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Israelische Künstler in Berlin: „Du musst fleißig sein“

Künstler wie Amir Fattal oder Ella Littwitz kamen aus Israel nach Berlin, um sich umzusehen. Sie blieben, wie so viele andere, wegen des günstigen kulturellen Klimas. Ihre Arbeiten stellen sie nun in Tel Aviv aus – um zu zeigen, was in der deutschen Hauptstadt entsteht.

Wenn Freunde zu Besuch kommen, hört Amir Fattal immer wieder, dass er ja so berlinerisch lebe. „Was soll das sein?“, fragt der israelische Künstler dann. Er sitzt auf seinem Sofa vor der unverputzten Betonwand, er hat sich mit Möbeln aus den sechziger Jahren eingerichtet, mitten in einem großen Plattenbaukomplex unweit der Karl-Marx-Allee. Wenn Fattal aus seinem Fenster schaut, sieht er gen Alexanderplatz und auf Hochhäuser. Das ist mehr Berlin, als so manch anderer in sein Leben lassen würde, das raue, nostalgische.

Fattal ist fest mit der Stadt verwurzelt. Hier studierte er an der Universität der Künste und war Meisterschüler bei Katharina Sieverding. 2008 gewann er den Gasag-Förderpreis der Berlinischen Galerie und entwickelte das Atelierprogramm im Funkhaus an der Nalepastraße mit. Dort ist auch sein Studio. Zurzeit hat er es untervermietet. Fattal ist auf dem Sprung nach Israel, er stellt dort zusammen mit dem Berliner Kurator Stephan Köhler eine Ausstellung im Herzliya Museum in Tel Aviv auf die Beine, im Rahmen einer großen Überblicksschau über die Berliner Kunstszene. Fattal bringt sieben Künstler mit, die an der Spree leben. Unter dem Titel „Letter from Mr. Faustus: Seven Adaptations from Berlin“ haben sich alle Beteiligten mit einem bedeutenden Werk der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte auseinandergesetzt. John Bock ist der einzige Deutsche in dieser Auswahl, die anderen stammen aus den USA, Singapur oder Ungarn – ein repräsentativer Schnitt für die internationale Berliner Szene.

Fattal zeigt dort sein Video „From the End to Beginning“. Die Dokumentation eines kurzen Konzertes mit klassischen Musikern. Der israelische Künstler hatte Passagen aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“ von hinten nach vorn notiert. Diese neue Komposition hat er dem neunköpfigen Zafraan Ensemble und einer Sopranistin vorgelegt. Die Arbeit hat viele Ebenen: So ist es fast ein bisschen lustig, wenn Tristans Todesszene rückwärts läuft. Als würde er wiederauferstehen. Fattal wollte aber auch mit kulturellen Tabus arbeiten. In Israel darf man Wagner bis heute nicht live spielen.

Wie erinnern sich Gesellschaften an ihre Vergangenheit?

Der 1978 in Tel Aviv geborene Künstler interessiert sich in seiner Kunst immer wieder dafür, wie sich Gesellschaften ihrer Vergangenheit erinnern, wie sich Geschichte wandelt – in Bezug auf ihre kulturellen Schätze oder Persönlichkeiten. In der Ausstellung „Body without Body“ im Georg-Kolbe-Museum, die 2011 zeitgenössische Bildhauerei aus Israel präsentierte, zeigte er eine Arbeit zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Auf einem Seziertisch ergoss sich damals eine fleischfarbene Hülle, die wabbelige Silikon-Gussform eines Stuckelements des Preußenbaus, die schon in großer Zahl für die künftige, historische Fassade reproduziert werden. Ein Horrorszenario. Und ein Zeichen dafür, wie sehr Fattal in seiner neuen Heimat angekommen ist. Der Wiederaufbau ist ein Ur-Berliner Thema. 2001 kam der Künstler an die Spree – noch vor vielen anderen, die ihm in den nächsten Jahren folgen sollten. Von einer richtigen Einwanderungswelle war die Rede, sogar die New York Times berichtete von einer jungen israelischen Künstlergeneration, die sich in Berlin niederlässt. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil viele Israelis auch einen deutschen oder europäischen Pass besitzen.

Ein Jahr am sichersten Ort der Welt

Der Boom ist ungebrochen. „Es kommen immer noch viele Künstler aus Israel hierher“, sagt Friederike Schir. Sie leitet eine Organisation, die Arbeitsaufenthalte für israelische Künstler in Berlin vermittelt, wie zum Beispiel für Erez Israeli aus Tel Aviv, der zum 40. Geburtstag des Künstlerhauses Bethanien ein weithin sichtbares Wandbild auf der Brandmauer der Kreuzberger Institution entworfen hat. „Für viele Künstler sind die gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrer Heimat sehr belastend. Ihnen fehlt die Luft zum Atmen“, sagt Schir. Warum nicht ein Jahr an einem der sichersten Orte der Welt verbringen, dachte sich auch die Konzeptkünstlerin Ella Littwitz. Sie hat Fotografie an der Bezalel Akademie in Jerusalem studiert. Ihr Freund, ein Videokünstler, bekam ein Arbeitsstipendium in Berlin, sie ging mit, man blieb gemeinsam. „Es hat so viel Mühen gekostet, sich hier einzurichten, dass wir dachten, es wäre schade, gleich wieder zu gehen“, sagt Ella Littwitz. Ihre Geschichte ist exemplarisch für viele internationale Künstler. Sie finden den Weg über Förderprogramme und Artist-in-Residence-Angebote in die Stadt – und bleiben, weil die Miete günstig und das kulturelle Leben so vielfältig ist. Wer will, kann jeden Tag eine andere Vernissage besuchen, bei mehr als 400 Galerien, 150 Projekträumen und 170 Museen in der Stadt. Die Sprache, die man hört an diesen Abenden: Englisch. Ob es auch eine israelische Community gibt? Nicht unbedingt, sagt Friederike Schir. „Aber gehen Sie mal zur Ausstellungseröffnung eines israelischen Künstlers. Da treffen Sie dann alle.

Internationales Berlin

Wie international Berlin mittlerweile ist, spiegelt sich auch in den Kunstauszeichnungen, die die Stadt, Stiftungen und öffentliche Einrichtungen vergeben. Ein Blick auf die Gewinner der letzten Jahre reicht: So ging etwa der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst im vergangenen Jahr an die Mexikanerin Mariana Castillo Deball, davor an den Franzosen Cyprien Gaillard, den Israeli Omer Fast oder die in Pakistan geborene Britin Ceal Floyer. Voraussetzung ist ein Wohnsitz in Deutschland. Auch internationale Galerien haben Dependancen an der Spree eröffnet wie Gregor Podnar aus dem slowenischen Ljubljana, die Prager Jiri Svestka Galerie, Nordenhake aus Stockholm oder Blain Southern aus London.

Den Konkurrenzdruck spüren inzwischen auch die Künstler. „Du musst fleißig sein“, sagt Olaf Kühnemann. „Es gibt schon Wettbewerb.“ Er selbst kann sich gerade ein wenig zurücklehnen, denn der Maler ist im Stipendienprogramm des Künstlerhauses Bethanien. Ein Jahr lang darf er dort ein Studio nutzen. Kühnemann hat eine spezielle Biografie. Geboren wurde er 1972 in der Schweiz, seine Eltern sind Deutsche. Aufgewachsen ist er in Israel. Er spricht Deutsch, aber wohler fühlt er sich im Hebräischen oder Englischen. Seit 2009 lebt er in Berlin. „In Israel beschränkt sich die Kunstszene auf Tel Aviv.“ Zu klein für ihn. Wenige Galerien, jeder kennt jeden. Er wollte Abenteuer, Impulse. Und er war neugierig, wie es sich anfühlt, als Deutscher erstmals in Deutschland zu leben. Inzwischen gehen seine Kinder in Berlin zur Schule. Seine Frau Tal Alon, eine Journalistin, gibt das hebräische Berlin-Magazin „Spitz“ heraus. Und Kühnemann ist in der glücklichen Lage, einen treuen deutschen Sammler gefunden zu haben, der es ihm ermöglicht, Vollzeit an seiner Kunst zu arbeiten – keine Selbstverständlichkeit: „In Israel gibt es kaum Sammler, die dir wirklich den Rücken freihalten.“ Seine Kunst, sagt der Maler und Zeichner, hat sich verändert, seit er in Berlin lebt. Waren die Striche früher akkurat, fliegt jetzt der Pinsel. Hat er früher figürlich gearbeitet, probiert er sich nun in der Abstraktion aus. „Meine Kunst ist fließender, unkontrollierter.“ Und immer öfter sind von ihm auch Installationen oder Videos zu sehen. „Das hat schon mit Berlin zu tun“, glaubt er.

Ella Littwitz hat Archäologen auf dem Tempelhofer Feld begleitet

Auch Ella Littwitz stellt fest, dass der Umzug an die Spree sich künstlerisch niederschlägt. Sie wurde zur Archivarin. Ähnlich wie Fatall setzt sie sich mit Themen wie Erinnerung und Geschichte auseinander. So inszenierte sie in ihrer Serie „Hollow Heart“ alte Dia-Bilder, die ein deutscher Botaniker von Pflanzenkrankheiten gemacht hat. Die Künstlerin kitzelte die Schönheit aus dieser spröden Dokumentation. Oder sie hat Archäologen auf dem Tempelhofer Feld begleitet, Fundstücke eingescannt und über einen 3-D-Printer als Kopie wieder ausgedruckt, eine Zahnbürste oder einen Puppenarm, aber auch eine französische Coca-Cola-Flasche und ein Autokennzeichen aus Ohio. Für „Habit/at“ formte die Künstlerin verschiedene Bunkertypen aus dem Zweiten Weltkrieg in Beton nach. „Ich bin formaler und konzeptioneller geworden“, sagt die 32-Jährige. „Das muss an der Distanz zu Israel liegen.“ Zurzeit ist sie in ihrer Heimat, ruft per Skype an, denn auch sie nimmt an der großen Berlin-Schau im Herzliya-Museum teil.

„Viele israelische Künstler in Berlin arbeiten sehr konzeptionell, nicht unbedingt vom Material ausgehend. Manche beschäftigen sich natürlich mit Malerei, aber es gibt auch viel Video- und Fotokunst und Rauminstallationen in der Tradition der Arte Povera", sagt Friederike Schir. Berlin beflügelt.

Zu lebendig darf es aber auch nicht sein, findet Amir Fattal. Für ihn hat Berlin genau das richtige Verhältnis zwischen Ablenkung und Langeweile. „Ich habe hier genug Ruhe, um zu arbeiten." New York lenke zu sehr ab. Seine Kunst verkauft der 36-Jährige am besten in Deutschland. Vertreten wird er von der Berliner Galeristin Anna Jill Lüpertz, die im Rahmen der Art Week auf der Messe Positions Berlin im historischen Kaufhaus Jandorf ihren Stand aufbauen wird. Unter anderem mit Fattals Wagner-Arie im Rückwärtsgang.

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