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Die Islamexpertin Gudrun Krämer fordert dazu auf, die gemäßigten Kräfte im Islam sichtbarer zu machen und Fundamentalisten auszugrenzen.

© dpa

Islamvideo: "Diffamieren befördert die Aufklärung nicht"

Ein schlecht gemachter Mohammed-Film hat genügt, um den Hass in der arabischen Welt auf den Westen neu anzustacheln. Im Tagesspiegel-Interview spricht die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer über Rücksicht auf religiöse Gefühle und das Bilderverbot im Islam.

Frau Krämer, haben Sie sich das Schmähvideo angeschaut, das so viele gewalttätige Proteste zur Folge hatte?

Nein, nur in Ausschnitten. Das Video bringt ja keine differenzierte Meinung zum Ausdruck, sondern will einen Zweck erfüllen: die Beleidigung der Muslime. Das muss ich mir nicht anschauen.

Warum genügt auch nach dem arabischen Frühling ein mieses Filmchen als Zündfunke, damit vielerorts erneut Hass auf Amerika und den Westen ausbricht?

In Ländern wie Ägypten, Tunesien, Jemen oder Indonesien ist die Bevölkerung so wenig einheitlich wie in Deutschland. Diejenigen, die in Kairo, Tripoli oder Bahrein mit dem Wunsch nach Freiheit, Demokratie und Partizipation auf die Straße gingen, bilden nur einen Teil ihrer Gesellschaft. Künstler und manche Intellektuelle einmal ausgenommen, ging es den meisten um politische und wirtschaftliche Freiheit, weniger um eine offenere Gesellschaft, eine freiere Moral oder die Meinungsfreiheit. Ihre Gegner sind, wenn man so will, Hardcore-Islamisten, die die vom Koran und vom Propheten vorgegebene Ordnung nicht infrage gestellt sehen wollen. In Deutschland nehmen wir meist nur die hasserfüllten, gewalttätigen Kräfte wahr.

Es ist nur eine kleine Minderheit?

Die aufgebrachten, fanatisierten Massen sind eine Realität. Aber die jungen Männer – es sind so gut wie keine Frauen dabei – verkörpern nicht das ägyptische, afghanische oder pakistanische Volk. Die große Mehrheit missbilligt zwar ebenso die Beleidigung des Propheten, würde deshalb aber nicht gewalttätig werden. Übrigens ist die verbreitete Vorstellung falsch, vor allem die Ungebildeten seien fanatisch: Gerade die militanten Islamisten sind oft gut ausgebildet.

Bildergalerie: Ausschreitungen nach Freitagsgebet

Warum gibt es bei vielen Muslimen in Fragen der Religion eine besonders große Empfindlichkeit?

Angriffe auf den Islam werden von den meisten als das verstanden, was dieses Video bezweckt: als gezielte Provokation und Verletzung. Muslime sind da weniger abgebrüht und „tolerant“ als die Mehrheit der Deutschen. Das ist ihr gutes Recht. Und wie bitte soll ein Schmuddelvideo hilfreich sein für die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion und Kultur?

Verträgt der Islam keine Kritik?

Viele sagen, der Islam verträgt keine Kritik, weil es in den arabischen Ländern kein Zeitalter der Aufklärung gab, keine Trennung von Staat und Kirche.

Die Aufklärung gab es in der Tat nicht, wobei in nicht arabischen Ländern wie der Türkei Religion und Staat sehr wohl getrennt sind. Dort gab es übrigens keine Ausschreitungen. Aber auch in Europa steht der vergleichsweise gelassene Umgang mit Blasphemie, mit Papstwitzen oder Filmen wie „Das Leben des Bryan“ am Ende eines langen Prozesses – und es sind zumindest nominelle Christen, die sich über Christliches lustig machen. Stellen Sie sich vor, Muslime drehten einen Film, in dem Jesus mit Maria Magdalena im Bett liegt oder ein jüdischer Prophet auf übelste Weise geschmäht wird. Das würde weniger gelassen hingenommen. Allerdings gäbe es keine gewaltsamen Ausschreitungen, und dieser Unterschied ist natürlich zentral.

Video: Wütende Proteste in Pakistan

Soll das Video im Netz gesperrt werden?

Nein, ich setze eher auf den Abnutzungseffekt! Es gibt doch sofort Trittbrettfahrer, die ebenso berühmt werden wollen wie die Macher des Schundvideos. Das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ hat seine Auflage mit neuen Mohammed-Karikaturen bereits vervielfacht. Die Politik sollte besonnen reagieren, die Freiheit des Internets unangetastet lassen und prüfen, ob man gegen öffentliche Aufführungen juristisch vorgehen kann.

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp gibt in der „Süddeutschen“ zu bedenken, ob man mit Verboten nicht zugeben würde, dass der Staat die Meinungsfreiheit anders nicht zu schützen vermag.

Es ist ähnlich wie beim Umgang mit Rechtsradikalen: Wir sollten erlauben, was das Grundgesetz zulässt, auch wenn dies schwerfällt. Unsere Reaktion muss deutlich machen, dass wir nicht vor Fanatikern kapitulieren.Bildergalerie: Die Debatte um Religion und Meinungsfreiheit in Deutschland

Hat der Aufruhr auf den Straßen eigentlich auch etwas mit der Missachtung des Bilderverbots im Islam zu tun?

Es gibt kein generelles, im Koran begründetes Bilderverbot. Von Mohammed ist allerdings überliefert, dass er nicht abgebildet werden wollte. Die christliche Bilderanbetung war zu seiner Zeit verbreitet, er wollte möglicherweise verhindern, dass er anstelle von Gott angebetet wird. In der Kunst wurde das Bilderverbot unterschiedlich gehandhabt: In Moscheen gab und gibt es keine figürlichen Abbildungen, keine Tiere oder Menschen, allenfalls Bäume oder sonstige Pflanzen. Man fürchtete wohl, dass der Maler sich für einen gottähnlichen Schöpfer halten könnte. Da spielte die magische Vorstellung eine Rolle, die gemalten Wesen könnten sich beleben.

Abbildungen von Mohammed sind im Islam selten.

Gleichzeitig existieren jedoch Abbildungen von Mohammed, etwa in der Buchmalerei.

In der arabischen Welt wurde er nur selten abgebildet, und dann ohne Gesicht oder verschleiert. In der turko-iranischen Tradition und auf dem Indischen Subkontinent hat es jedoch immer Mohammed-Darstellungen gegeben, auch von seiner Tochter Fatimah, seinem Schwiegersohn Ali und seinen Enkeln Hassan und Hussein. Es gibt bekanntlich nicht den Islam, sondern unterschiedliche kulturelle Sensibilitäten, Ausdrucksweisen und Tabus. Aber bei der Auseinandersetzung um das Video geht es nur am Rande um das Verhältnis der Muslime zu Bildern. Sie gehen nicht auf die Straße, weil Mohammed dargestellt wird, sondern weil sie gehört haben, er werde verunglimpft und die westlichen Staaten erlaubten, dass so etwas öffentlich zugänglich ist.

Video: Satire-Blatt druck Mohammed-Karikaturen

Sie haben auch über die islamischen Reformbewegungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geforscht. Warum haben diese Bewegungen so wenig Fuß gefasst?

Das ist schwer zu beantworten. Der Islam war ursprünglich eine weltoffene Religion und in den 1920er und 1930er Jahren gab es offene Auseinandersetzungen über seine Grundlagen und die künstlerische Freiheit. Das ist derzeit kaum möglich. Ich hoffe, dass es mit der Arabellion mittelfristig auch zu einer kulturellen Entkrampfung kommt. Sie wird auf den erbitterten Widerstand radikaler Islamisten stoßen, die Politik und Religion vermengen und zum Beispiel ihre Kritik an Amerika und Israel nicht zuletzt damit begründen, dass es sich dabei um Christen und Juden handelt.

Einer Studie von 2011 zufolge assoziieren 80 Prozent der Deutschen mit Islam Gewaltbereitschaft und Fanatismus. Befürchten Sie, dass die Islamophobie hierzulande nun weiter zunimmt?

Ja, denn die Bilder der gewalttätigen Demonstranten sind in der Tat abstoßend. Sie schaden dem Islam. Die Vorstellung, Muslime seien fanatisch, rückständig, gewaltbereit und antiwestlich, wird sich womöglich verstärken. Und all jene, die einen anderen Islam leben, zu dem übrigens auch Humor und Satire gehören, werden kaum gehört.

Gibt es Mohammed-Witze?

Gibt es denn Mohammed-Witze?

Es gibt Witze über Imame, religiöse Gelehrte, Scheingelehrte und Scharlatane, die Person Mohammeds hingegen ist weitgehend tabu. Aber warum wird von islamkritischen, um Meinungsfreiheit bemühten Kreisen nicht Ayatollah Chamenei persifliert oder Hassan Nasrallah im Libanon? Warum immer die Beleidigung des Propheten?

Bildergalerie: Die Debatte um Religion und Meinungsfreiheit in Deutschland

Jedem guten Witz wohnt eine Beleidigung inne. Soll es für Muslime eine Sonderbehandlung geben?

Natürlich nicht. Aber wäre es nicht ein Gebot der Klugheit zu sagen: Ich weiß, dass meine muslimischen Nachbarn in diesem Punkt hochempfindlich sind, warum muss ich sie partout in diesem Punkt treffen? Ich bin gegen Denk-, Bilder- und Diskussionsverbote, aber wenn ich eine kritische Reflexion, ja Aufklärung unter Muslimen befördern will, besteht der beste Weg nicht darin, ihre Religion in den Schmutz zu ziehen.

Kommt der Islamwissenschaft in solchen Konflikten denn eine besondere Verpflichtung zu?

Die Verpflichtung gibt es schon lange. Vom arabisch-israelischen Konflikt über die Golfkriege, Irak und Afghanistan bis zur Arabellion sind wir aufgefordert, zu erklären, zu vermitteln. Relativ neu ist die innenpolitische Dimension, die Frage nach der Rolle des Islams und der Muslime in Deutschland und Europa. Beim jetzigen Konflikt besteht meine Aufgabe vor allem darin, deutlich zu machen, dass die militanten, engstirnigen, unaufgeklärten Kräfte in der islamischen Welt kein Hirngespinst sind und keine Fantasiegeschöpfe der Amerikaner oder Israelis, wie manche behaupten, sondern ganz real. So real wie die Neonazis bei uns. Aber sie sind nur ein Teil des Gesamtbildes. Als wache Bürger sollten wir jene Muslime unterstützen, denen an einem offenen Umgang mit ihrer Religion gelegen ist und die sich von Gewalt distanzieren. Das heißt zunächst einmal, dass wir sie überhaupt wahrnehmen und sichtbar machen.

– Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Gudrun Krämer leitet die Islamwissenschaft an der FU Berlin. Zuletzt erschien von ihr „Demokratie im Islam. Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt“ (C.H.Beck, 2011)

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