bildungspolitik als Integrationsproblem wahrgenommen wird, (ist) tatsächlich ein Schichtenproblem.“ Gilt das nicht für Deutsche und muslimische Zuwanderer gleichermaßen?

Hier höre ich gelangweilt auf. Auch Bahners hat offensichtlich Sarrazins Buch nie gelesen. Und wenn, dann mit derselben Brille, mit der er auch alle die anderen betrachtet, die seine Meinung nicht teilen: Martin Walser, Annette Schavan, Verfassungsrichter di Fabio, Professor Tibi, Bischof Huber, Bürgermeister Buschkowsky, Arnulf Baring, Henryk Broder, Kirsten Heisig, Kanzlerin Merkel, Kanzler Schröder, Frau Ayaan Hirsi Ali, „Der Spiegel“, Josef Joffe, Alice Schwarzer, Frank Plasberg, Joachim Gauck, – sie alle gehören für Bahners entweder zu den Tätern der „Panikmacher“ oder haben sich von diesen einfangen lassen.

„Die Panikmacher“ ist kein gutes Buch. Ist es sinnlos? Nicht ganz. Denn am Ende, auf den letzten Seiten, lässt Bahners erkennen, worum es ihm möglicherweise geht: die Selbstbehauptung eines gelebten Glaubens gegenüber dem umfassenden laizistischen Gesetzesstaat der Moderne. „Müssen“, wie Bahners offenbar befürchtet, „die Muslime den Gehorsam gegenüber dem Propheten aufkündigen, um sich dem Rechtsstaat einzufügen?“ Die Frage ist wichtig, aber sie lässt sich auch beantworten. Sogar wenn man die sehr zugespitzte Behauptung von Ayaan Hirsi Ali übernähme, dass „der Islam individuelle Rechte nicht als Wert an sich (anerkennt)“, heißt das doch nicht, dass ein gläubiger Muslim Rechtsstaat und Grundgesetz nicht mit sich in Einklang bringen könnte. Das Kopftuch ist nämlich kein Gottesgebot! Und Mord ist keine Antwort auf Religionskritik. Selbstmordattentäter auf europäischen Bahnhöfen sind Verbrecher, auch wenn sie glauben, sie seien nur folgsam gegenüber ihrem Propheten.

Diese Debatte muss geführt werden. Offen und selbstbewusst. Denn die Re-Islamisierung der einst laizistischen Türkei ist in vollem Gange. Erdogans geopolitische Strategie ist auf die Annäherung der Türkei an die islamisch-arabischen Staaten ausgerichtet. Und die türkische Regierung setzt offenkundig nicht mehr auf Integration, sondern auf nationale türkische Minderheiten in Deutschland. Und da soll dann wohl der Islam ein wichtiges Band sein. Wer aber den politischen Missbrauch der sogenannten „Auslandsdeutschen“ in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erinnert, der wird hier hellhörig werden.

„Die Panikmacher“ könnten Anstoß sein für eine ernste, tiefe und internationale Debatte der nicht-islamischen Welt: Wie wollen wir geistig – nicht nur wirtschaftlich – die Zukunft mit den islamischen Ländern gestalten, wie gedenken wir selbstbewusst mit einem selbstbewussten, politischen Islam umzugehen? Die „Angst vor dem Islam“, wenn es denn eine gibt, wäre gewiss kein guter Ratgeber.

Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift. C. H. Beck Verlag, München 2011. 320 Seiten, 19,95 Euro.

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